Im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals gab Elton John ein überraschend rockiges Konzert in Kiel.
Kiel. Die Kitschfalle umschifft er. Wer von den 6000 Zuschauern in der ausverkauften Kieler Sparkassen-Arena geglaubt hatte, von Elton John eine sanfte und rührselige Version von „Candle In The Wind“ serviert zu bekommen, musste diese Hoffnung schnell fahren lassen. Mit seiner fünfköpfigen Band spielt er die Nummer als dritten Song des Abends in einem opulenten Arrangement und mit fast schmerzhafter Härte. Eine Handvoll brennender Feuerzeuge werden zwar hochgehalten, aber als Trauerlied wie damals nach dem Unfalltod von Lady Diana taugt das Lied nicht mehr. Die Ballade mutiert zum Rocksong.
Pünktlich um 20 Uhr ist der Sänger und Pianist auf die Bühne gekommen und macht gleich klar, dass der Auftritt kein Schmuseabend werden wird. „Funeral For A Friend“ und „Love Lies Bleeding“ werden den Zuhörern als elf Minuten langes Medley um die Ohren gehauen, dass so mancher in seiner Jackentasche nach Stöpseln wühlt, um seine Gehörgänge vor nachhaltigem Schaden zu bewahren.
John, in blau glitzerndem Mantel und schmaler Sonnenbrille, springt nach der ersten Nummer auf, macht die Becker-Faust und nimmt den Beifall des Auditoriums entgegen. Ein Sieg ist die Performance zwar noch nicht, aber ein wuchtiger Einstand in einen zweieinhalbstündigen Abend. „Greatest Hits“ lautet der Titel des Programms im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF), und genau die stehen auf der Setlist. Bei „Bennie And The Jets“ steht eine junge Frau mit Pferdeschwanz in der fünften Reihe auf und beginnt zu tanzen, aber Nachahmer findet sie nicht. Künstler und Publikum sind noch in einer Fremdelphase, der harte und blecherne Sound irritiert. Nuancen sind kaum auszumachen, Johns Klavier scheppert, aber das Energielevel ist hoch, und „Grey Seal“ groovt. Der 67 Jahre Brite hat offensichtlich Spaß auf der Bühne und nutzt fast jeden Song für ein Solo.
Doch erst bei „Goodbye Yellow Brick Road“ haben die Tontechniker die Anlage und die Akustik der Halle im Griff, und die Feinheiten dieser großartigen Songs werden hörbar. Immer wieder springt Elton John von seinem Klavierschemel auf, zeigt ins Publikum, trinkt ein paar Schlucke Wasser, bevor es weitergeht. Pausen und Auszeiten nimmt der von der britischen Königin geadelte Entertainer nicht, im mittleren Teil des Konzerts, im Anschluss an „Rocket Man“, wird es etwas gefühliger. Bei „The One“ darf die Band kurz verschnaufen, John sitzt allein hinter dem Flügel und schafft den ersten intimen Moment des Abends. Mit „Sorry Seems To Be The Hardest Word“ und „Someone Saved My Life Tonight“ geht es weiter, das Publikum hat den pummeligen Sänger in sein Herz geschlossen, nach jedem Song wird nun im Stehen applaudiert. „Your Song“ wird zum Höhepunkt dieses Balladen-Interrmezzos.
Elton John genießt den Jubel, und er möchte den Fans etwas zurückgeben. Die üblichen Floskeln vom „besten Publikum“ oder ein „Ich freue mich, hier zu sein“ schenkt er sich, sagt lieber etwas Positives über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Das kommt an, zumal viele wissen, dass Elton John ein leidenschaftlicher Anhänger des Fußballs ist und viele Jahre sogar Präsident des FC Watford war. „So wie Deutschland muss man Fußball spielen“, sagt er. Die Sympathien in Sachen WM-Endspiel sind eindeutig. Auch bei John sitzen die Ressentiments gegen Argentinien offenbar tief. Möglicherweise hängt diese Abneigung immer noch mit dem Falkland-Krieg 1982 zusammen, bei dem damals u. a. 258 britische Soldaten starben. „Hoffentlich schlachtet ihr sie“, bemerkt Elton John martialisch und widmete der Löw-Elf „Don’t Let The Sun Go Down On Me“.
Der Song, den Sir Elton im Duett mit George Michael gesungen hat, ist der Auftakt zum dritten Teil des Konzerts, für das er sich dramaturgisch geschickt seine Superkracher aufgespart hat. Bei „The Bitch Is Back“ erhebt sich das Publikum in der Arena unisono von den Plätzen und fängt an zu tanzen, bei „I’m Still Standing“ kennt jeder im Saal zumindest den Refrain, einige auch längere Textpassagen, bei „Saturday Night’s Alright For Fighting“ kocht die Stimmung so hoch wie in dieser Halle sonst nur, wenn der THW Kiel den Gegnern ein Handballtor nach dem anderen einschenkt.
Vor dem abschließenden Song wird es noch einmal intim. Das inbrünstig gesungene „Circle Of Life“ widmet Elton John als ersten Zugabensong seinen beiden Kindern, dann kehrt die Band zurück auf die Bühne, und beim unkaputtbaren Hit „Crocodile Rock“ gibt es kein Halten mehr. Diese Nummer kennt wirklich jeder, 6000 singen begeistert mit.
Geht der Plan des Intendanten auf, ein neues Publikum zu gewinnen?
Der neue SHMF-Intendant Christian Kuhnt kann sich ebenfalls freuen, dass die Öffnung des vor vielen Jahren als reine Klassikveranstaltung gestarteten Festivals vom Publikum mit einem ausverkauften Haus belohnt wurde. Allerdings kann man mit der Verpflichtung eines Elton John auch nicht viel falsch machen. Mit 900 Millionen verkauften Tonträgern gehört er zu den erfolgreichsten Popmusikern überhaupt. Mit Ina Müller, Max Raabe, Dieter Thomas Kuhn und Axel Prahl hat Kuhnt in diesem Jahr weitere Künstler verpflichtet, die von der Klassik Lichtjahre entfernt sind. Aber vielleicht geht sein Plan auf, für das SHMF neues Publikum zu gewinnen.