The Wiener takes it all! Mit einem Hamburger Song überzeugte die Dragqueen aus Österreich ganz Europa und sorgte für Top-Einschaltquoten. Für Deutschland verkündete Helene Fischer die Punkte. Den Sieger-Song können Sie hier sehen.

Hamburg/Kopenhagen. Mit der vollbärtigen Dragqueen Conchita Wurst und ihrer pompösen Popballade „Rise Like A Phoenix“ hat Österreich den 59. Eurovision Song Contest gewonnen. Damit siegte die Alpenrepublik nach 1966 mit Udo Jürgens („Merci Chérie“) zum zweiten Mal bei dem traditionsreichen Liederwettbewerb, den es seit 1956 gibt.

„Diese Nacht widme ich allen, die an Frieden und Freiheit glauben. Wir sind eine Einheit“, schluchzte Wurst, deren Name zu Wortspielen einlädt, im figurbetonten, bodenlangen, goldfarbenen Abendkleid. „Ich habe hier soviel mehr bekommen als nur eine Trophäe.“

Den Auftritt von Conchita Wurst können Sie hier sehen. Der Song, mit dem die Dragqueen den ESC-Titel nach Österreich holte, hat seine Wurzeln in Hamburg. Die Hamburger Songwriter Alexander Zuckowski, Sohn von Kinder-Sänger Rolf Zuckowski, und Julian Maas hatten den Siegertitel gemeinsam mit Charly Mason und Joey Patulka geschrieben.

Der ESC wird nächstes Jahr, wenn er zum 60. Mal über die Bühne geht, wahrscheinlich in Wien ausgetragen. Gleich nach der Show regte Wursts Agent René Berto an, dass die Dragqueen nächstes Jahr den ESC moderieren könnte. „Ich wäre gern Gastgeberin“, sagte Conchita. Der nächste Grand Prix solle „glamourös“ werden.

Top Einschaltquoten

Nicht nur Conchita Wurst kann mit dem Ergebnis des Sonnabendabends zufrieden sein: Auch die ARD holte bei den TV-Quoten den Sieg. Der Eurovision Song Contest hat beim deutschen Publikum die beste Quote seit Lenas zweitem Grand-Prix-Auftritt im Jahr 2011 erreicht. 8,96 Millionen schalteten am Sonnabend ab 21 Uhr das Finale in Kopenhagen ein. Das entspricht einem Marktanteil im Gesamtpublikum von 34,7 Prozent. Der Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen betrug 41,9 Prozent.

Das Vorprogramm aus Hamburg mit Moderatorin Barbara Schöneberger um 20.15 Uhr lockte bereits 4,84 Millionen Zuschauer (16,9 Prozent) an. In den vergangenen zehn Jahren hatte die Live-Übertragung vom Finale nur drei Mal noch bessere Werte erzielt. Beim ESC 2011 in Düsseldorf, als Lena Meyer-Landrut als Titelverteidigerin aufgetreten war, hatten knapp 14 Millionen Zuschauer eingeschaltet, bei ihrem ersten Sieg 2010 sogar 14,7 Millionen. 2006, als Texas Lightning für Deutschland angetreten waren, waren es 10,4 Millionen am Bildschirm gewesen.

Tolerantes Europa

Viele deuteten den Dragqueen-Sieg als Zeichen gegen Ausgrenzung und für ein tolerantes, schwulenfreundliches Europa. Das golden glitzernde Abendkleid, die langen braunen Locken und ein Vollbart werden wohl auf ewig als das Bild des ESC 2014 stehen. Als irritierend und polarisierend galt die mit der im James-Bond-Stil pompös inszenierten Hymne „Rise Like a Phoenix“ angetretene Conchita Wurst im Vorfeld des ESC-Finales. Doch dieser Eindruck muss im Nachhinein korrigiert werden – denn tatsächlich sammelte Österreichs Beitrag in fast allen Ländern Punkte. Aus Russland, wo Präsident Wladimir Putin seit langem einen homophoben Kurs fährt, gab es fünf Punkte – aus dem toleranten Deutschland waren es auch nur zwei Punkte mehr.

Die Politik blieb auch beim Thema Ukraine-Konflikt nicht außen vor. Russland wurde, beim Auftritt der Tolmatschewy Sisters und bei der Punktevergabe, gnadenlos ausgebuht.

Elaiza landete auf Platz 18

Deutschland landete in Kopenhagen mit dem Polka-Popsong „Is It Right“ von Elaiza auf Platz 18. Das sympathische Frauentrio hatte im März den deutschen Vorentscheid aus dem Nichts für sich entschieden. 26 Lieder konkurrierten beim Finale um den Sieg. Am Ende lag Österreich mit seinem Lied vor den Niederlanden und Schweden.

Österreichs Rundfunkanstalt ORF hatte Conchita Wurst ohne einen Vorentscheid als Beitrag nach Dänemark geschickt. Im Jahr 2012 war Wurst noch beim nationalen Vorentscheid zum Song Contest in Aserbaidschan Zweite hinter dem Hip-Hop-Spaßduo Trackshittaz („Woki mit deim Popo“) geworden.

Mancher deutsche TV-Zuschauer kennt Conchita Wurst als Teilnehmerin der gefloppten RTL-Doku-Soap „Wild Girls – Auf High Heels durch Afrika“, wo sie vergangenes Jahr neben Kader Loth oder Sarah Knappik agierte.

Vergangenes Jahr war Deutschland mit dem Disco-Lied „Glorious“ von Cascada abgeschlagen auf Rang 21 gelandet. Die Bundesrepublik hat den Wettbewerb bislang zweimal gewonnen, 1982 mit Nicole („Ein bisschen Frieden“) und 2010 mit Lena („Satellite“). Die Show war im Vergleich zu Ausgaben in einigen Vorjahren eher klein gehalten, vor etwa 10 000 Zuschauern in einer alten Werfthalle, allerdings mit beeindruckender High-Tech-Bühne.

