Nahezu von Anfang an betreibt Wolf Dieter Roloff den Cotton Club, der jetzt in der Hamburger Neustadt seinen 55. Geburtstag feierte. Ohne viel darüber zu reden, macht er bis zu sieben Jobs auf einmal.
Hamburg. Sie wollten ihn feiern, jemand hatte eine Laudatio vorbereitet, von Blumen war die Rede. Aber Wolf Dieter Roloff, Eigentümer und Seele des Cotton Clubs, saß die geplante Ehrung einfach aus, auf einem Holzschemel in seinem kleinen Büro, in dessen Tür ein Spion eingelassen ist und die mit einem Prägeschild „Kein Zutritt“ ungebetene Gäste fernzuhalten sucht.
Ab und an klopfte jemand an diese Tür am Sonnabend Abend, in der Pause zwischen den zwei Sets der Bremer Erfolgsband Swingin’ Fireballs, die zum 55. Geburtstag des Jazzkellers am Großneumarkt spielte. Ein Freund brachte eine Flasche Wein, ein anderer suchte Roloff zu überreden, doch kurz rauszukommen auf die Bühne unterm Schaumgummibaldachin und die Ovationen des vollen Hauses entgegenzunehmen. Vergebene Liebesmüh. Roloff rührte sich nicht vom Fleck.
Erst als die Band wieder zu spielen begann, ging er raus, hinter den Tresen, wo er im Cotton Club immer zu finden ist, wenn er sich nicht ins Büro zurückzieht. Zapfte Bier und sah mit besonnenem Blick hinter den Weitsichtbrillengläsern in seinem Laden nach dem Rechten. Vor ihm stand ein Gläschen Sekt, das ihm dann wohl doch jemand aufgenötigt hatte, zur Feier des Tages.
Auf dem harten Holzschemel hatte Roloff Platz genommen, weil auf seinem bequemen Bürosessel unbedingt der Besucher vom Abendblatt sitzen sollte. Roloff, schwarzes Hemd, dunkle Hose, letztes Jahr 70 geworden, ist auf der Gesprächspartnerskala, die von verschlossen bis Wasserfall reicht, der tropfende Wasserhahn. Es kommt was von ihm, aber in unregelmäßigen Abständen, und wenig. Er ist eine im doppelten Sinne des Wortes verschwiegene Institution des Jazz in der Stadt. Wortkarg, hintergründig, mit einem guten halben Jahrhundert Erfahrung der Höhen und Tiefen in Sachen Jazz und Gastronomie in Hamburg. Und doch keiner, der auf die öffentliche Wahrnehmung, gar Beweihräucherung der eigenen Person Wert legt. Entsprechend wenig Notiz nimmt die Öffentlichkeit von ihm.
Mit 17 saß der Großhandelskaufmannslehrling Dieter Roloff in Vati’s Tube Jazzclub, dem Vorläufer des Cotton Clubs, der 1959 im Tiefbunker Grindelhof aufgemacht hatte, erstmals an der Kasse. „Drei Jahre später hatte ich den Laden.“ Ein etwas älterer Cousin hatte ihn mit der Liebe zum Jazz angesteckt. So wie Roloff seine Liebe heute lebt, denkt man: Der Jazz und er sind wie ein altes Ehepaar. Blindes Verstehen und Fürsorge sind angesagt. Alle Illusionen, wenn es denn je welche gegeben haben sollte bei Roloff, dem Totalpragmatiker, liegen schon lange begraben. Es genügt beiden, dass der andere da ist. Roloff muss wirklich nicht mehr jedes Mal zuhören, wie eine Band spielt, die seit 30 Jahren einmal pro Monat bei ihm gastiert. Möglicherweise geht ihm die Musik sogar ein bisschen auf die Nerven. Aber was soll man machen, wenn man zusammen alt geworden ist. Man bleibt einander treu.
Das Altern macht Roloff, so scheint es, weniger aus als die blöde eigene Endlichkeit. Nur, was werden soll aus dem Cotton Club, wenn er mal nicht mehr kann, wenn er tot ist, darüber macht sich der Totalpragmatiker Roloff beunruhigend wenig zielführende Gedanken. „Weiß ich nicht“, sagt er, oder: „Das kann kein anderer machen.“ Und natürlich hat er recht. Wer bindet sich denn heutzutage noch fünf bis sieben Jobs auf einmal ans Bein, ohne jede Aussicht auf Gewinn? Dieter Roloff macht im Cotton Club alles. Er bucht die Bands, er bestellt die Getränke, macht die Buchhaltung, kümmert sich um Aushilfen als Personal und steht am Tresen. Jeden Tag steigt er die elf Stufen in sein Kellerlokal hinab, das seit 1971 am Alten Steinweg in der Neustadt residiert und organisiert sein kleines Patina-Imperium für die Liebhaber des Oldtime-Jazz. Jeden Tag gibt es Livemusik im Cotton Club. Ein Alleinstellungsmerkmal, nicht nur in Hamburg.
Am Geburtstagsabend war auch ein Ehepaar aus dem Badischen zu Gast. Die beiden konnten kaum fassen, wie eng in diesem wie von einer gelben Nachtsonne warm beleuchteten Lokal Tische und Stühle beieinanderstehen, wie man vorn regelrecht die Füße einziehen muss, will man nicht auf die Bühne treten. Der Cotton Club präsentiert nicht nur Musik aus dem Museum. Er ist selber eins. Ein lebendes.
Denn Roloff, der Club-Dino von Hamburg, bemüht sich mit einigem Erfolg darum, den Anschluss nicht zu verlieren. „Es gibt bei uns auch Swing und Blues“, sagt der Jazzwirt, der zur Hochzeit seiner gastronomischen Aktivitäten in den 70er-Jahren fünf Lokale betrieb, ein Anzeigenblatt herausgab und bei einem Jazzlabel beteiligt war.
„Leute unter 20 hatten bei uns lange freien Eintritt. Das macht sich jetzt bezahlt“, sagt Roloff, der angibt, gerade etwa die fünfte Aufwärtsbewegung des Jazz in seiner Laufbahn zu erleben. „Unser Publikum hat sich verjüngt.“ Wenn der Laden schön voll ist, muss die Bedienung den Durst von knapp 200 Gästen löschen helfen. Aber manchmal verlieren sich die Besucher auch in einstelliger Zahl. Deshalb nach Subventionen rufen, wegen Artenschutz? Roloff wäre der Letzte, der staatliche Hilfe in Anspruch nehmen würde.
Als vor knapp einem Jahr das Birdland dichtmachte, tat ihm das weh. Dass dessen Betreiber, die Eheleute Reichert, aufhören wollten mit Mitte 70, konnte er verstehen. Aber als die dadurch plötzlich heimatlos gewordene Jazz Federation bei ihm um Asyl nachfragte, sperrte Roloff sich. „Man muss sein Profil haben“, sagt er. „Ich habe hier mein Konzept, das behalte ich bei.“
Wie lange er noch macht? „Bis 77“, sagt Dieter Roloff und grinst. „Das ist doch die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes.“ Letzten Sonnabend auf die nächsten 25 Jahre mit seinem Tresenpersonal anstoßen, das fand er vermessen. „Aber auf die nächsten zehn, das geht schon in Ordnung.“