Zwei ausverkaufte Konzerte der Flensburger Band begeistern das Hamburger Publikum. Die Gruppe Santiano zählt mittlerweile zu den erfolgreichsten deutschen Popgruppen.

Hamburg. Das Wort Freiheit taucht oft in den Songs von Santiano auf. In „Frei wie der Wind“ steckt die Sehnsucht nach einer längst vergangenen Idylle ohne ein dauernd piependes Smartphone, einen eng gesteckten Terminplaner und den immer größer werdenden Stressfaktor Freizeit. Hobbysegler kennen dieses entspannte Gefühl, sich nur von Wind und Wellen treiben zu lassen und den Alltag für ein paar Stunden oder Tage hinter sich zu lassen. Mit ihrem Windjammer-Rock nimmt die Band aus Flensburg diese Sehnsucht auf und verpackt sie in einen mitreißenden und mitsingbaren Folk-Rock-Sound. 1,5 Millionen Tonträger hat Santiano in nur zwei Jahren von ihren Alben „Bis ans Ende der Welt“ und „Mit den Gezeiten“ verkauft und zählt damit zu den erfolgreichsten deutschen Popgruppen der Gegenwart.

Um 19.06 Uhr entern die sieben Musiker die Bühne des ausverkauften Stadtparks und legen unter vollen Segeln ab. „Gott muss ein Seemann sein“, „Santiano“, „Blow Boys Bloy“ und „Californio“ heißen die ersten Nummern. Die Band spielt mit einem Tempo, als wolle sie dem Teufel die Hörner absegeln. Die Themen sind maritim gesteckt. Es geht auf große Fahrt um Kap Hoorn ans andere Ende der Welt, das Seemannsleben wird gefeiert, der Freibeuter verherrlicht und gestrandet wird in einer Flaschenpost. Das Stadtpark-Rund ist vollgestopft wie eine Sardinenbüchse, umfallen unmöglich. Tanzen leider auch, obwohl die Musik dazu animiert. Aber klatschen geht. Die Hände hoch wird der schlichte Viervierteltakt zum Grundrauschen des Abends zur mächtigen Woge, auf der das Vollschiff Santiano dahingleitet.

Der Erfolg für die Band um den Sänger und Erzähler Björn Both kam überraschend, doch wer mit den entsprechenden Marketing-Werkzeugen richtig umgehen kann, schafft es, eine so große Popularität zu erzeugen. Die meisten der Songs sind eingängig und mitsingbar, einige davon wie „Whisky In The Jar“, „Irish Rover“ oder „All You Zombies“, im Original von den Hooters, waren Hits, Shantys wie „Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren“ kennt an der norddeutschen Küste jeder. Durch den Klang ihres Geigers Pete David Sage bekommt der Folk-Rock-Sound von Santiano eine ordentliche Prise Irish Folk und der erfreut sich in Deutschland großer Beliebtheit, seit die Dubliners zum ersten Mal hier landeten.

In der Vergangenheit ist Santiano im Vorprogramm von Helene Fischer aufgetreten, die Combo hat aber auch drei Jahre hintereinander beim Wacken-Festival gespielt und war bei der Full Metal Cruise dabei, einer Kreuzfahrt mit Metal Bands. Entsprechend heterogen ist das Publikum an diesem Abend. Ein alter Mann stützt sich auf seinem Rollator ab, während neben ihm drei jungen Typen „Jan und Klaas und Hein und Pit“ besingen, „denn die haben Bärte, die müssen mit.“ Rockfans präsentieren stolz eine ganze Kollektion von T-Shirts der Hard Rock Cafes: Hamburg ist ebenso dabei wie Berlin, Gdansk und sogar Niagara Falls. Eine Frau, Mitte 40 und mit Ankerkettchen um den Hals, tanzt mit ihrer Freundin in Richtung Toilette und singt dabei „Marie ist meine Braut und sie ist wunderschön“, zwei blonde Mädchen betteln ihren Vater um ein Eis an und die Menge skandiert weiter jeden der Gassenhauer mit. Santiano ist ein Feierspaß für die ganze Familie, es macht genauso viel Vergnügen wie ein Schützenfest oder ein Feuerwehrball.

Mehr als zwei Stunden dauert die ausgelassene Schiffsparty im Grünen. Santiano hat einige Knalleffekte dabei: Eine Konfetti-Kanone verschießt goldfarbenes Lametta, am Bühnenrand explodiert Pyrotechnik mit der Lautstärke von Kanonenkugeln, bei „Land in Sicht“ funktioniert Björn Both ein Didgeridoo in ein Nebelhorn um. Die Musiker springen herum wie beim Kindergeburtstag, Peter Sage, der Mann mit der Fidel, erhält für seine Soli Extra-Applaus, das Publikum feiert entfesselt mit. Als zum Schluss auch noch Santianos Hymne „Hoch im Norden“ ertönt, wird das zum Höhepunkt des an Heimatgefühlen überreichen Abends. Für viele Santiano-Anhänger ist der Törn jedoch noch nicht vorbei. Die Musiker schreiben nämlich noch Autogramme. Geduldig reihen sich die Fans auf und warten in einer langen Schlange, bis sie an der Reihe sind. Das bedeutet nach dieser fast zweieinhalbstündigen Tour de Force erst einmal runterkommen. Draußen wartet der Alltag und das Gefühl von Freiheit ist schnell vorbei.