Geschätzt 120 bis 180 Millionen Zuschauer verfolgten das Spektakel vor dem Bildschirm. Die drei Moderatoren Lise Rønne, Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk („Borgen – Gefährliche Seilschaften“) gaben sich betont lässig und cool, waren aber weniger witzig als Vorjahres-Moderatorin Petra Mede im schwedischen Malmö.

Die pompöse Sieger-Ballade hat den Erweckungstitel „Rise Like A Phoenix“, was auf Deutsch „Wie Phönix aus der Asche auferstehen“ bedeutet. Bei Wursts Auftritt gab es eine Gänsehaut-Show mit Lichtstrahlen und Flammenmeer-Optik.

37 Länder nahmen am ESC teil

Insgesamt 37 Länder nahmen am ESC 2014 in der dänischen Hauptstadt teil. Elf Teilnehmer schieden in den Halbfinals am Dienstag und Donnerstag aus, darunter Israel, Irland, Belgien, Portugal sowie Lettland mit der Band Aarzemnieki um den gebürtigen Bochumer und Wahl-Letten Jöran Steinhauer. Schlagerstar Helene Fischer verkündete Deutschlands Punkte von Hamburg aus. Deutschlands Höchstwertung Twelve Points ging in die Niederlande, an das Duo The Common Linnets („Calm After The Storm“).

Beim ESC 2013 hatte die damals 20-jährige und barfuß auftretende Dänin Emmelie de Forest mit dem verträumten „Teardrops“ den Sieg geholt, davor in Baku die Schwedin Loreen mit „Euphoria“. Im vergangenen Jahr schalteten in Deutschland durchschnittlich etwa 8,2 Millionen Menschen ein, 2012 etwa 8,3 Millionen. In den Jahren 2011 und 2010 hatte die Live-Übertragung des Musikspektakels wegen des Lena-Hypes jeweils um die 14 Millionen Fernsehzuschauer. Der 60. Eurovision Song Contest soll nach vorläufigen Angaben der European Broadcasting Union (EBU) am 16. Mai 2015 stattfinden, die Halbfinals am 12. und 14. Mai.

Anfeindungen gegen Conchita im Vorfeld

Im Vorfeld des ESC sah sich die Siegerin Conchita Wurst mit verschiedenen Anfeindungen konfrontiert. Mit dem Erfolg erweisen sich all die unfreundlichen Kommentare auf Österreichs Kandidatin aber als Meinungsmache einer Minderheit. „Wenn jemand nicht weiß, ob er ein Manderl oder ein Weiberl ist, dann gehört er eher zum Psychotherapeuten als zum Song Contest“, wetterte etwa der österreichische Musiker und Kabarettist Alf Poier.

Und der Chef der rechtsgerichteten FPÖ, Heinz-Christian Strache, nannte die Travestie-Nummer „lächerlich“. Eine deutschsprachige Facebook-Seite, die gegen Conchita Wursts Teilnahme am ESC Stimmung machte, fand vor dem ESC-Finale immerhin 38.500 Unterstützer.

Nicht nur in der österreichischen Heimat sah sich der Mann in Frauenkleidern Anfeindungen ausgesetzt. Neuwirths Art zu Leben sei „nicht natürlich“, sagte der im Vorhinein mit zu den Favoriten gezählte armenische Sänger Aram MP3. Der am Ende als Vierter mit deutlichem Punkteabstand hinter Conchita Wurst gelandete Aram MP3 entschuldigte sich zwar für seine Äußerung.

Conchita Wurst nutzte die Anfeindung aber zur selbstbewussten Feststellung, dass auch ein dummer Spruch verletzt. „Aber auch wenn er beteuert, dass er alles als Witz gemeint hat, muss man sagen, dass es einfach nicht lustig ist. Die Anfeindungen waren einfach geschmacklos“, sagte Neuwirth der österreichischen Nachrichtenagentur APA.

16 Jahre nach dem Sieg der transsexuellen Israelin Dana International befand sich Europa wegen des ESC auf einmal wieder inmitten einer zumindest beim traditionell schwulenfreundlichen ESC überwunden geglaubten Homosexualitäts-Debatte.

Die bärtige Lady steht für Freiheit

Dabei geht es Neuwirth gerade darum, in der Gestalt der Conchita Wurst deutlich zu machen, wie viel Freiheit der Einzelne hat. „Ich habe diese bärtige Lady erschaffen, um der Welt zu zeigen, dass du machen kannst was du willst“, sagt der 25-Jährige. „Solange du niemandem weh tust, kannst du alles mit deinem Leben machen, schließlich haben wir nur eines.“

In Österreich ist der Travestie-Künstler schon länger ein Star. In der Casting-Show „Starmania“ landete er 2006 auf dem zweiten Platz, danach sang er kurze Zeit in einer Boyband. Als Conchita Wurst trat Neuwirth zum ersten Mal 2011 auf – ebenfalls in einer Talentshow. Ein Jahr später machte Conchita Wurst den zweiten Platz im Wettbewerb um den österreichischen ESC-Teilnehmer.

Mit ihrem Kampf um die Freiheit der sexuellen Orientierung sorgt Conchita Wurst auch unter Homosexuellen für Diskussionen. Ihr Auftritt könne Menschen abschrecken, denen es schwer falle, ihre Homosexualität zu akzeptieren, wird kritisiert. „Ich will niemandem Angst machen“, sagt Neuwirth. „Ich will ihnen vielmehr zeigen, dass sie in ihrer Art akzeptiert werden können. Sie haben das Recht, das zu tun, was sie wollen.“