„C’est la vie“ heißt der Titel einer Ausstellung, in der die Hamburger Kunsthalle Werke von Toulouse-Lautrec und Honoré Daumier gegenüberstellt. Zu sehen sind überwiegend Lithographien, aber auch einige Gemälde und plastische Arbeiten.
Hamburg. Was der Stadtplaner Georges-Eugène Baron Haussmann da im Auftrag von Napoleon III. ab 1853 mit Paris anstellte, würde heutige Denkmalpfleger zur Verzweiflung bringen: Der mit großer Machtfülle ausgestattete Präfekt des Département de La Seine ließ historische Bauwerke gleich reihenweise abreißen, um Schneisen durch die Stadt zu treiben. Statt verwinkelter Gassen wurde die französische Metropole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von breiten Boulevards, repräsentativen Plätzen, prachtvollen Bahnhöfen, Hotels, Theatern und Varietés geprägt. Und mit der modernen Stadt verändert sich auch das Leben in der französischen Metropole, die Walter Benjamin als „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet hat. Das moderne Paris wurde zur Bühne eines städtischen Bürgertums, das sich auf neue Weise und an neuen Orten begegnete und sich bewusst in Szene setzte. Die zur selben Zeit neu entwickelten Reproduktionstechniken veränderten auch das Verhältnis der Menschen zur Kunst, die jetzt mit großformatigen Werbe- oder Theaterplakaten, Illustrationen und Karikaturen zu einem Massenphänomen wurde.
Die Ausstellung „C’est la vie – Das Paris von Daumier und Toulouse-Lautrec“ zeichnet diese Situation aus der Perspektive zweier herausragender französischer Lithographen des 19. Jahrhunderts nach, deren Werk jetzt erstmals unmittelbar miteinander in Beziehung gesetzt wird. Das erscheint zunächst erstaunlich, da Honoré Daumier (1808–1879) und Toulouse-Lautrec (1864–1901) durch mehr als eine Generation voneinander getrennt sind. Und auch sonst unterscheidet sich ihr Blick auf die Gesellschaft ihrer Zeit erheblich. Während es für den politisch denkenden Daumier vor allem um der satirisch-entlarvenden Blick auf menschliche Verhaltensweisen ging, schildert Toulouse-Lautrec das elegante Treiben auf den Boulevards, in den Theatern und Varietés. Charakteristisch für beide Künstler ist zunächst die außerordentliche Qualität ihrer Arbeiten und das Interesse an der Lithographie, die die Verbreitung ihrer Blätter in hohen Auflagen ermöglichte. Daumier hatte sich Jahrzehnte lang mit dem neuen Medium beschäftigt und insgesamt etwa 4000 Lithographien geschaffen, Toulouse-Lautrec in seinem sehr viel kürzerem Leben immerhin mehr als 300. Obwohl der Schwerpunkt auf der Grafik liegt zeigt die Ausstellung auch einzelne Gemälde sowie einige plastische Arbeiten. Sie stammen zum erheblichen Teil aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle, daneben gibt es aber auch Leihgaben aus dem Museum für Kunst und Gewerbe sowie weiteren großen Museen und Privatsammlungen.
Eine Gegenüberstellung von Daumier und Toulouse-Lautrec erscheint gerade aufgrund ihrer unterschiedlichen Sichtweise interessant, ist aber andererseits auch reizvoll, weil es eine Fülle thematischer Überschneidungen gibt, etwa das Interesse an Gerichtsverhandlungen, Theaterszenen und Motiven aus der Freizeitwelt. Dass der Theaterbesuch für das Publikum bereits eine eigene Inszenierung ist, zeigen beide Künstler oft mit einem Perspektivwechsel: So werden Bühne und Loge vertauscht, der Zuschauer, der sich in sicherer Anonymität wähnt, wird unerwartet zum Akteur, bei Toulouse-Lautrecs „Die Loge mit der Goldmaske“ zum Beispiel mit einer raffinierten Untersicht, in der die Dame in der Loge in grellem Licht maskenhaft erscheint.
Als unangenehm entlarvend empfanden Toulouse-Lautrecs Zeitgenossen die Grafik-Folge „Elles“, in der er Prostituierte nicht als elegante Verführerinnen darstellt, sondern als normale Frauen, die ihren Alltag bewältigen. Die Mappe, die zu den größten Leistungen des Künstlers gehört, verkaufte sich zunächst ausgesprochen schlecht. Anders als die Porträts von Schauspielern, die in der damaligen Pariser Gesellschaft Stars waren. Das Pferderennen, das Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur ein sportliches, sondern zugleich auch ein gesellschaftliches Ereignis war, faszinierte Toulouser-Lautrec, der sich aufgrund seiner Behinderung selbst nicht sportlich betätigen konnte, ganz besonders. Immer wieder hat er Reiter und Rennszenen dargestellt, wobei er das rassige Rennpferd als Symbol für Stärke und Eleganz sah. Mit ganz anderem Blick betrachtete Daumier den Trubel der Rennbahnen, deren Kehrseite er schmerzhaft in den Fokus nahm. Er zeig den zu Boden gestürzten Jockey und das gestürzte Pferd, das auf seinen Blättern als Sinnbild der geschundenen Kreatur erscheint. Überhaupt betrachtet er das Freizeitverhalten des großstädtischen Bürgertums durchweg mit ironischer Distanz, ähnlich wie die Beziehung zwischen den Geschlechtern, die bei Daumier stets von Missverständnissen und Missgeschicken geprägt sind. Doch während es ihm nie um individuelle Geschichten und Personen zu gehen scheint, sondern viel eher um die in seinen Augen kritikwürdigen Verhaltensmuster der prägenden Gesellschaftsschicht seiner Zeit, begegnen uns auf den Blättern von Toulouse-Lautrec stets Persönlichkeiten mit individuellen Zügen, die sich sehr oft klar identifizieren lassen. Die sich so dramatisch wandelnde Pariser Stadtlandschaft wird freilich für keinen der beiden Künstler zum Thema, nur indirekt greift Daumier das Thema in Lithographien auf, in denen er einen Pariser Bürger zeigt, der sich über den Abriss des Nachbarhauses freut, ohne zu ahnen, dass schon bald sein eigenes Haus den von Georges-Eugène Haussmann vorangetriebenen Straßenerweiterungen zum Opfer fallen wird.
C’est la vie. Das Paris von Daumier und Toulouse-Lautrec. Kunsthalle, bis 3.8., Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00, www.hamburger-kunsthalle.de