Katja Petrowskaja, Sasa Stanišić, Per Leo, Fabian Hischmann, Martin Mosebach: Die Finalisten des Preises der Leipziger Buchmesse treten im Hamburger Literaturhaus auf.

Hamburg. Die Gegenwartsliteratur ist ein beliebtes Sujet, wenn es in den Feuilletons darum geht, Dampf abzulassen. Zuletzt tobte die Debatte um Bürgerkinder, die keine nennenswerten Erfahrungen machen und deshalb fade Bücher schreiben; dann um eingewanderte Autoren, die es wagen, über urdeutsche Themen zu schreiben und nicht mehr über das Erleben des Multikulturellen. Was sich hinter den wortreichen Auseinandersetzungen verbirgt, ist nichts anderes sein als die grundsätzliche Unzufriedenheit mit der literarischen Produktion – könnte sich der Kritiker eine Literatur schnitzen, sie wäre anders als die, die wir haben.

Und mit der muss man dann irgendwie zurecht kommen, nützt ja nichts – auf dass sich immer wieder edle Gebilde in den tiefen Schichten der Literatur finden. Als Perlentaucher fungieren zwei Mal im Jahr die Jurys der Messen in Frankfurt und Leipzig, die aus den vielen Neuerscheinungen nicht nur einen Sieger, sondern vorher auch eine Shortlist auswählen. Eine Finalrunde also, eine sportliche Herausforderung für alle Beteiligten, nicht unumstritten, aber Aufmerksamkeit generierend. Heute Abend stellen sich die für den Preis der Leipziger Buchmesse (13.-16. März) nominierten Autoren im Literaturhaus vor. Sie heißen Saša Stanišić, Katja Petrowskaja, Fabian Hischmann, Per Leo und Martin Mosebach. Mosebach, 1951 in Frankfurt geboren, ist der einzig etablierte Bewerber, ein vielfach Prämierter mit großer Backlist („Westend“, „Der Mond und das Mädchen“) und ausgewählter Themensetzung: In seinem neuen Roman „Das Blutbuchenfest“ blickt Mosebach nach Bosnien ins Bürgerkriegsjahr 1994. Er lässt seinen Ich-Erzähler, einen energielosen Schöngeist, mit der eigentlichen Heldin des Buches, der Putzfrau Ivana, in deren Heimat reisen. Dort sind die Lebensumstände so ganz andere als in Schnösel-Frankfurt, wo Ivana in den Gemächern der Oberschicht sauber macht und der Ennui die Großkopferten an den Tresen oder in andere als das heimische Ehebett treibt.

Ein eloquenter und mit seinen Kontakten prahlender Impresario will in Mosebachs Roman eine Gala für das notleidende Jugoslawien organisieren, gleichzeitig versucht sich ein aus dem Tritt gekommener Werber namens Rotzoff ebenfalls als Gastgeber. Seine Sause ist allerdings ganz anders geartet und hat nicht ein Gemeinwohl im Blick, sondern das eigene: Dieser Rotzoff will mit seinem Fest genug Geld abgreifen, um seine Schulden in der Stammwirtschaft begleichen zu können. Unmoralisch, diese Frankfurter, in jederlei Hinsicht – Mosebach schaut ironisch auf das dekadente Treiben in Mitteleuropa. Am besten ist er aber da, wo er die Rückständigkeit, die gleichzeitig eine sympathischere Variante des Zusammenlebens ist, in Bosnien beschreibt. Grausam ist sein Stoff sowieso, denn Glück finden lässt er keine seiner Figuren.

Der Wahlhamburger Saša Stanišić ist da generöser. Seinen Helden ist ein Happy End beschieden, weil die titelgebende Feier, auf die sein zweiter Roman „Vor dem Fest“ zusteuert, keine aus dem Boden gestampfte Hauruck-Aktion, sondern eine traditionelle, ganz alte Angelegenheit ist. Stanišić, 1978 in Višegrad geboren und als Teenager nach Deutschland gekommen, berichtet in seiner heiter-versponnenen Dorfgeschichte von der Nacht, bevor die Sau geschlachtet wird; von den seltsamen Wegen der Bewohner des ostdeutschen Fürstenfeldes, die nichts als anderes als skurril sein können, weil sie in einer Garage Bier trinken und über Fußball quatschen, weil sie Edelhühner züchten, immer noch als Glöckner arbeiten, sich im Dorfarchiv einsperren lassen oder die Wirklichkeit mit den alten Mythen verwechseln.

