Amos Oz erhält am Freitag den erstmals verliehenen Siegfried-Lenz-Preis. Heute liest israelische Schriftsteller im Thalia Theater. Ein Interview über seine schriftstellerischen Arbeiten.

Hamburg. Der israelische Schriftsteller Amos Oz erhält am Freitag den erstmals verliehenen Siegfried-Lenz-Preis, der mit 50.000 Euro dotiert ist und damit einer der höchstdotierten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum.

Gerühmt für seine Sprachmacht und seine Fähigkeit, Zeit- und Gesellschaftsgeschichte in individuellen Schicksalen darzustellen, wird Oz schon seit Jahren als möglicher Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt.

Der bekannteste Roman in seinem Mammutwerk ist seine drei Generationen umfassende, faszinierende Familiengeschichte „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“. Oz, den mit Siegfried Lenz eine langjährige Freundschaft verband, setzt sich unermüdlich für eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern ein. Wir sprachen mit ihm über seine schriftstellerische Arbeit.

Hamburger Abendblatt: Sie waren lange mit Siegfried Lenz befreundet. Worüber haben Sie gesprochen?

Amos Oz: Unsere Freundschaft hat begonnen, lange bevor wir uns kennengelernt haben. Ich hatte seine Bücher gelesen, er meine. Als wir uns vor 30 Jahren begegnet sind, kannten wir uns bereits. Ich habe seine Arbeit sehr geschätzt. In seinen Romanen spielen Loyalität und Verrat eine große Rolle, seine Helden müssen schwierige moralische Entscheidungen treffen. Da geht es um richtig und falsch, nie um schwarz und weiß. Mit ähnlichen Fragen beschäftige ich mich in meinen Werken auch. Mit schmerzhaften Entscheidungen unter extremen Bedingungen. Wir fühlten uns verbunden.

Haben Sie sich besucht, geschrieben?

Oz: Das Ehepaar Lenz hat mich im Kibbuz besucht, später in der Wüste in Arad. Ich bin zu ihm nach Altona gekommen. Wir haben uns auch Briefe geschrieben. Ich habe viel von Lenz gelernt. Manchmal haben wir übers Schreiben gesprochen, über die Panik vor der weißen Seite oder über das Problem mit dem ersten Satz eines Romans. Wo beginnt man? Bei den Großeltern, den Eltern, der Erschaffung der Welt? Wir haben darüber diskutiert, was kein Schriftsteller der Welt kann, nicht mal Shakespeare oder Tolstoi. Und das ist, eine Figur zu erfinden, die intelligenter oder witziger ist als er selbst. Man kann Menschen erfinden, die großzügiger, tapferer oder geiziger sind, aber intelligenter als sein Autor kann kein Romanheld sein.

Ihr Vater hat elf Sprachen gesprochen, Ihre Mutter sieben. Aber Ihnen hat man nur Hebräisch beigebracht. Was sollte daran so vorteilhaft sein?

Oz: Meine Eltern waren vor dem Holocaust aus Europa geflohen. Sie hatten in den 40er-Jahren Angst, dass ich vom tödlichen Charme Europas verführt werden würde, wenn ich auch nur eine europäische Sprache spreche. Dort wäre mein Leben bedroht gewesen. Aber natürlich ist es für niemand von Vorteil, nur eine Sprache zu sprechen. Erst wenn man eine zweite Sprache beherrscht, beginnt man seine eigene zu verstehen. Erst wenn man ins Ausland reist, beginnt man sein eigenes Land zu verstehen. Erst wenn man sich zum zweiten Mal verliebt, beginnt man die erste Liebe zu verstehen.

Ihre Mutter hat Selbstmord begangen, da waren Sie sieben Jahre alt, Ihren Vater haben Sie aus Protest verlassen, um kein Intellektueller wie er zu werden. Was würden Sie Ihren Eltern heute sagen?

Oz: Ich spreche mit ihnen. In meinen Büchern. Mein Vater ist vor 44 Jahren gestorben. Ich diskutiere fast jeden Tag mit ihm über Politik. Wahrscheinlich würde er lächeln, wenn er mich heute sehen würde. Ich habe so stark gegen ihn rebelliert, habe sogar einen anderen Namen angenommen. Und was bin ich geworden? Ein Intellektueller wie er.

Ihre Romane sind so lebendig, weil Sie Details so plastisch beschreiben. Ist das Ihr Geheimnis?

Oz: Ich sitze morgens früh am Schreibtisch und stelle mir Fragen über die Menschen, die ich beschreibe: Was würde sie anhaben? Was würde er denken? Wovor hätte er Angst? Was hofft sie? Worüber spricht er? Ich glaube, der Unterschied zwischen guter und schlechter Literatur liegt in solchen Details.

Sie wollten ursprünglich Traktorfahrer werden, wann begann Ihre Affinität zur Literatur?

Oz: Sehr früh. Ich habe nicht gut ausgesehen, war kein Sportler, nicht groß. Ich konnte nur gute Geschichten erzählen, um die Mädchen zu beeindrucken. Vielleicht ist das bis heute mein Antrieb.

Sie schreiben auf Hebräisch. Die Sprache ist erst vor rund 130 Jahren aus den Gebetbüchern wieder belebt worden.

Oz: Ende des 19. Jahrhundert kamen europäische Juden nach Palästina und trafen auf dort lebende Juden, die arabisch, ladino oder türkisch sprachen. Das Hebräische brauchte man zur Verständigung. Heute sprechen zehn Millionen Menschen die Sprache, in meiner Kindheit waren es 500.000.

Was haben Sie zuletzt geschrieben?

Oz: „Judas“, eine Geschichte über Vertrauen und Verrat. Der Roman erscheint im März auf Deutsch.

Sie haben 30 Jahre in einem Kibbuz gelebt. Warum?

Oz: Für einen Schriftsteller ist es die beste Ausbildung, die man bekommen kann. Besser als jede Universität. Ein Kibbuz ist ein Mikrokosmos. Ich habe einmal ein Buch mit dem Titel ‚Alle unsere Geheimnisse gleichen einander‘ gelesen. Das ist absolut wahr.

Sie wirken wie ein Menschenfreund, aber Ihre Romanhelden sind unglücklich.

Oz: Ich bin sehr neugierig. Neugierige Menschen können sich in andere hineinversetzen. Literatur handelt immer von unglücklichen Menschen. Hätte Shakespeare anstatt von Hamlet, Othello oder Macbeth von einem spektakulären Transportsystem im elisabethanischen England geschrieben, würde ihn heute kein Mensch mehr lesen. Auch eine gut gebaute Brücke interessiert niemanden literarisch. Die wird erst spannend, wenn sie zusammenbricht. Ich schreibe von Zusammenbrüchen.

Lesung, heute, 20 Uhr, Thalia Theater, Eintritt 15, erm. 10 Euro