Die erste, kurze Spielzeit der neuen Intendantin Karin Beier am Schauspielhaus geht zu Ende. Hier spricht sie über ihr erstes Jahr in Hamburg und über ihre Pläne (nicht nur) für die kommende Saison.
Hamburg Ihre erste Spielzeit als Intendantin am Deutschen Schauspielhaus geht Anfang Juli zu Ende. Eine Premiere steht noch aus. Was waren Karin Beiers Erwartungen, als sie das Schauspielhaus übernahm? Was hat sich erfüllt? Was hätte besser laufen können? Neben der Havarie des Eisernen Vorhanges, die eine Woche vor Spielzeitbeginn im November das Theater für zwei Monate beinahe lahmlegte, verblasst manches. Im Gespräch mit dem Abendblatt zieht Beier Bilanz und blickt in ihre zweite Spielzeit.
Hamburger Abendblatt: Was hat Sie in Hamburg am meisten überrascht?
Karin Beier: Dass sich unser Ensemble, das ja aus dem einen oder anderen Alphatier besteht und neu zusammengewürfelt war, von Anfang an als homogene Truppe erwiesen hat. Dass sich alle Mitarbeiter des Schauspielhauses ungeheuer ins Zeug gelegt und das Unmögliche möglich gemacht haben. Wir mussten Premieren verlegen, neue Spielorte aufbauen, parallel proben. Das hat alles geräuschlos und ohne Aufhebens wunderbar geklappt. Wir haben im Studio Hamburg, auf der Veddel, in der Gaußstraße und hier gearbeitet und alles lief wie am Schnürchen. Wenn Schauspieler neu in eine Stadt kommen, wollen sie sich natürlich auf der Bühne zeigen. Das konnten sie dann aber erst nach einem halben Jahr. Trotzdem ist das Ensemble wunderbar zusammengewachsen.
Sie waren Intendantin in Köln. Was ist hier anders?
Beier: Man muss hier mehr um die Zuschauer kämpfen. Das hängt sicher damit zusammen, dass das kulturelle Angebot in Hamburg größer ist und das Schauspielhaus auch nicht das einzige Staatstheater. Die Hamburger scheinen mir generell gesättigter. Wir können nicht voraussetzen, dass die Zuschauer von vornherein extrem neugierig auf das sind, was wir am Schauspielhaus treiben. Andererseits haben wir das Publikum extrem gefordert. Und zwar nicht nur durch unser Programm, sondern auch dadurch, dass es ein halbes Jahr gar kein Programm gab und dann plötzlich pausenlos Premieren. Kein Mensch rennt an jedem Wochenende ins Theater. Wir haben noch keine Normalität in der Beziehung zum Zuschauer. Das geht eigentlich erst in der kommenden Spielzeit los. Ich glaube, es ist schwierig, das Publikum hier zu erreichen. Aber es ist auch viel zu früh für dieses Urteil. Überrascht hat mich allerdings die Diskrepanz zwischen den Vorstellungen. Manche gehen extrem gut, manche weitaus weniger gut.
Sie hatten kaum hier angefangen, da hieß es im März bereits, Sie seien mit dem Wiener Burgtheater im Gespräch für den dortigen Intendantenposten. Was ist da dran?
Beier: Ich fange gerade an, mich hier wohl zu fühlen, sowohl in der Stadt als auch am Schauspielhaus. Das Ensemble, die Mitarbeiter sind gut zusammengewachsen, und das ist ein schönes Gefühl. Da wäre es völlig absurd, mitten im Vertrag 2016 zu wechseln.
Sie wurden mit unglaublich hohen Erwartungen in Hamburg empfangen. Ist dieser Druck jetzt weg?
Beier: Theater ohne Druck gibt es nicht. Das muss einem klar sein, wenn man diesen Job macht. Da kann ich nur wieder einmal sagen: „Augen auf bei der Berufswahl.“
Gab es Enttäuschungen?
