Nach „Ein Garten mit Elbblick“ spielt auch „Das klare Sommerlicht des Nordens“ im Hamburg zur Kaiserzeit. Im Mittelpunkt des Romans stehen dabei zwei sehr verschiedene Frauenfiguren.

Hamburg. Die Wolkenberge stehen grau, weiß und auch schwarz über der Außenalster. Nur vereinzelt reißt der Himmel auf an diesem Morgen, und die Sonne schickt ihre Strahlen auf das dunkle Wasser hinab. Wenige Plätze sind besetzt in der Alsterperle, es ist windig, die Böen kräuseln die Wasseroberfläche.

„Da oben, ein Stück weiter hinauf, da spielen Teile meiner Geschichte“, sagt Petra Oelker und nippt an ihrer heißen Schokolade mit Schlagsahne. Ein Stück weiter hinauf, das ist an der Straße Schöne Aussicht auf der Uhlenhorst. Da wohnt die jüdische Familie Wartberger in einer weißen Villa in Petra Oelkers neuem Roman „Das klare Sommerlicht des Nordens“. Und man schreibt das Jahr 1905.

„Wer hier lebte, lebte behaglich. Meistens.“ So umreißt Oelker gleich auf den ersten Seiten ihres Buches ein Szenario aus Wohlgefühl und schwelender Bedrohlichkeit. Zwar zielt das Fühlen des scheinbar Behaglichen, in dem auch die Sorge und die Unzufriedenheit wohnen, zuvorderst auf Sidonie, der Gattin des Staatsrats Viktor Wartberger. Doch steckt in dieser Formulierung auch der Vorgriff auf das, was Unheilvolles Jahre später kommen sollte.

„Ich fand es auch deshalb so spannend, sich mit einer jüdischen Familie zu beschäftigen, weil sie sich sicher fühlte in jener Zeit. Die sozialen Einengungen waren erst einmal vorbei, und was da von unten hochkam, das fand man gar nicht so wichtig“, erzählt Petra Oelker. Was da hochkam, das war der Antisemitismus des miefigen Kleinbürgertums. In den weißen Villen an der Alster hatte man dafür kein Gespür.

„Das klare Sommerlicht des Nordens“ erzählt die Geschichte zweier Frauen, Sidonie Wartberger und Dora Lenau. So verschieden sie ihrer Herkunft nach sind, so eint sie doch das Streben nach Zielen, die außerhalb ihres als bedrängend empfundenen sozialen Lebens liegen. Dora, die Schneiderin aus der Neustadt, träumt von einer eigenen Modekollektion, Sidonie leidet unter ihrer offenbaren Unfruchtbarkeit, denn nur mit Kindern kann sie dem Status als Gattin eines Staatsrates gerecht werden. Was Sidonie liebt, das ist die Malerei.

„Dieses Gefühl des Eingeengtseins, des Woandershinwollens, dabei aber nicht genau zu wissen, was und wohin, das hat auch mein Leben ziemlich geprägt“, sagt Petra Oelker, Jahrgang 1947. Die studierte Sozialpädagogin arbeitet anfangs als medizinisch-technische Assistentin, war danach lange Jahre als Journalistin unterwegs, unter anderem bei der „Hamburger Rundschau“, hat in der Folge Sachbücher geschrieben und Biografien. 1997 erschien dann mit „Tod am Zollhaus“ Oelkers erster historischer Hamburg-Kriminalroman, dessen Handlung gegen Ende des 18. Jahrhunderts angesiedelt ist und der schnell ein großer Erfolg wurde. Neun weitere Romane um die Wanderschauspielerin und Komödiantin Rosina schrieb die Autorin bis heute, daneben auch einige Kriminalromane („Der Klosterwald“), die in der Gegenwart spielen.

Doch die Geschichte der Stadt hat es Petra Oelker angetan. Sie liest historische Berichte aus jener Zeit, auch Bücher über die Entwicklung der Hamburger Stadtteile, stöbert in ihrem riesigen Fundus alter Schwarz-Weiß-Fotografien und besucht die Schauplätze ihrer Romane, sieht, wie sie heute ausschauen, und entdeckt, was noch geblieben ist von damals. „Natürlich orientiere ich mich auch an alten Stadtplänen. Dann sehe ich die Szenen von damals vor mir und höre auch die Geräusche der Zeit.“ So entwirft sie ihre stimmigen Bilder und Milieus, die später für die Leser Geschichte lebendig werden lassen.

Wie schon in „Ein Garten mit Elbblick“ stellt Oelker auch im aktuellen Roman ihre Figuren in die Kaiserzeit hinein, in jene Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, die für das kommende Jahrhundert so prägend sein sollten. „Es war ja auch eine Zeit, in der die Frauenbewegung auch in Hamburg an allen Ecken aufkam, und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten. Die Frauen erhielten immer mehr Rechte, und so entstanden natürlich auch mehr Wünsche und mehr Möglichkeiten und Vorbilder“, sagt Oelker. Auf dieser sozialen Folie lässt sie ihre beiden Hauptfiguren Sidonie und Dora agieren.

Es ist das erste Mal, dass Petra Oelker mit den Wartbergers eine jüdische Familie ins Zentrum eines Romans stellt. „Für diese Familie hatte ich eine Biografie als eine Art Vorlage, sonst hätte ich das vermutlich so gar nicht schreiben können.“ Die Biografie stammt von Leo Lippmaa, dem ersten jüdischen Staatsrat in Hamburg, der 1933 aus dem Staatsdienst entlassen wurde und sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Anna zehn Jahre später, als die Deportation drohte, das Leben nahm. „Auf der Grundlage dieser Biografie habe ich mich getraut, meine jüdische Familie zu entwerfen, denn was dort über den Alltag und das Leben steht, ist verlässlich“, erzählt Oelker. Lippmann sei schließlich Jurist gewesen und als solcher außerordentlich akkurat.

Etwa in der Mitte des Romans dann kreuzen sich die Lebenswege der beiden Frauen. Dora kommt durch einen glücklichen Zufall als Näherin in das Haus der Familie Wartberger. Die Begegnung dort mit der melancholischen Sidonie soll sowohl für die aus bescheidenen Verhältnissen stammende junge Frau wie auch für die sozial höher gestellte Staatsratsgattin eine folgenreiche sein. Beide Frauen gehen letztlich ihren Weg.

„Das klare Sommerlicht des Nordens“ ist ein stimmungsvolles Porträt des sich aufmachenden 20. Jahrhunderts, wie es sich in Hamburger Verhältnissen spiegelt. Ein Porträt, das seine Spannung auch zieht aus den so konträren Frauenfiguren, die eine neue Zeit der Selbstbestimmung schon in sich tragen. Und mit der plastischen Schilderung der sozialen Milieus ist es Petra Oelker gelungen, auch ein kleines, lokal gebundenes Gesellschaftspanorama dieser Jahre zu skizzieren. In einer Sprache, die tatsächlich der Zeit entlehnt zu sein scheint.

Viel von einst ist nicht geblieben. Die weißen Villen an der Alster aber leuchten nach wie vor, wenn das Licht der Sonne auf sie fällt.

Petra Oelker: „Das klare Sommerlicht des Nordens" Rowohlt Polaris, 415 Seiten, 14,99 Euro

Petra Oelker liest am 5. September in der Kursana Residenz (Ernst-Mittelbach Ring 47, 19.30 Uhr)

und am 6. September in der Buchhandlung

Boysen+Mauke (Große Johannisstraße 19, 15 Uhr)