Die Gruppe Trümmer hat das aufregendste Debütalbum seit Langem vorgelegt. Zudem ist das Trio im Vorprogramm der Editors im Stadtpark, im Molotow sowie im Thalia Theater zu erleben.

Hamburg. „Diese Generation ist eine Bombe, die nicht zündet“, singt Paul Pötsch im Song „Papillon“. Die Stimme zart, das Gitarrenspiel roh. Mit seiner Band Trümmer erzählt er von einer Jugend, die das Überangebot unserer Tage gleichgültig macht. Von Erwartungen und Enttäuschungen, von Alternativen und Utopien. Und wie da drei junge Männer Poesie in die Wucht, Melodien und Vielfalt des Rock packen, das wird derzeit auf vielen Kanälen abgefeiert. Zu Recht. „Trümmer“ ist das aufregendste Debütalbum seit Langem.

„Was wir als Vorwurf an diese Zeit formulieren: dass ganz viel über Ironie und Zynismus funktioniert. In der Generation zwischen 20 und 30 herrscht eine wahnsinnige Furcht davor, etwas zu meinen“, sagt Pötsch. Schmal ist er. Eine angenehme Antithese zum frontal rockenden Frontmann-Klischee. In seiner Wohnung auf St. Pauli sitzt er mitten auf einem abgewetzten Biedermeiersofa, dessen verblassender bürgerlicher Charme im hübschen Kontrast steht zur abgerissenen Tapete. Links neben ihm hockt Bassist Tammo Kasper, rechts von ihm Schlagzeuger Maximilian Fenski. Ein Gruppenbild, aus dem Pötsch im Gespräch immer wieder hervorrutscht, bis er ganz auf der Kante der Polstergarnitur sitzt. Redend, rauchend, zum Sprung bereit. Zu blasser Haut und rotem Haar trägt er ein pinkfarbenes Shirt der Agitprop-Ikonen Die Goldenen Zitronen. Die Allianzen sind klar, die Themen ähnlich, doch die Perspektive ist eine andere. Es macht eben einen Unterschied, ob ein junger Mensch in den 1980er- oder in den 2010er-Jahren in die große Stadt gekommen ist. Die Freiräume sind weniger geworden, die Oberflächen glatter, die Vermarktung ist offensiver.

„Hamburg hat das Problem, dass es an Partizipation mangelt. Wo sind denn die Orte, die ich mitgestalten kann und die nicht von vornherein ausdefiniert sind?“, fragt Pötsch. „1000. Kippe“ ist so ein Song, der das Rastlose und Unzufriedene auf den brodelnden Siedepunkt bringt. „Entgegen aller Bedenken / leb ich immer noch in dieser Stadt / die außer ein paar Kneipen / nicht wirklich was zu bieten hat“, singt Pötsch. Alle drei Musiker sind Zugezogene, denen ein Pflaster wie Hamburg einst auch Versprechen war. „Man möchte ja nicht nur Gleichgesinnte treffen, sondern auch etwas, was man nicht selbst ist. Das Fremde, vielleicht auch das Gefährliche“, sagt Pötsch. „Und dann kommt man in die Stadt und das, was man attraktiv findet, eine gewisse Form von Schmutz auch, ist im Begriff zu verschwinden und wird ausgetauscht.“

Letztlich versucht Trümmer ein Ideal zu retten, das die Band selbst so nicht mehr erlebt hat. Dennoch sind ihre Lieder weit davon entfernt, verkopften Kulturpessimismus zu transportieren. „Diese Enttäuschung kann ein totaler Motor sein für eine positive Energie“, erklärt Pötsch.

Er vermisst eine Form von Jugendbewegung, die die akuten Krisen der Gesellschaft in ihrer Musik verhandelt. Und er widersetzt sich dem Anspruch, erst etwas wert zu sein, wenn Selbstoptimierung und Karriere umgesetzt sind. „Ich bin schon etwas in meiner ganzen Verletzlichkeit und Sehnsucht. Das ist an sich schon eine Qualität“, sagt er in freundlichem Tonfall und knackt dann eine Nuss, die auf dem Tisch liegt.

Ganz bewusst versucht er in seinen Lyrics, kämpferischem Vokabular neues Leben einzuhauchen. „Was ich spannend finde, ist, im Rahmen eines Popsongs überhaupt mal wieder Begriffe wie ‚Revolte‘ zu verwenden“, sagt Pötsch. Der bürgerliche Rückzug ins Private, er wird uns irgendwann um die Ohren fliegen, ist er überzeugt. Davon erzählt ein Song wie „Scheinbar“, mit seinen nervösen Riffs und dem bedrohlich intonierten „Tick Tack Tick Tack“.

Als Ausweg flieht das lyrische Ich in den Songs ein ums andere Mal in die Nacht, die immer noch die schönsten Lügen zu bieten hat. Und in der Liebe eher wahr zu werden scheint. „In all diesen Nächten sind wir nicht brav, sondern schlimmer“, heißt es da. Scheitern und trösten, Dämonen erkennen und mit ihnen tanzen, Spaß haben, Ausrasten, das Leben mit dem ganzen Körper spüren – all diese Energie vermittelt sich vor allem, wenn die Band live spielt.

Und in der ein oder anderen Form wird von Trümmer in den kommenden Wochen in Hamburg reichlich zu hören sein. Mit den Songs vom Album etwa im Vorprogramm von den Editors im Stadtpark oder als Hauptact im Molotow. Oder auf der Bühne des Thalia Theaters, wo sie gemeinsam mit Regisseur Stefan Pucher und dem musikalischen Leiter Christopher Uhe den Soundtrack zu der Musical-Inszenierung „Charles Manson: Summer Of Hate“ entwickelt haben.

Bei den eigenen Songs von Trümmer schimmert durch all die Wut und Kritik jedoch stets eine große Wärme hindurch. „Es gibt die Kulisse von der Welt, in der es Probleme gibt. Und davor spielen wir unsere Musik und sagen: Hey, lasst es uns ändern! Das ist ein bisschen wie in der Soulmusik, ein Gefühl des Aufbruchs“, sagt Pötsch und lächelt. Immer wieder lädt Trümmer dazu ein, auf- und mitzumachen. Song für Song öffnet sich das Album, bis Pötsch zum Abschluss in der reduzierten wie frei atmenden Nummer „Morgensonne“ auffordert: „Wir verlassen den Alltag und das falsche Spektakel / denn wir sind viel schöner als das ganze Debakel“. Das Ende ist offen. Aber ein Anfang ist gemacht. Ein guter.

Trümmer „Trümmer“ (Pias/Euphorie),

live: 7.9. Stadtpark (Vorprogramm für die Editors), 26.9.–15.1. Thalia Theater (in „Charles Manson: Summer Of Hate – Das Musical“),

9.11. Molotow; www.facebook.com/truemmer.band