Fatih Akin stellt seinen Film „The Cut“ über den Völkermord an den Armeniern vor und wird mit dem Douglas-Sirk-Preis ausgezeichnet. Die Laudatio hält Kultursenatorin Barbara Kisseler.

Hamburg. Auf eins kann man sich bisher verlassen: Die Spielfilme von Fatih Akin erleben ihre Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg. So ist es auch mit seinem neuen Werk „The Cut“. Aber das Festival hat eine echte Neuigkeit zu bieten. Der Douglas-Sirk-Preis bleibt in diesem Jahr und zum ersten Mal überhaupt in der Stadt. Akin erhält ihn heute im Cinemaxx. Die Laudatio hält Kultursenatorin Barbara Kisseler.

Er habe sich gefreut, als er vom Preis erfahren habe, so Akin. „Aber er ist mir auch ein bisschen unangenehm, weil ich von Sirk nur zwei Filme kenne.“ Vergeblich habe er versucht, sich DVDs des gebürtigen Eimsbüttelers zu besorgen, der emigrierte und in Hollywood zum großen Melodramatiker heranreifte. „Vielleicht sollte eine Sirk-Stiftung daran arbeiten, die Filme zu restaurieren und zugänglich zu machen“, schlägt er vor. Es gab zwar in der Schweiz, wo Sirk 1987 gestorben ist, so eine Stiftung, aber die ist mittlerweile erloschen. Vielleicht wäre das ja auch ein interessantes Projekt für Hamburg, wo er 1897 als Hans Detlef Sierck geboren wurde.

Seit 1996 wird der Sirk-Preis verliehen. Die Reihe der Preisträger ist ausgesprochen illuster. Auf Clint Eastwood folgt unter anderem Jim Jarmusch, Stephen Frears, Jodie Foster und Aki Kaurismäki. Im vergangenen Jahr erhielt Tilda Swinton die Auszeichnung. „Ich weiß gar nicht, ob ich in diese Reihe passe“, sagt Akin. „Ich nehme die Auszeichnung an und versuche ein würdevoller Preisträger zu sein. Ich weiß zwar nicht, wie das geht, aber ich versuche es trotzdem.“

Akins Verhältnis zu Sirk und seinen Filmen ist also ausbaufähig, der zum Filmfest ist schon ausgesprochen gut. „Ich bin mit dem Festival sehr freundschaftlich verbunden, es ist so etwas wie ein Komplize von mir. Ich komme mir manchmal schon vor wie ein Teil der Crew. In den vergangenen Jahren habe ich bei der Gästebetreuung mitgemacht, habe Emmanuelle Seigner über den Kiez geführt, Sirk-Preisträger Atom Egoyan und Arsinée Khanjian die Stadt gezeigt. Das mache ich gern.“

Sein neuer Film „The Cut“ erzählt vom Schmied Nazaret (Tahar Rahim, der französische Schauspieler kommt zur Premiere ebenfalls nach Hamburg), der im Jahr 1915 in Mardin in Mesopotamien lebt. Der Erste Weltkrieg macht in dieser Zeit aus Minderheiten im Osmanischen Reich Feinde. Türkische Gendarmen trennen ihn von seiner Familie und zwingen ihn unter sklavenähnlichen Bedingungen zum Straßenbau. Zusammen mit seinen Mitgefangenen soll Nazaret von seinen Bewachern getötet werden. Er überlebt mit einer schweren Halsverletzung, ist aber fortan stumm. Er erfährt, dass seine Familie aus Mardin geflohen ist, seine Zwillingstöchter sollen aber überlebt haben. Er macht sich auf die Suche nach ihnen. Es wird eine Odyssee, die ihn zu Flüchtlingslagern, Waisenhäusern und Bordellen, nach Kuba und schließlich in die USA führt.

Von mehreren Kollegen hatte Akin sich Rat geholt

„The Cut“ ist Akins aufwendigster und mit einem Budget von 16 Millionen Euro sein bisher teuerster Film, zudem der Abschluss der „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie. Er sei auch sein körperlich anstrengendster gewesen, sagte er in einem Interview. Gedreht wurde in der Wüste und im Schneegestöber, auf Kuba, Malta und auf der „Rickmer Rickmers“. Von gleich mehreren Kollegen hatte Akin sich Rat geholt: Costa-Gavras und Roman Polański. Das Drehbuch überarbeitete er mit dem Hollywood-Veteranen Mardik Martin, der schon an Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“ mitarbeitete. Scorsese gab dem fertigen Film mit auf den Weg, er sei „von großer Intensität, Schönheit und beeindruckender Erhabenheit“.

