Premiere im Winterhuder Fährhaus: Ex-Stadionsprecher Marek Erhardt ist als Versicherungsmakler in der Komödie „Vier nach 40“ zu sehen. Auf Theatertournee war Erhardt zuletzt 1999.
Hamburg. Die Linke zur Begrüßung – eigentlich ein Unding. Die Narbe an der rechten Hand und die abgelegte schwarze Manschette auf dem Tischchen verraten indes einiges. „Ein Fahrradunfall!“, klärt Marek Erhardt über die Verletzung auf. Erlitten beim Zigarettenholen auf einem dieser modernen Falträder, die trotz der kleinen Reifen schneller rollen als erwartet. Passiert in Winterhude, seit drei Jahren sein Stadtteil. Aber gut vier Wochen nach der Operation im UKE sehe die Hand mitsamt implantierter Metallplatte schon wieder richtig gut aus, sagt der Schauspieler.
„Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch“, sagt Erhardt. Er hat im Hinterhaus der Komödie Winterhuder Fährhaus gewartet, obwohl wir uns an einem der wenigen probenfreien Tage verabredet haben. Erhardt verbringt den ersten Sommer seit sieben Jahren in seiner Heimatstadt. Darauf hat er sich gefreut, dazu kamen die Kollegen und das Theater. Wenn er in Hamburg war, fuhr er täglich am Haus an der Hudtwalckerstraße vorbei. Jetzt sitzt er nicht nur drin, Marek Erhardt feiert an diesem Freitag im Winterhuder Fährhaus sogar Premiere mit dem Stück „Vier nach 40“.
Er spielt einen Versicherungsmakler, der mit einer arbeitslosen Body-Stylistin (Andrea Lüdke), einer recht erfolgreichen Immobilienmaklerin (Saskia Valencia) und einem leicht depressivem Oberstudienrat (Konstantin Graudus) im Fahrstuhl eines Bürohochhauses stecken bleibt, zwischen dem 40. und 41. Stock. Alle vier Eingeschlossenen haben kürzlich ihren 40. Geburtstag gefeiert. Und nun können sich auf engstem Raum Konflikte hochschaukeln – „wobei ich schon der Konfliktträger bin“, bemerkt Erhardt trocken.
Eine dankbare Rolle für einen, der mit 45 Jahren nach langer Abstinenz mal wieder Theater spielt. Bekannt ist Marek Erhardt dank diverser Gastrollen im NDR-„Großstadtrevier“ und als Hauptdarsteller in der Polizeiserie „Da kommt Kalle“ (ZDF). Im Zweiten war er im Januar auch in dem Sorgerechtsdrama „An deiner Seite“ neben Ursula Karven zu sehen, im November folgt in New York der zweite Teil. Obwohl Erhardt häufig im In- und Ausland gedreht hat, ist er für viele noch immer die Stimme Hamburgs: Jahrelang war der Mann mit dem charmanten Reibeisen Stadionsprecher bei seinem HSV im Volkspark, dort auch Sprecher der WM-Spiele des Jahres 2006 und als ausgewählter Bester seiner Zunft Moderator des WM-Endspiels im Berliner Olympiastadion.
Auf Theatertournee indes war Erhardt zuletzt 1999, damals mit drei Kolleginnen in „Oh diese Männer“ in der Regie von Michael Hinz. „Es brauchte wieder Zeit, um sich reinzufuchsen“, hat er festgestellt. Der Respekt vor der Aufgabe ist ihm anzumerken. 2011 hatte Erhardt zwar bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg „Der Ölprinz“ gespielt, im großen Rondeel vor Tausenden Zuschauern. „Eine andere Form von Theater“ sei das. Im kleinen Fahrstuhl ist jetzt das genaue Gegenteil gefordert. „Sprachlich oder vom Ton her hab’ ich kein Problem, aber wenn ich noch textunsicher bin, neige ich dazu, sehr laut zu sprechen“, sagt er. Inzwischen sei er aber schon viel leiser geworden. Und das, obwohl Regisseur Jochen Busse wollte, dass alle vier Darsteller zur Probe kommen, ohne vorab den Text gelernt zu haben.
Erhardt hat neue, alte Erfahrungen gemacht. Es hat ihn auch mal wieder herausgefordert, das Schauspielhandwerk zu meistern. Mit Komödiant Busse und dem vielseitigen Konstantin Graudus habe er „zweite echte Theatertiere“ , bei denen er sich sehr viel abgucken könne. Wie Graudus hatte Erhardt 1991 unter Michael Bogdanov bei „Romeo und Julia“ im Deutschen Schauspielhaus eine kleine Rolle bekommen – sein erstes Engagement gleich nach der Schauspielschule im New Yorker Herbert Berghoff Studio. Parallel erhielt er das Angebot für die Rolle des Krankenpflegers in der ZDF-Arzt- und Familienserie „Freunde fürs Leben“, die Erhardt acht Jahre lang spielte.
