Eine Tagung beschäftigt sich mit Kulturinstitutionen und ihrem Umgang mit menschlichen Überresten. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten fehlte jegliches Problembewusstsein
Hamburg. Mumien, Moorleichen, Schädel, ganze Skelette und sogar in Glasbehältern mit Alkohol aufbewahrte Köpfe und andere Körperteile Verstorbener werden in vielen Museen dem Publikum gezeigt. Sie gehören zu archäologischen, anthropologischen, lokalhistorischen oder medizingeschichtlichen Sammlungen und sind beim Publikum oft besonders beliebt.
Der Störtebeker-Schädel, der 1878 bei Bauarbeiten auf dem Grasbrook gefunden wurde und zu den populärsten Exponaten des Museums für Hamburgische Geschichte gehört, ist ein bekanntes Beispiel. Ob wir es wirklich mit dem Haupt des berühmten Piraten zu tun haben, dessen Existenz ohnehin historisch nicht gesichert ist, scheint fraglich. Nur so viel ist gewiss: Bei dem Museumsstück handelt es sich nicht nur um ein Zeugnis der Kulturgeschichte, sondern eben zugleich um den Überrest eines Menschen mit einem besonderen Schicksal, der Anfang des 15. Jahrhunderts in Hamburg hingerichtet wurde.
Wieso finden wir es eigentlich völlig normal, dass der Schädel dieses Mannes nicht würdevoll beigesetzt, sondern als Attraktion zur Schau gestellt wird? Und woran mag es liegen, dass der Tod in der modernen Gesellschaft einerseits ein weitgehend tabu-isiertes Thema ist und andererseits die Ausstellung menschlicher Überreste im Museum als selbstverständlich akzeptiert wird?
In der kommenden Woche wird sich der Deutsche Museumsbund in Berlin mit diesem Thema beschäftigen. Unter dem Titel „Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen“ stellt der Dachverband der deutschen Museen auf einer Pressekonferenz in Berlin die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe vor, die die gängige Ausstellungspraxis kritisch hinterfragt hat und Empfehlungen für den künftigen musealen Umgang mit diesen Zeugnissen individueller menschlicher Existenz gibt.
Welch hohes Maß an Konfliktpotenzial dieses Thema birgt, hat spätestens die öffentliche Auseinandersetzung um die „Körperwelten“-Ausstellung mit plastinierten Leichen gezeigt. Doch während es sich hierbei um die privat organisierte Schau des höchst umstrittenen Anatomen Gunter von Hagens handelt, gehören menschliche Überreste in öffentlichen Sammlungen seit jeher zum musealen Alltag.
Bis vor wenigen Jahrzehnten gab es auch in renommierten Häusern kaum ein Problembewusstsein. Manchmal wurden menschliche Überreste auf oft recht würdelose Weise gezeigt. Allerdings mussten sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Entweder sie waren sehr alt, oder sie kamen aus fernen Weltgegenden. So gehört zum Beispiel der Junge von Windeby zu den Hauptattraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf. Diese und weitere Moorleichen, die 1952 von Torfstechern entdeckt wurden, stammen aus der Eisenzeit, also einer weit zurückliegenden Ära.
Auch ägyptische Mumien sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen europäischen und amerikanischen Sammlungen ganz selbstverständlich Teil musealer Präsentationen. Die respektvolle, ja ehrfürchtige Grundhaltung, die eigentlich seit der Antike den Umgang mit den Toten bestimmt, scheint immer dann an Bedeutung zu verlieren, wenn es um menschliche Überreste aus fernen Zeiten geht.
Oder wenn wir es mit Menschen aus anderen Kulturkreisen zu tun haben. 1770 brachte James Cook aus Neuseeland den mumifizierten und reich tätowierten Kopf eines Maori mit nach Europa, wo er für enormes Aufsehen sorgte. Doch während dieser und viele weitere in westliche Sammlungen gelangten Schädel für die neuseeländischen Ureinwohner Trophäen oder auch Teil ihrer Ahnen- und Erinnerungskultur waren, wurden sie in Europa zu schaurigen Schaustücken degradiert.
„Es verletzt mich, wenn ich Schädel von Angehörigen meiner Kultur in westlichen Museen ausgestellt sehe. Ich halte das für völlig unangebracht“, sagte der neuseeländische Schnitzer Jim Schuster, als er vor einem Jahr nach Hamburg gekommen war, um das Maori-Haus im Museum für Völkerkunde zu restaurieren. Schon seit 1992 bemüht sich die neuseeländische Regierung um die Rückgabe von etwa 500 in vielen Teilen der Welt aufbewahrten Schädeln der Maori, die in deren Heimat nach den Riten der Ureinwohner bestattet werden sollen. Nicht ohne Erfolg, bereits etwa 300 Schädel sind wieder nach Neuseeland zurückgekehrt. Vor knapp drei Jahren gab etwa Frankreich in einer zentralen Aktion 16 mumifizierte Köpfe an die Maori zurück.
In vielen Museen gibt es inzwischen ein gewachsenes Problembewusstsein, gleichzeitig fehlen aber klare Kriterien für den Umgang mit menschlichen Überresten vor allem in Ausstellungen und Schausammlungen. Umso wichtiger ist die von der Bundesregierung geförderte Initiative des Deutschen Museumsbunds, die den Museen künftig helfen soll, bei der Präsentation von Skeletten, Mumien, Schrumpfköpfen, Skalplocken oder Moorleichen Bildungsauftrag und Pietät, Publikumsinteresse und ethische Standards in Einklang zu bringen. Und das kann durchaus auch heißen, dass ein seit Langem populäres Ausstellungsstück künftig nicht mehr gezeigt wird.