Beier: Ja. Das beginnt damit, dass wir uns für den Anfang einen ganzen Blumenstrauß an Premieren ausgedacht hatten, die alle so nicht stattfinden konnten. Wir hatten zwei Jahre darauf hingearbeitet, alles war gut abgestimmt. Das wurde nun auseinandergerissen, und die Inszenierungen standen anders da, wie nackt. Der Zusammenhang war weg. Darüber hinaus ist jeder Spielplan Spekulation. Und die geht nie so auf, wie man es sich vorstellt. Wenn es so wäre, gäbe es ja ausschließlich Erfolge an den Theatern. Es gab aber auch Spekulationen, die gar nicht aufgegangen sind. Zum Beispiel „Carmen Disruption“, wo wir uns etwas Süffiges vorgestellt hatten. Wir wollten eine spartenübergreifende Arbeit, einen etablierten Autor, einen Regisseur, der mit dem Autor vertraut ist. Jeder einzelne Schritt war richtig. Am Ende war die Aufführung aber nicht saftig genug, sie war zu spröde.
Kann es nicht auch sein, dass die Zuschauer nicht so gerne in Stücke gehen, deren Titel sie nicht zuordnen können, weil sie sich nichts darunter vorstellen können? Man muss doch das Publikum reinziehen.
Beier: So sehe ich das nicht. Ich denke nicht über den Marketingaspekt nach. Vielleicht wäre aber ein Titel „Carmen“ leichter gegangen.
Dieses Jahr ist Shakespeare-Jubiläum. Sie sind Shakespeare-Expertin. Der Autor ist ein Publikumsmagnet. Warum haben Sie so wenig von ihm im Programm?
Beier: Ich wollte in meiner ersten Spielzeit etwas Neues zeigen, andere Duftnoten setzen. Ich wollte zeigen, wer wir sind. Und ich habe „Die Rasenden“ inszeniert. Daneben hätte ich nicht noch Shakespeare auf die Bühne bringen können. Es war keine Entscheidung gegen Shakespeare. Ich hatte auf anderes Lust. Wir wollten in der ersten Spielzeit etwas mehr Risiko wagen. Ich gebe zu, unser Programm war sehr uraufführungslastig. Wir wussten auch, dass das nicht ganz unproblematisch sein würde. Am Anfang wurde unser Programm sehr gut angenommen. Momentan läuft es auch gut, aber zwischendurch gab es ganz klar Durchhänger. In der zweiten Spielzeit sind wir deutlich vorsichtiger. Erstaunlich gut läuft Katie Mitchells Uraufführung „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“, das wir im Studio Hamburg herausgebracht haben, das sich aber auch nach der Übernahme ins Schauspielhaus sehr gut verkauft.
Was behalten Sie in der kommenden Saison bei?
Beier: Meine Zusammenarbeit mit den Regisseurinnen Karin Henkel und Katie Mitchell beispielsweise. Die geht schon über viele Jahre, da setze ich drauf.
Sie haben Ibsen, Gorki, Hauptmann, Tschechow, Beckett und Shakespeare auf dem neuen Spielplan. Er klingt gefälliger.
Beier: Finden Sie? Ja, wir haben eine andere Balance zwischen Experiment und bekannten Titeln. Ich hätte gerne noch eine größere, genreübergreifende Produktion im Haus, aber dazu hätten wir den Kuchen weniger gleichmäßig verteilen und viel mehr in das große Projekt stecken müssen. Wir zeigen aber auch ein paar Uraufführungen und Projekte. Rimini Protokoll machen in einer fiktionalen Welt-Klimakonferenz die Strukturen, Hintergründe und Hauptkonfliktlinien der realen Welt-Klimakonferenz interaktiv erlebbar. Katie Mitchell nähert sich mit dem Klimaforscher Chris Rapley und dem Autor Duncan Macmillan in der Lecture Performance „2071“ den Fragen des Klimawandels. Und wir zeigen Shakespeares „Wie es euch gefällt“, inszeniert von Christoph Marthaler.
Was haben Sie plötzlich gegen Shakespeare?