„Wenn du die Möglichkeit hast, Fernsehen zu machen, ist das der finanziell sicherere Job“, sagt der Vater zweier Töchter. „Aber ich war immer so aufgestellt, dass ich mir den Luxus, Theater zu spielen oder auch mal andere Dinge zu machen, leisten konnte, weil ich seit 25 Jahren Werbung spreche.“ Ob Mineralölkonzern, Elektronikkette, Zahnbürstenhersteller, Bier- oder Automarken – Erhardt bediente fast alle. Tagtäglich Werbung zu sprechen, „das ist für mich wie Kaffeetrinken“, sagt der frühere Rundfunk- und TV-Moderator.
Erhardt hat sich immer wieder „neue Betriebsfelder“ gesucht und Themen für sich entdeckt. „Weil unser Beruf so viele Facetten bietet.“ Seine Zeit als Hospitant bei Zivilfahndern in Billstedt für „Da kommt Kalle“ war derart spannend, dass der Schauspieler darüber ein Sachbuch verfasst hat, das am 10. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse erscheint. Titel: „Undercover“.
Den Drang zur Bühne hatte er schon mit 18 entwickelt, während seines Praktikums bei der ZDF-Serie „Das Erbe der Guldenburgs“, die sein Vater Gero inszenierte. Jeden Morgen kutschierte Marek damals Ruth Maria Kubitschek zum Drehort Schloss Wotersen und schwärmt noch heute von der Grande Dame. „Besuch eine Schauspielschule!“, riet sie ihm. Geschadet hat’s nicht.
Ebenso wenig, dass Gero Erhardt seit mehr als 40 Jahren Teil des Fernsehgeschäfts ist: Er hatte Marek bei „Freunde fürs Leben“ besetzt, Krimis wie „Die Männer vom K3“ mit ihm gedreht, auch zwei Fernsehspiele. Stets mit der Maßgabe, „dass ich als Sohn immer 110-prozentig Leistung bringen musste“. „Er hat mir wirklich eine Tür aufgestoßen, aber dann hab ich mich sehr zurückgezogen, weil ich es definitiv allein schaffen wollte“, erinnert sich Erhardt an die Zeit mit Mitte 20. „Mein Vater musste ein bisschen darunter leiden, dass ich versucht habe, mich von meinem Großvater freizuschwimmen.“
An Heinz Erhardt (1909–1979), den Komiker der bundesdeutschen Wirtschaftswunder-Ära, hat Marek keine persönlichen Erinnerungen. Sein Opa hatte 1972 seinen ersten Schlaganfall erlitten, war halbseitig gelähmt und konnte nicht mehr richtig sprechen. Als kleiner Junge fand Erhardt es noch sehr spannend mitzubekommen, wie ungeheuer populär der Großvater gewesen war. „Es ist aber dann ins Gegenteil umgeschlagen. Ich hab mich von ihm immer mehr entfernt und wollte nicht mehr auf ihn angesprochen werden“, erläutert Marek Erhardt.
Das Thema Komödie und der Name Erhardt: Beides ist für Marek bis heute nicht unproblematisch. „Komödie ist schon ein verdammt schweres Fach“, sagt er und räuspert sich. Für Entscheidungen, ob er eine Rolle wie die des Gilbert in „Vier nach 40“ spielen wolle, brauche er immer fünf Minuten länger, räumt der Schauspieler ein. „Du begibst dich ja letzten Endes auf Glatteis, wenn du das annimmst“, weiß er. Er sei kein Komödiant, sagt Marek Erhardt. „Ich bin ein lustiger Geselle, ich hab gern Spaß mit Leuten.“
Den hat der Unterhaltungskünstler derzeit auch mit Busse und Kollegen. Etwa wenn Erhardt den Gilbert als einen Mann mit Hang zum Alkoholkonsum spielen muss. „Da hat mir Jochen tolle Tipps gegeben: Ein Besoffener oder einer, der viel trinkt, ist ja darum bemüht, dass die anderen es nicht merken.“ Erhardt steht im Hinterhaus vom Tischchen auf und spielt es an: erst übertrieben wankend und lallend, dann dezenter, fast aufrecht stehend. Leichte, ganz leichte Anwandlungen an den Opa sind erkennbar. Doch Marek Erhardt sagt bestimmt: „Wenn irgendeiner in die Vorstellung kommt und glaubt, ich versuche hier eine Heinz-Erhardt-Nummer abzuziehen, dann hat er sich gewaltig geschnitten.“
Aber der Enkel ist ja ein positiver Mensch. Sein Malheur mit der operierten Hand will er ins Stück einbauen: „Dann erzähle ich eben jetzt auf der Bühne, dass ich mir die Pulsadern aufschneiden wollte.“ Schwarzer erhardtscher Humor anno 2014. Ob Busse offen dafür ist? Erhardt lacht.
„Vier nach 40“ Premiere Fr 18.7., 19.30 Uhr, bis 14.9., außer Mo, Komödie Winterhuder Fährhaus, Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 15,13 bis 42,33 in allen HA-Ticket-Shops u. unter T. 30 30 98 98