„The Cut“ basiert auf dem Völkermord an den Armeniern, erzählt vor diesem Hintergrund aber ein Familiendrama. Akin hatte sich lange und intensiv mit dem Thema beschäftigt und zahlreiche Historiker konsultiert. Trotzdem gab es im Vorfeld Kritik. In der Türkei war dieser Genozid bis vor Kurzem noch ein Tabu-Thema. Prompt meldeten sich türkische Ultranationalisten und bedrohten den Regisseur – natürlich ohne den Film überhaupt gesehen zu haben.

„Ich dachte, die geben mir eins auf die Mütze“

Beim Filmfestival von Venedig wurde Akin deshalb von einem Personenschützer begleitet. Aber auf dem Lido war die Stimmung freundlich. Er schrieb in der Lobby des Festival-Hotels Excelsior Autogramme, während ein paar Meter davon entfernt Charlotte Gainsbourg TV-Interviews gab.

Nach der Premiere dort, bei der auch zahlreiche Armenier und Türken im Publikum saßen, waren die Reaktionen gemischt. Es gab einige kritische Rezensionen, aber auch Zustimmung vom türkischen Feuilleton und begeisterte Reaktionen der Armenier.

„Ich dachte, die Armenier und Türken geben mir eins auf die Mütze und der Westen jubelt. Es ist genau andersherum gekommen“, wundert sich der Regisseur. Zu den Bedrohungen sagte er: „Man hat ein gewisses Urvertrauen. Diese Thematik schrie danach, aufgearbeitet werden zu wollen. Ich habe vorher gesagt: Die Türkei ist reif für dieses Thema. Das scheint kein Irrtum gewesen zu sein. Ich finde das sehr angenehm. Wenn der Film in der Türkei herauskommt, wird man dem wohl mit Augenmaß begegnen können.“

Den Sirk-Preis bekommt Akin an diesem Sonnabend aber nicht nur für „The Cut“, sondern für sein Gesamtwerk, das ihm auf vielen internationalen Festivals Preise eingebracht hat. Es ist mittlerweile recht vielfältig, es reicht von der Komödie über das Drama bis hin zum Dokumentarfilm. Ist das jetzt mit 41 Jahren etwa schon die erste Auszeichnung für das „Lebenswerk“? Der Filmemacher runzelt die Stirn. „Genau das irritiert mich bei der Sache. ‚The Cut‘ ist erst mein siebter Film. Wenn ich 70 oder 80 werde, schaffe ich vielleicht 25 oder 30. Dann wäre ich jetzt ja noch im ersten Drittel. So sehe ich mich auch.“

Vielleicht wäre die US-Filmindustrie nicht der richtige Ort

Damit blieben ihm noch zwei Drittel für Wunschprojekte wie einen Film mit Kirsten Dunst in der Hauptrolle. Die US-Schauspielerin hat deutsche Wurzeln – ihr Vater kommt aus Hamburg – und auch noch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie hat in Interviews wiederholt erklärt, dass sie gern mit Akin arbeiten würde. „Wenn ich Sie treffen würde und wir Zeit hätten, uns ausführlich zu unterhalten, würde ich gern etwas für sie schreiben. So wie Lars von Trier das für seine Hauptdarsteller macht, könnte ich mir das auch vorstellen. Das wäre dann zwar europäisches Kino, aber zumindest mit einem Hollywood-Star.“

Vielleicht wäre die große US-Filmindustrie zurzeit für Akin gar nicht der richtige Ort. Schon Douglas Sirk hat gesagt: „In meiner Zeit konnte ein Regisseur in Hollywood nicht tun, was er wollte.“ Zeiten ändern sich, aber Akins Filme sind meist dann am stärksten, wenn er genau das umsetzen kann, was ihm vorschwebt. Und sei es gegen alle Widerstände.

Douglas-Sirk-Preis „The Cut“ Sa 19.30, Cinemaxx