Carolin Fortenbacher hatte ihren Durchbruch als „Mamma Mia“-Star, jetzt bringt sie mit „Kamionka“ ein neues Soloalbum heraus, das nach dem Namen ihrer Mutter betitelt ist.
Hamburg Soeben noch hat Carolin Fortenbacher im Schmidt Theater auf St. Pauli für Fanclub und Presse ihr neues Album „Kamionka“ präsentiert, sie hat zu schmissigen Balkanpop-Klängen und karibischen Rhythmen auf High Heels getanzt und sich zu nachdenklichen Balladen in poetisches Licht tauchen lassen. Nun hockt La Fortenbacher im Interview, noch im Bühnenoutfit, einem kurzen weißen Kleid, über dem sie eine lange Kapitänsjacke trägt. Das passt. Denn in ihrer Band hat die 50-Jährige das Ruder in der Hand. Dennoch ist sie auch spürbar eine Teamspielerin. Sie wird nicht müde, ihre Musiker zu loben. Neben den Produzenten Martin Langer und Dominik Pobot, die Schlagzeug und Gitarre spielen, sorgen Pianist Jakob Richter, Bassist Achim Rafain, Jakob Neubauer am Akkordeon sowie Sänger, Gitarrist (und Ehemann) Sascha Rotermund für einen versierten Sound, den Fortenbacher als „folkloristischen Chanson-Pop“ bezeichnet. Ihre neuen Songs strotzen vor Lebensfreude und -weisheit, aber suchen auch die Zwischentöne. In Hamburg war Fortenbacher zuletzt unter anderem am Schmidt in der Komödie „Oh Alpenglühn!“ sowie in „Das Orangenmädchen“ am Altonaer Theater zu sehen. Für die Sängerin, die mit dem Musical „Mamma Mia“ ihren Durchbruch feierte, ist „Kamionka“ auch eine Art Selbstfindung.
Hamburger Abendblatt: Der erste Song der Platte, „Schlossallee“, handelt davon, wie Leute mit geradlinig geplanten Lebensentwürfen Schiffbruch erleiden. Gab es in ihrer Laufbahn Wendepunkte, wo Sie ganz woanders ankamen als gedacht?
Carolin Fortenbacher: Oh ja! „Mamma Mia“ ist ein Sprungbrett gewesen. Ein positives Stück. Die Zuschauer sind glücklich aus dem Theater gegangen. Danach folgte für mich das „Drama“-Album und dieser Grand-Prix-Vorentscheid 2008, der total in die Hose ging. Ich wusste damals noch nicht, wer ich bin als Solokünstlerin. Und ich wurde auch sehr beeinflusst von der Plattenfirma und dem Produzenten, die meinten, ich könnte die heutige poppige Milva werden. Aber ich dachte: Das bin ich überhaupt nicht. Ich muss mich auf der Bühne bewegen können. Ich kann nicht immerzu still stehen. Als das „Drama“-Album veröffentlicht wurde, besuchte ich damit verschiedene Radiostationen und alle sagten nur: „Aaach, Hallo Frau Fortenbacher, ist das schaaade, dass sie den Grand-Prix-Vorentscheid nicht gewonnen haben.“ Das war traurig. Da brach für mich Sämtliches zusammen.
Wie haben Sie sich denn aus dieser negativen Stimmung befreit?
Fortenbacher: Irgendwann habe ich mir gesagt: Es reicht. Das ist nicht meine Welt. Ich brauche eine andere Musik, damit ich als Solokünstlerin existieren kann auf der Bühne. Anfang 2009 habe ich mir dann in Hamburg eine junge Indie-Pop-Band gesucht: Montag. Aus dieser Band stammt mein Gitarrist und Produzent Dominik Pobot. Wir fingen einfach an zu arbeiten. Peu à peu. Beim ersten Auftritt mit meinem Programm „Unverfroren Aufgetaut“ habe ich mir vorgenommen: Jetzt lasse ich alles raus, was mir nicht gefallen hat, und nehme mich total auf die Schippe – mit allem, was mir passiert ist. Das war für mich wie eine Bühnentherapie. Ich habe das Glück, dass meine Musiker mich verstehen, dass sie meine Gedanken lesen können. Denn für mich selber ist es manchmal unglaublich schwer, das auszudrücken, was ich machen möchte. Letztendlich hat mich mein Mann dechiffriert. Wir haben zusammen Theater gespielt. Und dann ist daraus eine große Liebe entstanden. Er ist ein wunderbarer Künstler, der das, was ich emotional nach draußen sabbele, in verständlichere Texte fassen kann.
Was machen Sie solo anders im Vergleich zum Musicalgesang bei „Mamma Mia“ ?
