Das Reeperbahn-Festival ist international etabliert. Dennoch ist Flexibilität gefragt, etwa wegen des Wegfalls von Clubs. Zum neunten Mal laden die Organisatoren zu der Konzert-Sause auf St. Pauli.

Hamburg. Wer derzeit irgendwo in Deutschland ein Bier der Marke Astra Urtyp kauft, der bekommt höchstwahrscheinlich eine Knolle im bunten Design des Reeperbahn Festivals ausgehändigt. Links über dem typischen Ankerherz prangt ein fettes R – das Logo der Hamburger Musiksause, die in diesem Jahr zum neunten Mal in mehr als 70 Clubs und Kneipen, aber auch in Galerien, Theatern und Plattenläden, in Kino, Kirche, Barkasse und Bus über die Bühne geht. Bevor vom 17. bis 20. September mehr als 400 Konzerte zum neugierigen Entdecken (und zur gepflegten Reizüberflutung) einladen, ist der Werbeeffekt also bereits enorm. 15 Millionen der Pop-Art-Flaschen hat die Großbrauerei, die dieses Jahr erstmals Partner des Festivals ist, produziert.

Entsprechend gut gelaunt sitzt Festivalchef Alexander Schulz in seinem Büro auf St. Pauli. Im Hintergrund erhebt sich der Feldstraßen-Bunker, wo mit dem Uebel & Gefährlich einer der Festival-Spielorte zu Hause ist. Für das Team gibt es Kuchen und Obst. Die Atmosphäre ist freundlich und konzentriert. Endspurtstimmung.

Schulz freut sich über den Astra-Deal. „Die Reichweite, auch außerhalb der Metropolregion, ist enorm“, sagt er. In Hamburg sei das Festival mittlerweile im Bewusstsein und im Kalender der Stadt angekommen. Die Promotion, etwa großformatige Plakate, konzentriere sich daher auf andere urbane Zentren wie Berlin und auf Studentenstädte wie Münster, Heidelberg und Göttingen.

Starkes Indiz für die weit mehr als regionale Relevanz ist die Tatsache, dass der Bund das Reeperbahn Festival jährlich mit 200.000 Euro fester Förderung unterstützt. Hinzu kommen dieses Jahr 460.000 Euro Landesmittel. Rund 1,85 Millionen Euro beträgt der Gesamtetat. Circa 720.000 Euro speisen sich aus den Ticketverkäufen, 450.000 Euro aus Verträgen mit Sponsoren und Partnern sowie Anzeigenvermarktung.

Wie etabliert das Festival mittlerweile nicht nur bei den bis zu 30.000 erwarteten Pop-Fans ist, sondern auch in der Branche, zeigt sich unter anderem darin, dass nun erstmals alle drei großen Plattenfirmen mit einem eigenen Event vertreten sind. Warner als heimischer Platzhirsch unterstützt das Festival von Anfang an, Sony lädt zum Business-Brunch, und Universal hat sich für den Festival-Freitag in die Große Freiheit einquartiert, um Acts wie Triggerfinger, Hozier, Talisco sowie Ella Eyre zu präsentieren.

„Das ist wie zu alten Popkomm-Zeiten“, sagt Schulz und spielt damit auf die Fachmesse an, die vor allem in den 1990er-Jahren in Köln eine vibrierende Plattform für die Musikszene bildete. Aus den Fehlern der Popkomm, die 2003 nach Berlin zog, möchte Schulz lernen. Was er seinen internationalen Partnern bieten will, ist Verlässlichkeit. Ein Vorhaben, das angesichts der sich wandelnden Hamburger Clublandschaft nicht immer ganz einfach ist.

„Die Clubs in den jetzt abgerissenen Esso-Häusern sowie der Platz davor waren das atmosphärische Herz des Festivals“, sagt Schulz. Tatsächlich trafen sich Vertreter von Plattenfirmen und Exportbüros sowie Journalisten und Fans besonders gerne in und vor Clubs wie Molotow, Kukuun und Sommersalon, um bei den Showcases neuer Bands zu netzwerken. Die Rock-’n’-Roll-Patina, das gewisse Flair dieser Locations lasse sich nicht einfach ersetzen, so Schulz. Als Ersatz halten dieses Jahr Läden auf der gegenüber liegenden Straßenseite vom Spielbudenplatz her. Wie Cowboy & Indianer und sogar der Gosch-Fischimbiss im alten Café Keese.

Von 2015 an möchten Schulz und sein Team dann das neu entstehende Clubhaus zwischen dem Docks und dem Schmidt Theater als konstantes Festivalzentrum einrichten. Aus Kanada, der Schweiz, Portugal, Polen oder Australien kommen Branchenvertreter, um beim Reeperbahn Festival ihre Bands vorzustellen und Geschäfte zu machen. Und um ihnen Planungssicherheit zu signalisieren, bieten die Organisatoren dieses Jahr Baustellenführungen durch das im Werden begriffene Clubhaus an, das fünf Clubs und ein Theater beheimaten soll. So spiegelt das Reeperbahn Festival auch den urbanen Wandel in Hamburg wider. Während etwa die Fliegenden Bauten wegen ihrer Schließung im Frühjahr als Spielstätte ausfallen, eröffnet das Molotow Exil pünktlich zum Festival in der China Lounge am Nobistor.

Doch nicht nur was die Hardware, also die Clubs angeht, muss das Festival flexibel und erfinderisch sein. Auch die Software, also die Kommunikation, spielt eine entscheidende Rolle. „Wenn das Wesensmerkmal eines Festivals die Kleinteiligkeit ist, so wie bei uns, dann musst du Orientierungshilfe geben“, sagt Schulz. Neben Standards wie „Ray’s Reeperbahn Revue“ im Schmidt Theater, in der Moderator Ray Cokes jeden Nachmittag vier Bands vorstellt, halten auch neue Wegweiserangebote Einzug ins Programm. Der NDR etwa verwandelt die Prinzenbar in ein Radio-Studio, in dem unter dem Titel „Backstage“ Experten Tipps für die Nacht geben.

Neben der Festival-App fürs Smartphone, die auch Neuigkeiten, Verspätungen und Einlass-Stopps durchgibt, können sich Besucher auf der Festival-Webseite informieren. Von Dienstagabend an steht der Zeitplan online. Zudem können sich Gäste dort vorab über den Streaming-Dienst Spotify Band-Empfehlungen geben lassen, die ihrem Musikgeschmack entsprechen. Schöne neue Welt.

Programmatisch hat sich der Mix aus Konzerten und Fachkonferenz sowie popkulturell nahen Angeboten von Kunst über Film bis Literatur bewährt. Doch jedes Jahr versucht Schulz mit seinem Team auch Neues einzubringen. 2013 war es ein Games-Schwerpunkt. Dieses Jahr kooperiert das Festival unter anderem mit der Elbphilharmonie. Am Festival-Donnerstag sind Genre-Quergänger wie Hauschka, Ben Frost sowie das Hamburger Ensemble Resonanz im Mojo Club auf der Reeperbahn zu erleben. „Es geht uns ja auch darum, Aufbruchstimmung zu verbreiten“, sagt Schulz. Könnte klappen.

Reeperbahn Festival Mi 17.9. – Sa 20.9.; www.reeperbahnfestival.com