Wie Pressereferent Thomas Müller mitteilte, musste die Aufführung wegen eines Unfalls im Ensemble abgesagt werden. Es sei unklar, wann die Aufführung nachgeholt werden könne.

Hamburg. Das Schauspielhaus hat die Premiere von Jean Genets „Die Neger“ (Les Nègres“) in der Regie von Johan Simons für diesen Sonnabend abgesagt. Der Schauspieler Benny Claessens von den Münchner Kammerspielen hat sich am Freitag auf einer Probe am Fuß verletzt. Eine Umbesetzung ist nicht möglich. Die Inszenierung ist eine Koproduktion des Schauspielhauses mit den Münchner Kammerspielen und den Wiener Festwochen, wo sie am 3. Juni Premiere hatte. Es wäre die erste Arbeit, die der holländische Regisseur Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, in Hamburg zeigt. Einen neuen Termin gibt es vorerst nicht.

Allein der Titel ist schon Provokation

Manche Theateraufführungen werfen lange Schatten voraus. Johan Simons’ Inszenierung von Jean Genets „Die Neger“, die an diesem Sonnabend Premiere im Schauspielhaus haben sollte – eine Koproduktion des Schauspielhauses Hamburg, der Münchner Kammerspiele und der Wiener Festwochen –, drohte bereits an erster Aufführungsstätte in Wien eine Skandalpremiere. Schon im Vorfeld hagelte es Proteste im Namen des Antirassismus.

Allein der Titel des Stücks, „Les Nègres“ („Die Neger“), ist natürlich eine Provokation. Regisseur Johan Simons wollte ihn gerne ändern, doch das erlaubte der für die deutsche Übersetzung verantwortliche Peter Stein nicht. Für Dispute sorgten auch vorab veröffentlichte Fotos, die schwarz geschminkte Gesichter und clownesk mit Farbe umrahmte Augen und Münder zeigten.

Nun wäre es in der Tat völlig abwegig, Johan Simons, diesem feinsinnigen Regisseur und Intendanten der soeben von der Fachzeitschrift „Theater heute“ zum Theater des Jahres gekürten Münchner Kammerspiele, rassistische Motive zu unterstellen. Viele Kritiker und Theatergänger rätseln allerdings, warum er dieses sperrige, 1959 entstandene Stück überhaupt aufführt, eine Clownerie, die auf gleichnishafte Weise mit Klischees arbeitet. Die Handlung: Vor einem weißen Hofstaat spielen Schwarze die Ermordung einer Weißen inklusive anschließender Ahndung durch ein weißes Gericht. Am Ende steht der Untergang des Hofstaates.

Nach seinen Motiven für die Wahl des Stückes gefragt, zitiert Simons den schwarzen Psychiater und Vordenker der Entkolonialisierung, Frantz Fanon: „Man muss wieder Kind werden, um bestimmte psychische Realitäten zu verstehen.“ Fanon zeige in seiner Studie „Schwarze Haut, weiße Masken“, dass die rassistischen Klischees der europäischen Kultur gegenüber Schwarzen auf Verdrängungen beruhen. Es gehe darum, die eigenen Abgründe dem anderen zuzuschreiben, ihn zum Sündenbock zu machen. Diese Vorgänge verhandele Genet in „Die Neger“.

„Es geht um eine Art Exorzismus rassistischer Klischees, die während der Kolonialgeschichte meines Heimatlandes, der Niederlande, aber auch in der deutschen Geschichte geprägt wurden und die heute noch unsere Köpfe vergiften.“ Er frage sich, ob die aktuellen Einwände gegen dieses Stück nicht auch mit einer Verdrängung zusammenhängen: der Verdrängung der Tatsache, dass die Verbrechen des Kolonialismus bis in unsere Gegenwart wirken.

Genet selbst sagte „Ich bin ein Neger.“ Und meinte damit sein eigenes Außenseitertum als bei Pflegeeltern und in Besserungsanstalten aufgewachsener, wegen allerlei Delikten verurteilter, später von Jean Cocteau zum „Heiligen“ stilisierter Dichter aus der Gosse. „Es ist auch ein Stück über Theater, eine Liebeserklärung an sein subversives Potenzial“, sagt Johan Simons. „Man kann es anschauen wie ein böses Kasperlespiel, das immer wieder anarchische Abwege nimmt und den Bann der fürchterlichen, rassistischen Geschichte durch Gelächter bricht.“

Der Aufruhr im Vorfeld der Wiener Inszenierung fiel in eine Zeit, in der die Debatte darüber, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft auf der Bühne zu zeigen sind, hochkochte. Sie entzündete sich zunächst an einer Inszenierung des auch in Hamburg wohlbekannten Regisseurs Michael Thalheimer am Deutschen Theater Berlin. In seiner Version von Dea Lohers „Unschuld“ spielen weiße Darsteller Schwarze mit gefärbten Gesichtern.

Ein Verfahren, das in der rassistischen Tradition des „Blackfacing“ steht, einer Praxis, die in Minstrel Shows im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten in Mode war und die die Schwarzen als naive, fröhliche Narren darstellte. Die aktuelle Besetzungspraxis an den deutschen Theatern ist allerdings auch Folge einer zu geringen Quote an Darstellern mit Migrationshintergrund.

Die Protestler von Berlin bis Wien verwahren sich nun generell gegen dieses Verfahren, ohne Ansehen von Inhalt oder Kontext des Stückes. Für Simons waren die entstandenen Debatten über Stücktitel und Plakatfotos vorhersehbar. „Sie sind auch wichtig, weil wir alle unser Bewusstsein dafür schärfen sollten, dass Alltagsrassismus unsere Gesellschaft durchaus noch prägt“, sagt er. „Man muss sensibel und verantwortungsvoll mit diesen Fragen umgehen. Allerdings erfährt die Debatte mitunter eine ideologische Aufladung, die ich für gefährlich halte. Wenn Politik der Kunst diktiert, was sie darf oder nicht, wird es immer gefährlich. Diffamierungen als ,entartete Kunst‘ kennen historisch gesehen Rechte wie Linke.“

Der Autor Jean Genet selbst bestand in den 1960er-Jahren darauf, dass das Stück ausschließlich von Schwarzen zu spielen sei. Erst 1983 erlaubte er Regisseur Peter Stein, es mit Weißen zu besetzen. „Wenn ich das Stück heute mit weißen Schauspielern, die weiße, aber auch schwarze Masken tragen, inszeniere, geht es mir tatsächlich um die Weißen unter den Masken, um eine Art Exorzismus der rassistischen Anteile in uns allen, um eine Austreibung unserer eigenen bösen Geister“, sagt Johan Simons.

Die schwarze Perspektive vertritt Felix Burleson, ein niederländischer Schauspieler mit Wurzeln in Surinam, der mit dem weißen Schauspieler Stefan Hunstein als Double den Spielleiter Archibald verkörpert. „In seinem Kopf, in seinem Traum findet das Spiel statt, das ihm immer wieder zu entgleiten droht“, so Simons.

In Wien blieben Proteste bei der Aufführung am Ende aus.