Der ehemalige Bundespräsident gab sich beim Prozessabschluss versöhnlich. Der Chefankläger Eimterbäumer wollte die Beweisaufnahme weiter fortsetzen. Am 27. Februar wird das Urteil gesprochen.
Hannover. Die Wahrheit kennt nur Christian Wulff. Als Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer am Ende seines 50-minütigen Plädoyers beantragt, die erst kurz zuvor geschlossene Beweisaufnahme im Korruptionsprozess gegen den Ex-Bundespräsidenten wieder zu eröffnen, ist der Blick des 54-Jährigen versteinert. Nur kurz blickt er zu seinem Freund David Groenewold. Der mitangeklagte Filmfinancier wirkt sichtlich überrascht.
Beiden Männern macht der Prozessverlauf große Hoffnungen auf einen Freispruch, bei dem nichts hängenbleibt. Doch beide spüren: Eine Woche vor dem Urteil könnten sie davon noch weit entfernt sein. Denn so schnell gibt sich Eimterbäumer nicht geschlagen. Seinen auch für erfahrene Juristen ungewöhnlichen Schachzug begründet der Oberstaatsanwalt mit dem hohen Tempo, das Richter Frank Rosenow seit Ende vergangenen Jahres in dem Prozess vorgibt. Der Richter drückte in der Beweisaufnahme mächtig aufs Gas, er lud Zeugen wieder aus, lehnte einen Antrag der Staatsanwaltschaft nach dem nächsten ab.
Bereits Anfang Februar macht Rosenow aus seiner Meinung keinen Hehl: Bisher gebe es für die Vorwürfe keine Beweise. Es sei nicht zwingend nachweisbar, dass Groenewolds Einladung für Wulff zum Oktoberfest 2008 nicht doch nur eine spendable Geste war. Eimterbäumer sieht darin – ebenso wie in Wulffs späterem Engagement für einen Film Groenewolds – einen Verstoß gegen die „Hygienevorschriften“ der Politik, die er Unrechtsvereinbarung und Korruption nennt.
„Das Gericht hat die vorliegenden Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft“, betont Eimterbäumer. Nach zwölf Verhandlungstagen mit 26 Zeugen fehle die für ein wie auch immer geartetes Urteil nötige „Entscheidungsreife“. Damit droht er nicht nur Wulff mit höflich erhobenem Zeigefinger. Auch Rosenow weiß: Dahinter verbirgt sich die Andeutung, im Falle eines Freispruchs den Gang zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu wählen. Dafür müsste der Staatsanwalt dem Richter Fehler wie mangelnde Akribie bei der Beweisaufnahme nachweisen.
Rosenow will nach eigenen Worten aber unbedingt ein Urteil fällen, das Bestand haben kann. Ob die Staatsanwaltschaft dagegen mit einer Revision oder mit einer sogenannten Ermittlungsrüge vorgeht, wird sich erst zeigen, wenn das Urteil tatsächlich auf dem Tisch liegt.
Wie sehr Eimterbäumer die Prozessführung Rosenows missfällt, wird schon zu Beginn seines Plädoyers deutlich: „Wir wollen heute sachlich erwidern, dies allerdings in dem sicheren Wissen, dass es sich für uns heute um ein Auswärtsspiel handelt“, sagt er – und meint nichts anderes als das vergiftete Verhältnis zwischen Gericht und Anklage. Immer wieder hatte es in den vergangenen Wochen im Saal zu lauten Streitgesprächen geführt.
Für Wulff heißt es nun wieder einmal: Warten. Dabei ist Warten doch genau das, was den von einstigen Mitarbeitern im Prozess als „Kontrollfreak“ charakterisierten Wulff so sehr quält und von der herbeigesehnten Ruhe abhält. Wulffs Anwalt Bernd Müssig ist indes um Optimismus bemüht. Die Staatsanwaltschaft müsse auch dann objektiv bleiben, „wenn ihr das Ergebnis ihrer Ermittlungen vielleicht nicht passt“. Zu einer möglichen Revision fügt er hinzu: „Da bleibt nur, eine gute Reise zu wünschen.“
Wulff selbst findet an diesem Tag schnell zu der ihm im Rampenlicht innewohnenden Sicherheit zurück. „Ich hoffe, dass sich die Wogen glätten“, sagt er bei seinem persönlichen Schlusswort. Nachdem seine Anwälte schon fast eineinhalb Stunden die juristischen Gründe für den „zwingend gebotenen Freispruch“ erläutert haben – für sie mangelt es bereits an einem beweisbaren Vorteil, den Wulff an dem Oktoberfestwochenende hätte annehmen können -, versucht sich Wulff in versöhnlichen, ja beinahe schon wieder präsidial klingenden Worten.
Er glaube noch immer zweifelsfrei an den objektiven Rechtsstaat, betont Wulff. Zudem nehme er Eimterbäumer die Ermittlungen, die er zu Prozessbeginn im November noch als „ehrabschneidend“ verurteilt hatte, nicht persönlich übel. Vielmehr sei dieser selbst Opfer seines Vorgesetzten, des Celler Generalstaatsanwalts Frank Lüttig, der mit Beginn der Ermittlungen „auf den falschen Baum geklettert ist“ – und nun ohne Hilfe nicht mehr herunter komme.