Fortenbacher: Ich hole stimmlich nicht aus. Ich bin einfach Sängerin. Ich bin nicht „die Musicalsängerin“ oder „die Popsängerin“ oder „die Klassiksängerin“. Ich singe die Musik, die ich gerne mag, und interpretiere sie für mich so, wie es zu der Art der Musik passt. Musicalgesang bedeutet für mich im Negativen, laute Töne zu singen ohne zu wissen, was man da singt. Manchmal bin ich da sehr kritisch, was diesen Bereich betrifft. Ich finde, man sollte als Erstes immer den Inhalt transportieren wollen und dann kann man mit der Stimme spielen.
Das Album ist nach dem Mädchennamen ihrer Mutter „Kamionka“ benannt. Was ist sie für eine Frau?
Fortenbacher: Kamionka ist ein schlesischer Name und bedeutet „kleines Steinchen“. Meine Mutter ist ganz zart. Sie schwebt über dem Boden. Sie ist stolze 89 Jahre alt. Und sie ist komplett da. Das Positive, Verletzliche, Bodenständige, Melancholische habe ich von ihr. Mein Vater – das sagt ja schon der Name For-ten-ba-cher (betont überdeutlich) – ist eher die laute Fraktion.
In ihrer neuen Nummer „Chef vom Ganzen“ singen Sie ebenfalls über ihre Familie und geben eine sehr offene Selbstcharakterisierung als Lebenskünstlerin und -kämpferin ab. Sind Sie mit dem Alter immer mutiger geworden in ihren Songs?
Fortenbacher: Ja! Früher habe ich immer gedacht: Oh nee, ich will nicht so viel von mir preisgeben. Aber dann ist man so ein versteckter Geist. Das spürt das Publikum, wenn man nicht authentisch ist.
Sie rufen in „Prinzessin Königin“ ja auch dazu auf, sich nicht für alte Jugendsünden zu schämen. Mit sich und seiner Vergangenheit allzu hart ins Gericht zu gehen, ist das eher ein Ding von Frauen?
Fortenbacher: Ja, ich kenne das von mir selber. Furchtbar! Männer machen das nicht so. Ein Freund von mir sagt immer: „Mein Gott, jetzt fängst du wieder an mit deinem Kopfgenöle“. Davon bekommt man aber nur Kopfschmerzen. Das sollten alle Frauen mal abstellen und alles etwas lockerer, humorvoller betrachten.
Aber Sie sind schon ein Typ, der gerne mal nostalgisch zurückblickt, oder? Immerhin singen Sie Verse wie „Zeit misst man in dem, was war“.
Fortenbacher: Das stimmt. Je älter man selber wird, desto mehr schaut man zurück. Die Zeit wird kürzer. Es kommen öfter Einschläge, zum Beispiel von Freunden meiner Eltern, die gestorben sind und die ich als Kind schon gekannt habe. Ich werde konfrontiert mit dem Lebensende. Wie gehe ich damit um? Ich kann froh sein, dass wir in unserer Familie alle schon so alt geworden sind. Meine Eltern sind vor fünf Jahren noch Ski alpin gefahren. Alter ist etwas Positives und Wunderschönes. Ich will das stolz nach draußen tragen und nicht sagen: Oh Gott, jetzt kommen die ersten Falten. Das Leben ist viel zu kurz, um sich die ganze Zeit zu griesgrämen.
Dieser Geist trägt ja auch den Song „Schikane“, der daran appelliert, Fettnäpfchen mit einer gewissen Lässigkeit zu begegnen. Was war eigentlich Ihr persönlicher Disaster-Moment?
Fortenbacher: Im Theater des Westens in Berlin habe ich „Die Piraten von Penzance“ gespielt. Eine tolle, tolle Premiere. Ein Tohuwabohu. Alle waren total glücklich und aufgebracht. Ich bin nach dem Stück in die Garderobe, habe mich umgezogen und war auch noch voll in dieser Stimmung. Es hieß dann: Wir treffen uns oben, da gibt’s Büfett. Alle waren da: Helmut Baumann, der damals Intendant war, die Presse, alle. Ich – jaah jahh – bin da reingestürmt und bin direkt ans Büffet, weil: Ich hatte Hunger. Aber das Büffet war noch nicht eröffnet. Und Helmut Baumann hatte noch nicht seine Ansprache gehalten. Und das habe ich damals als uuunglaublich peinlich empfunden. Er drehte sich zu mir um und sagte vor versammelter Mannschaft: „Das Büffet ist noch nicht eröffnet.“ Und das ganz ganz ernst.
La Fortenbacher und Die Carolinger
„Kamionka“ (Forore), live So 30.3., 14.30, So 7.9., 19.00, Mo 8.9., 20.00, Schmidt Theater,
Karten: 16,50–25,30 (zzgl. 2,- Geb.)