Schon ein witziger Spiegeleffekt: Der klassische westdeutsche, reichlich reife Renommierautor Mosebach schreibt über den Krieg in Bosnien, und der damals vor der zerfallenden Heimat geflüchtete Stanišić schreibt über ein Dorf in der Uckermark, über seine Sagen von früher und seine von heute. Vielleicht ist es gerade der Blick des Außenstehenden auf den Mikrokosmos der Gemeinschaft in einem Örtchen, das an Attraktivität deutlich eingebüßt hat nach der Wende, der der Beschreibung Fürstenfeldes seine Tiefenschärfe gibt – mit Charakteren, die man nicht vergisst, weil man vorher noch nie davon gehört hat, dass einer zum Beispiel mit einer Pistole auf einen unbotmäßigen Zigarettenautomaten schießt.

Ob ein zugezogener Jungstar der Literatur, der gleich mit seinem ersten, an die eigene Biografie angelehnten Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ für ordentlich Betrieb in der Branche sorgte, nun unbedingt in die Germanenprovinz muss, wie in bereits erwähnter Debatte moniert wurde? Warum nicht? In seinem gefeierten Debüt ging es um das Gefühlsmanagement des in der Fremde Gestrandeten, der sich in seine Herkunftswelt zurück imaginiert. Jetzt beschäftigt sich Stanišić sich mit den im wiedervereinigten Land Gestrandeten. Auch sie suchen ihr altes Leben im neuen.

Mit Sasa Stanišić hat Katja Petrowskaja gemein, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, mit dem ebenfalls nominierten Per Leo den geschichtlichen Horizont. „Vielleicht Esther“, Petrowskajas berührender Bericht über familiäre Nachforschungen in der Ukraine – für einen Ausschnitt wurde sie zuletzt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet – nähert sich von der Seite der Opfer dem Thema Nationalsozialismus. Die in Berlin lebende Heldin hat ein zweites Leben angefangen, ein unwahrscheinliches, Nachfahrin von einer seit Jahrzehnten über Europa verstreuten, jüdischen Familie, die sie ist. Im Deutschen („die Sprache des Feindes“) hat sie eine neue Liebe gefunden, die sie auf atemberaubende Weise in Sätze gießt. Petrowskaja, Jahrgang 1970, ist eine kolossale Neuentdeckung.

Das gilt auch für den 1972 in Erlangen geborenen Per Leo. Sein Debüt „Flut und Boden“ handelt von der Verstrickung seiner Familie in die deutschen Verbrechen. Der eigene Großvater, Spross einer gut situierten Bremer Sippe, sitzt bei Leo auf der Anklagebank – in einer Art nachgeholten, familienhygienischen Recherche spürt der Enkel den Verirrungen des Vorfahren nach. Der war Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, es war der Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn. An dieser Tatsache arbeitet sich Per Leo stellvertretend für die Vater-Generation ab. Er findet in seinem Großonkel Martin, einem Goethe-Leser, das Gegenbild zum bösen Opa. Beiden setzt er, wie auch dem Bremer Stadtteil Vegesack, ein Denkmal in diesem geschichtssatten Buch.

Bleibt der Jüngste in der Finalrunde zum Leipziger Preis, die ja auch eine Bestenliste der Frühjahrssaison sein soll. Fabian Hischmann wurde 1983 in Donaueschingen geboren, seinen Entwicklungsroman „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ siedelt er in Bremen, im Badischen, auf Kreta und in New York an. Anhand des Endzwanzigers Max entfaltet der in Leipzig am Literaturinstitut ausgebildete Autor das Tableau einer Lebenskrise, die schon vor einem Schicksalsschlag da war, nun aber eine neue Dringlichkeit bekommt. Eine vorübergehende sexuelle Unsicherheit gesellt sich neben den Drang, eine alte biografische Scharte auszuwetzen und sich den Härten des Lebens zu stellen. Dafür muss dieser gar nicht übertrieben junge Mann zunächst nach Griechenland, dann nach Amerika reisen.

Die Finalisten des Preises der Leipziger Buchmesse lesen heute Abend, 19.30 Uhr, im Literaturhaus. Die Veranstaltung ist ausverkauft.