Beier: Stücke, die ich schon inszeniert habe, will ich nicht noch mal machen. Seine Liebesgeschichten wie „Romeo und Julia“ oder „Sommernachtstraum“ interessieren mich gerade nicht so sehr. Die Komödien auch nicht. Ich hätte mir den „Kaufmann von Venedig“ vorstellen können, aber ich bin zu eingespannt, um mir wirkliche Gedanken darüber machen zu können, wie ich etwa den Juden im Stück heute sehe. Das erfordert genaue, intensive Vorbereitung. Damit setzt man Akzente. Ich bin gerade zu kleinmütig dafür, zu wenig mutig. Früher habe ich mich für Stücke entschieden, ohne zu wissen, was ich damit erzählen wollte. Heute kann ich das nicht mehr. Ich muss eine Idee haben, wissen, was ich will, welcher Schauspieler spielt. Ich kann mich nicht ins Blaue hinein für ein Stück entscheiden und erst bei der Arbeit daran herausfinden, welche Haltung ich dazu einnehme. Das Theater ist ein öffentlicher Ort, man macht mit seiner Inszenierung auch ein politisches Statement. Ich werde sicher irgendwann „Hamlet“ inszenieren. Erst muss ich aber wissen, mit welchem Schauspieler ich die Titelrolle besetze. Ebenso bei „Richard III.“.
Sie inszenieren den zweiten Theatergott, Tschechow, seinen „Onkel Wanja“. Was haben Sie vor?
Beier: Ich werde mich genauer im Sommer damit beschäftigen. Aber wir haben inhaltlich für die kommende Spielzeit thematisch auf Generationen und Klima gesetzt, auf die Frage‚ „Was hinterlässt die ältere Generation den Nachfolgenden?“. Da passt „Wanja“ gut. Es geht um Verantwortung, um Ordnung und Unordnung. Es geht um den Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen und um die Ausbeutung der Natur.
Gibt es Probleme, die mit den Umbaumaßnahmen der Ober- und Untermaschinerie zusammenhängen?
Beier: Ja, viele. Die Akustik ist schlecht, es müssen Schleusen nachgebaut werden. Die Obermaschinerie funktioniert, aber im Bühnenturm wird es zu heiß. Die Unterbühne funktioniert nach wie vor nicht. Es muss noch vieles gemacht werden, im Moment sammeln wir und es muss alles erst durchkalkuliert werden. Das dauert noch lange. Unser Geschäftsführer Peter Raddatz beschäftigt sich von morgens bis abends mit der Baustelle. Ich kann das nicht in dem Maße. Im Sommer gibt es keine größeren Baumaßnahmen. Ich kann nicht die zweite Spielzeit wieder mit einem Theater im Umbau beginnen.
Welche Vorstellungen laufen am besten?
Beier: „Die Rasenden“, „Die Schule der Frauen“, „Der Gott des Gemetzels“, „Das Goldene Vlies“.
Die haben alle gute Kritiken bekommen.
Beier: Das spielt sicher eine Rolle, aber es ist immer eine Mischung aus Kritiken, Mundpropaganda und einer überzeugenden künstlerischen Arbeit. Ich glaube, die Hamburger mögen sehr gerne Komödien. Lieber als die Kölner.
Kaum zu glauben.
Beier: Doch. In Köln hat man zum Amüsieren den Karneval. Hier amüsiert man sich gerne im Theater. Ich werde in der nächsten Spielzeit eine Komödie von Alan Ayckbourn inszenieren. Da wollen wir es richtig krachen lassen.
Was wäre ihr größter Wunsch?
Beier: Ich möchte gerne für dieses große Theater ein wirklich großes, spartenübergreifendes Kunstwerk schaffen. Der Begriff des Spektakels ist ja verpönt, er gilt als oberflächlich. Aber ich würde hier gern ein ganz saftig zupackendes Spektakel veranstalten. Man darf nicht ängstlich sein.
Vielleicht muss man nicht immer die Welt neu erfinden.
Beier: Doch. Die Welt wollen wir auch neu erfinden.