Die Ausstellung „Körperwelten“ ist in vielen Ländern erfolgreich. Vom 16. Mai an ist eine aktuelle Schau mit dem Titel „Eine Herzenssache“ in der HafenCity zu sehen.

Hamburg. Es bleibt ein Tabubruch, denn der Tod ist in den modernen Gesellschaften marginalisiert. Das Bewusstsein um die eigene Endlichkeit wird ausgeblendet so lange es irgendwie geht. Und wenn wir mit dem Tod anderer Menschen konfrontiert werden, sind wir unsicher. Oft finden wir nicht die richtigen Worte und Gesten, um Sterbenden zu begegnen. Aber das geschieht ohnehin nur selten, denn wenn es ans Sterben geht, verschwinden die Menschen aus der Öffentlichkeit. Die im Spätmittelalter propagierte Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, erscheint uns heute vollkommen unverständlich und jeder Hinweis auf den eigenen Tod jagt uns Angst ein. Das Memento mori, das Bewusstsein des unausweichlichen Todes, gilt in der modernen Gesellschaft als Zumutung.

Auf den ersten Blick ist der enorme Publikumserfolg der „Körperwelten“ daher erstaunlich. Als die Ausstellung von Ende Januar bis Anfang Mai zuletzt in Dresden gezeigt wurde, kamen mehr als 180.000 Menschen, um die Plastinate zu sehen, mit denen der Anatom Gunther von Hagens weltweit Furore macht. Seit 1995 tourt die Ausstellung mit wechselnden Schwerpunkten durch Europa, Amerika, Asien und Südafrika.

Etwa 40 Millionen Menschen haben sie inzwischen gesehen, ein beispielloser Erfolg. Ab dem 16. Mai wird die Schau mit dem Untertitel „Eine Herzenssache“ nun für fünf Monate auch in der Hamburger HafenCity zu sehen sein. Ausstellungsort ist die CulturCompagnie an der Shanghaiallee, wo etwa 200 menschliche Präparate sieben Tagen die Woche zu sehen sind. Als von Hagens 2003/04 schon einmal in Hamburg gastierte, wo die Ausstellung in den damals leer stehenden Räumen des ehemaligem Erotic Art Museums unterkam, war das Publikumsinteresse bereits enorm – ebenso wie die Kritik. Und von Hagens machte es seinen Gegnern nicht schwer, zumal Werbung und Ausstellungsdesign sowie die Inszenierung einzelner Präparate allzu marktschreierisch, sensationsheischend und voyeuristisch daher kamen. Mochte der Initiator noch so sehr betonen, dass ihm allein die gesundheitliche Aufklärung am Herzen liege, roch das Event am Nobistor allzu sehr nach Sensation und Spektakel. Vor allem bestimmte „lebensnahe“ Posen, die von Hagens seine Plastinate zum Beispiel als Reiter oder Schachspieler einnehmen ließ, empörten die Kritiker, die ihm die Missachtung der Menschenwürde vorwarfen.

Unumstritten sind die „Körperwelten“ bis heute nicht, aber im Vergleich zur Ausstellung an der Reeperbahn wirkt die jetzige Schau deutlich seriöser. Auch wenn von Hagens Ehefrau Angelina Whalley, die als Direktorin des Instituts für Plastination in Heidelberg für den Inhalt und die Gestaltung der Ausstellung zuständig ist, nach wie vor nicht gänzlich auf Posen verzichten mag, wirken Design und Konzept inzwischen deutlich ernsthafter.

Der Countdown für Hamburg läuft schon, als sich an einem der letzten Dresdner Öffnungstage Ende April im Ausstellungszentrum „Zeitenströmung“ in einem ehemaligen Industriegelände Hunderte Besucher um die Plastinate der „Körperwelten“ drängen. Alle Altersgruppen sind vertreten, darunter auffällig viele Jugendliche, die die vergleichsweise hohen Ticketpreise nicht abzuschrecken scheinen. Die Menschen wirken konzentriert, nachdenklich, manche fast schüchtern, jedenfalls kaum wie Voyeure. Haben sie jetzt so etwas wie ein Memento-Mori-Erlebnis? Fast fast jeder hält einen Audioguide in der Hand, mit dem man sich durch die Ausstellung führen lassen kann. Die Räume sind abgedunkelt, die Plastinate werden einzeln beleuchtet, Texttafeln und Schaubilder erläutern anatomische und physiologische Zusammenhänge. Im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung, die so auch in Hamburg zu sehen sein wird, steht das menschliche Herz. „Das ist kein Plastinat, sondern ein originalgetreues Kunststoffmodell“, sagt Sophia, eine Medizinstudentin im achten Semester, die als Medi-Guide im Ausstellungsteam arbeitet. „Wir wollten mit eher leichter Kost beginnen“, sagt sie und zeigt auf das etwa faustgroße Modell, das die Besucher auf das Thema einstimmen soll. Doch bei den übrigen Ausstellungsstücken handelt es sich tatsächlich um die haltbar gemachten Überreste von Menschen, die wirklich einmal gelebt haben. „Körperspender“, heißen sie in von Hagens Terminologie.

Doch wenn Sophie von Knochen und Knorpeln spricht, die Funktion von Muskeln einzelner Gehirnareale erläutert, tritt dieser Umstand in erstaunlichem Maß in den Hintergrund. Die Plastinate sind merkwürdig abstrakt, sie wirken anonym. Oder ist das nur eine Schutzreaktion des Besuchers, der merkwürdig emotionsfrei vor den Exponaten steht? Immerhin steht soviel fest: Wer sich die Ausstellung durch den Audioguide erläutern lässt oder an einer Führung mit einem Medi-Guide teilnimmt, lernt eine Menge über die Funktionen seines Körpers – und das, was er ihm mit seinemVerhalten mitunter zumutet. Vielleicht ließe sich das, wie die Kritiker meinen, ja auch mit Animationen oder Modellen erreichen. Sicher ist aber auch, dass bloße Nachbildungen niemals so viele Besucher erreichen würden wie von Hagens kalkulierter Tabubruch mit der Ausstellung menschlicher Plastinate.

Körperwelten. Eine Hezenssache. KulturKompagnie, Shanghaiallee 7, 16.5.–14.10., Mo-Fr 9.00–19.00, Sa 10.00–21.00, So 10.00–19.00, Erw. 19,-, Infos www.koerperwelten.com