Schriftsteller Amos Oz bekam am Freitag den ersten Siegfried-Lenz-Preis verliehen. Die Literaturbranche war zahlreich vertreten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hielt eine kluge Laudatio.
Hamburg. Politik und Kultur versammelten sich am Freitagvormittag im Hamburger Rathaus zur ersten und allein schon durch die Preissumme von 50.000 Euro international bedeutenden Siegfried-Lenz-Preisverleihung an den israelischen Schriftsteller Amos Oz. Die Literaturbranche kam so zahlreich wie zu einem großen Buchmessen-Empfang.
Allein drei Hamburger Bürgermeister – zwei davon natürlich ehemalige – waren anwesend, neben Film und Fernsehen, Hamburgs früherer Kultursenatorin und Ex-Kulturstaatsministerin Christina Weiss und vielen Vertretern aus Hamburgs Kulturszene. Amos Oz, der auch immer wieder als aussichtsreicher Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, ist in Deutschland unter anderem schon mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Goethe- und dem Heinrich-Heine-Preis ausgezeichnet worden. Auch das Ritterkreuz der französischen Ehrenlegion besitzt er.
Oz schreibt Weltliteratur, Außenminister Frank-Walter Steinmeier macht Weltpolitik. Steinmeier hielt eine denkwürdig kenntnisreiche und anregende Preisrede auf Oz als Schriftsteller und Friedensaktivist. Die Jury zeichnet Amos Oz jetzt für seine literarische „Verschmelzung von Zeitgeschichte und individuellem Schicksal“ aus. Ganz im Geist des Stifters Lenz, mit dem Amos Oz eng befreundet war. Der am 7. Oktober gestorbene Schriftsteller Siegfried Lenz hat die Auszeichnung noch persönlich gestiftet.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier kennt sich aus
Amos Oz’ Literatur sei durchdrungen von Anstand, Milde, Liebenswürdigkeit, Klugheit, Herzensbildung, würdigte Bürgermeister Olaf Scholz zu Beginn den Preisträger. Er schreibe „Literatur in ihrer reinsten, strahlendsten und menschenfreundlichsten Form“.
Und als Außenminister Frank-Walter Steinmeier seine Laudatio auf Oz begann – mit dessen Werk er sich offensichtlich auskennt, sodass seine Rede sich wohltuend von üblichen Politiker-Verquastheiten abhob –, erwähnte er, dass Verständnis und Verständigung zwischen Deutschland und Israel nicht einfach eingefordert werden können, sondern nur durch Kultur, durch Literatur wachsen werden. Er hob ab auf die Freundschaft zwischen Lenz und Oz und betonte, dass Oz’ Eltern, die aus Osteuropa geflohen waren, auch in Jerusalem noch im besten Sinne europäische Menschen geblieben waren, die dazu beigetragen hätten, dass Israel eine ungeheuer reiche Kultur habe.
„In Israel ist viel Europa, Europa aber fehlt, was seine verfolgten und vernichteten Juden mit sich genommen haben“, sagte er. Dass Oz im Nahost-Konflikt seit Jahrzehnten auf die Macht des Wortes und der Vernunft setze, betonte der Außenminister ausdrücklich, der heute in Ramallah und morgen in Jerusalem erwartet wird. „Oz setzt auf die Macht der Worte, er wirkt für Weltvernunft und Frieden.
Preisverleihung für Oz war wunderbar und traurig
Sein Lebensthema ist der Kampf gegen Gewalt und Fanatismus.“ Und er erwähnte, dass die Menschen in Israel viel davon geträumt haben und hart geprüft von der Utopie seien, „sich eine eigene Heimat zu erschaffen“. Israel lebt mit dem Schreckensbild, immer und nur von Feinden umgeben zu sein. „Gaza darf keine Startrampe für Raketen auf Israel bleiben.“
Amos Oz sagte in seiner Dankesrede: „Diese Preisverleihung ist für mich zugleich wunderbar und traurig. Ich hatte mich so sehr auf eine Umarmung von Siegfried gefreut.“ 30 Jahre waren die beiden Schriftsteller befreundet.
„Ich bin aufgewachsen mit dem Boykott gegen alles Deutsche“, erklärte Oz, „mit Ausnahme der deutschen Literatur.“ Die Nachkriegsliteratur der Gruppe 47, Böll, Bachmann, Grass und Lenz hätten diese Vorurteile und Stereotypen aufgeweicht. Lenz’ lebenskluge Figuren, die nicht Schwarz und Weiß kennen, sondern sich mit moralischen Fragen herumschlagen, hätten ihn besonders bewegt. Er lobte Mitgefühl, Toleranz und Menschlichkeit, die Siegfried Lenz in so hohem Maße besessen hätte und die sich überall in seinem Werk niederschlägt.
Lenz habe ausführlich über moralische Dilemmas geschrieben, über Ambivalenzen, Loyalität und Verrat. Viele dieser Themen seien auch in seinem Werk zentral, so Amos Oz. „Siegfried Lenz war ein Sprachvirtuose, Deutschlands Gewissen“, sagte Oz. „Er hielt uns schmerzhafte Einsichten in die deutsche Vergangenheit vor Augen und zeigte uns eine Gegenwart, die schwanger ist von Geheimnissen.“
Friedlich wie zwischen Tschechen und Slowaken
Durch Lenz’ Roman „Die Deutschstunde“ etwa habe sich Oz gefragt, wie er sich verhalten hätte, wenn man ihm einen dummen Befehl gegeben hätte. „Die Deutschstunde“ sei für ihn wie eine Symphonie, sagte Amos Oz. „Lenz bringt das Meer darin zum Klingen, die Kunst beginnt zu leben. Wir werden mit allen Sinnen in das Buch mitgenommen.“ „Die Deutschstunde“ ist für Oz kein Roman über Kunst und Macht. „Es ist die Geschichte einer Suche nach Liebe, nach der Liebe eines Vaters.“
Amoz Oz sagte, er sei oft in seinem Leben als Verräter bezeichnet worden. Schon als Junge, als er einem Engländer ein paar Brocken Hebräisch beigebracht habe, hätte man ihm gesagt, man würde doch den Besatzern nichts beibringen. Später, als er für die Zwei-Staaten-Lösung eintrat, sei er als Verräter an Israel gescholten worden. „Ich bin für den Kompromiss“, sagte Oz. „Es gibt aber keinen Kompromiss, der glücklich macht. Jeder Kompromiss ist schmerzhaft. Es ist wie bei einer friedlichen Scheidung. Oder der Versuch, aus einem Haus zwei kleinere Wohnungen zu machen.“ Im Falle Israel und Palästina träumt er davon, dass es so friedlich ablaufen möge wie die Trennung von Tschechen und Slowaken.
Der Siegfried-Lenz-Preis wird künftig alle zwei Jahre an einen internationalen Autor verliehen. Die Preisverleihung an Amos Oz sollte Anstoß sein, sich Oz’ großartigen, bewegenden Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ zu nehmen und einfach loszulesen. Ein erhellenderes, klügeres, fesselnderes Buch über Israel, Familien und das, was Menschen zusammenhält und was sie trennt, gibt es nicht.