Am Wochenende eröffnet Jette Steckel mit „Romeo und Julia“ die Saison am Thalia Theater. Mit dem Interview sprach die viel gefragte Regisseurin über die Liebe und deren zerstörerische Kraft.
Hamburg. Shakespeares „Romeo und Julia“, die tragische Geschichte zweier junger Liebender, die verfeindeten Familien angehören, zählt seit Jahrzehnten zu den meistgespielten Stücken auf deutschen Bühnen. Regisseurin Jette Steckel, die noch jung genug ist, um das Gefühl jugendlicher Verliebtheit und Verrücktheit zu spüren, die andererseits beruflich seit Jahren von Erfolg zu Erfolg eilt, viel Verantwortung übernimmt und allein deshalb schon sehr rational wirkt, hat lange gezögert, bevor sie das Stück inszenieren wollte.
Am Thalia hat sie bisher unter anderem „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ inszeniert, „Don Carlos“ und „Woyzeck“. Sie wurde als Nachwuchsregisseurin des Jahres ausgezeichnet und mit dem Rolf-Mares-Preis geehrt. Am Sonnabend eröffnet nun „Romeo und Julia“ in ihrer Regie die neue Spielzeit am Thalia Theater. Wir sprachen mit Jette Steckel über ihre Arbeit.
Hamburger Abendblatt: Fast jeder kennt die Liebesgeschichte von „Romeo und Julia“. Was erzählen Sie in Ihrer Inszenierung?
Jette Steckel: Wir erzählen die Geschichte auf drei verschiedenen Ebenen, mit Schauspielern, Sängern und einem Chor aus 40 Jugendlichen, 20 Mädchen und 20 Jungen. Der Chor erzählt von Gefühlswelten, keine Szene. Die entscheidende Zutat sind für mich die Musiker. Ohne sie hätte ich die Inszenierung nicht gemacht. Die Musik von Anja Plaschg und Anton Spielmann schafft eine Atmosphäre zwischen Liebe und Tod. Mir erscheint das sehr zeitgemäß und modern. Jugendliche sind heute nicht mehr romantisch und naiv. Das Thema Liebe und deren zerstörerische Kraft betrachten sie rational. Man weiß alles über Liebe und Sex – theoretisch – nur die Gefühle, die überraschen jeden und werfen einen um. Gefühl heißt auch Zweifel an dessen Haltbarkeit. Und Gefühle haben einen Marktwert.
In Shakespeares „Sommernachtstraum“ heißt es, Verliebte und Verrückte seien gleich. Auch medizinisch betrachtet spielt sich bei Verliebten im Hirn Ähnliches ab, wie bei Wahnsinnigen. Wie kann Ihr Paar da rational bleiben? Das kommt mir sehr traurig vor.
Steckel: Romeo und Julia sind in ihrer Liebe überhaupt nicht rational, aber sie wissen: Auch absolute Liebe ist endlich und nicht ewig, außer im Tod. Ich gehe von dem Gedanken aus, dass Liebe immer tödlich ist. Entweder für die Liebe. Oder für die Liebenden. In der absoluten Liebe kann man keine Kompromisse machen. Romeo und Julia wissen von Anfang an, dass ihre Liebe ihnen den Tod bringen wird. Wer im absoluten Gefühl lebt, hat kein Ziel mehr. „Ich begehre nur, was ich schon habe“ sagt Julia im Stück. Es gibt nichts mehr zu erwarten. Der Tod ist dann nichts Trauriges mehr. Er ist auch etwas Schönes.
Ist Liebe bedrohlich, weil man daran zugrunde gehen kann?
Steckel: Ich finde das nicht bedrohlich. Wenn man glücklich zugrunde geht, kann man doch ruhig zugrunde gehen. Aber es geht im Stück nicht um Liebe allein. Es ist eine verbotene Liebe. Dadurch sind diese zwei zum Tode verurteilt.
Diese Liebe steht hier im Kontrast zur staatlichen Ordnung, Alt und Jung stehen sich gegenüber, Leidenschaft und Vernunft. Sind Ihnen diese Gegensätzlichkeiten wichtig?
Steckel: Ja, sehr. Aber sie tragen nicht mein Konzept. Bei uns geht es darum, wie Romeo und Julia auf die Welt schauen. Es ist eine kriegerische Welt, im Großen wie im Kleinen. Das Aggressionspotenzial liegt hoch. Das sieht man auch auf dem Fest der Capulets. Warum die Familien verfeindet sind, weiß man gar nicht mehr. Ich zeige eine Welt des Geldes, des Konkurrenzkampfes und der Korruption. Es ist keine Demokratie.
Sind Romeo und Julia die Einzigen, die aus der Gesellschaft ausbrechen wollen?
Steckel: Sie sind anfangs bereit, sich einer ernüchternden Welt unterzuordnen, dann überrascht und überwältigt von einem Gefühl, das für sie aber nicht lebbar ist. Ich lese schon bei Shakespeare, dass der gemeinsame Tod auch eine Erlösung für sie wäre.
Ist diese Liebe ein Gegenentwurf zur strengen Erwachsenenwelt?
Steckel: Ja. Aber viel Platz dafür bekommen sie nicht. Bei uns sind die Lieder, die Gefühlsausbrüche krasse Gegensätze zur Realität. Einen konkreten Lebensentwurf haben sie nicht.
Ihr Chor besteht aus Laien, warum?
Steckel: Ja, das wollte ich, die echten Romeos und Julias dieser Welt. Menschen, denen so etwas wie im Stück vielleicht gerade passiert. Auch unsere Sänger sind jung, beide sind 24. Ich wollte aus der Gefühlswelt von Jugendlichen schöpfen. So wird es für junge Menschen von heute nachvollziehbar. Das Stück ist so reich. Es gibt so vieles zu erzählen, manchmal habe ich das Gefühl, Shakespeare ist so reich an Möglichkeiten und Gegensätzen, daran muss man immer irgendwo scheitern.
Sie wollten das Stück anfangs nicht inszenieren. Warum?
Steckel: Ich glaube immer noch nicht, dass Liebe funktioniert. Wenn doch, ist es ein großes Wunder. Ja, genau darauf warten alle, das erhofft man sich: Ein Wunder. Und wenn man es bekommt, dann kann man es nicht glauben.