Mina Wallet Oumar singt in der Tuareg-Band Tinariwen, die am 27. Februar in der Fabrik auftritt. Doch statt in der Sahara, lebt sie inzwischen in Stade-Hagen
Stade Die Wärme, die den Körper wie ein schützender Kokon umfängt, die endlosen Sandmeere, die Weite der Landschaft: Es gibt vieles, was Mina Wallet Oumar vermisst, hier im kalten norddeutschen Stade-Hagen. Einer kleinen Ortschaft zwischen Hamburg und Bremen mit weniger als 2000 Einwohnern, in der die Straßen Namen tragen wie Bussardweg oder Adlerhorst, in der eine Katzenpension um Kunden wirbt und schmucke Rotklinkerhäuser mit akkurat geschnittenem Vorgartenrasen von deutschem Ordnungssinn künden.
Für eine Tuareg-Frau aus dem westafrikanischen Mali, die mit der Familie als Nomadin durch die Sahara gezogen ist, müsste dies eigentlich ein Kulturschock sein. Doch die 31-Jährige, deren Vater immer noch mit Kamelen und Schafen durch die Wüste zieht, während die Mutter inzwischen aus Altersgründen in der Stadt Kidal lebt, hatte schon viel von der Welt gesehen, noch bevor sie nach Deutschland kam. Übrigens der Liebe wegen.
Mina Wallet Oumar war von 2001 bis 2006 Sängerin der Tuareg-Band Tinariwen, einer malischen Legende. Bereits 1979 von Ibrahim Ag Alhabib gegründet, wurde die Band zu einer Stimme der unterdrückten Tuareg. Die Mitglieder ließen sich während der 80er-Jahre in libyschen Militärcamps ausbilden und nahmen aktiv am Befreiungskampf teil. Nach dem Friedensschluss im Januar 1991 legten sie die Waffen nieder und konzentrierten sich fortan ganz auf die Band. Zahllose Kassettenproduktionen, die nur in Mali selbst zu bekommen waren, mündeten 2001 in die CD „The Radio Tisdas Sessions“, die Tinariwen auch in Europa und den USA bekannt machte. Carlos Santana und der ehemalige Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant schwärmten in höchsten Tönen vom hypnotisierenden Wüstenblues der Band, Auftritte bei Festivals wie Roskilde und WOMAD mehrten den Ruhm der Männer und Frauen, die stets in traditioneller Kleidung, mit langen Gewändern und Turbanen, auf der Bühne stehen.
Auch Mina Wallet Oumar war damals dabei, war Teil dieser Familie und ist es im Herzen immer noch. Auch wenn sie heute in Jeans und eng anliegendem Kapuzenpullover am hölzernen Esstisch in einem geräumigen Einfamilienhaus sitzt und nahezu perfekt Deutsch spricht. „Ohne die Kinder wäre ich jetzt mit Tinariwen im Studio und würde gerade das neue Album aufnehmen“, sagt sie, während Tochter Soraya, ein Jahr alt, auf ihr herumkrabbelt, am Reißverschluss zieht oder mit den bunten Armreifen ihrer Mutter spielt. Aicha, 6, ist gerade im Kindergarten. Aber vor diesen beiden war da natürlich ein Mann, der Minas Leben eine entscheidende Wende gegeben hat.
Bei einem Konzert in Buxtehude, zu dem ihn ein Freund mitgenommen hatte, sah Manfred Iken, 50, seine spätere Frau zum ersten Mal. Er war begeistert vom Sound der Band, reiste kurz entschlossen zum mehrtägigen Festival au Désert nach Mali, wo Tinariwen als Headliner auftrat, und verliebte sich in die schlanke Frau mit der wunderbaren Stimme, den anmutigen Bewegungen und tiefdunklen Augen. Die beiden wurden ein Paar, besuchten einander immer wieder, heirateten schließlich in Minas Heimat nach islamischem Recht und später in Dänemark standesamtlich. Da lebten sie schon zusammen im Stader Ortsteil Hagen.
Bei aller Liebe, es waren nicht nur die Kälte und Dunkelheit des Winters („Meine schwerste Zeit“), die Mina anfangs zu schaffen machten. Sie sprach kein Deutsch, fühlte sich fremd, war fremd. „Ich war so einsam, so traurig und wusste, ich muss jetzt die Sprache lernen. Ich muss mit den Leuten reden können.“ Und Mina lernte, ging zur Schule, zwei Jahre lang. Inzwischen hat sie guten Kontakt zu den direkten Nachbarn, trifft einmal im Monat Frauen, denen es ähnlich geht, die ihre Heimat verlassen haben, beim Internationalen Frauenfrühstück im nahen Steinkirchen, doch Unterschiede in Mentalität und Lebensstil bleiben. „In der Sahara sind die Kinder immer draußen, sie haben wenig mit den Erwachsenen zu tun und machen ihre eigenen Erfahrungen“, erzählt Mina. In Deutschland sei das so nicht möglich, hier werde erwartet, dass Kinder sich an vorgegebene Regeln halten und gehorchen. „Aber Aicha ist ein Kind der Wüste.“ Mina spricht Tamashek mit ihr, die Sprache der Tuareg, während ihr Mann mit den Kindern Deutsch redet, so wie die Eheleute untereinander auch.
Dass in Deutschland die Haustüren verschlossen sind, während in der Sahara das Zelt immer offen steht, daran hat sie sich gewöhnt. Dass es Menschen gibt, die sie nicht grüßen, weil sie keine Deutsche ist, nimmt sie mit einem achselzuckenden „Die haben keine Bildung und kennen nichts von der Welt“ hin. Und doch trägt sie die Heimat, auch die Musik von Tinariwen, im Herzen. Wann immer die Band in Deutschland auf Tour ist, fährt Mina mit der ganzen Familie zu Auftritten in Hannover, Berlin und natürlich Hamburg. Auch am 27. Februar wird sie wieder dabei sein, wenn die gleichermaßen aus Blues und westafrikanischer Folklore gespeisten Gitarrenriffs durch die Altonaer Fabrik schwirren. Und sie wird irgendwann auf die Bühne gehen, sich im Takt der Klänge wiegen, das Tuch über den langen dunklen Haaren zurechtziehen und die Call & Response-Gesänge mit ihren sich beinahe überschlagenden Trillern schmücken.
Hinterher wird sie Neuigkeiten aus Mali erfahren, über alte Geschichten lachen und dabei immer respektvollen Abstand zu den Alten halten, vor allem zu Gitarrist Ibrahim, der im Alter von vier Jahren die Exekution seines Vaters durch malische Regierungstruppen miterleben musste und wohl auch deshalb zu einem großen, undurchschaubaren Schweiger geworden ist.
2010 war Mina zuletzt mit ihrem Mann in Mali, seitdem beschränkt sich der Kontakt auf regelmäßige Facebook-Chats. Die politische Situation ist zu unsicher, ein Bürgerkrieg schwelt, kein Land, das man mit kleinen Kindern besucht.
Umso wichtiger, dass es für sie ein Stück Heimat auch in der Fremde gibt. Nicht nur das Tinariwen-Tourplakat, das neben dem Paul-Klee-Druck im Flur hängt. Nicht nur die Kiste mit afrikanischen CDs, die es nicht ganz mit der beeindruckenden Pearl-Jam-Sammlung ihres Mannes aufnehmen kann, der in Hamburg als Kranführer arbeitet. Mina hat auch eine Art Schatztruhe. Einen Koffer, den sie stolz hervorholt. Obendrauf eine blau-grün-gelbe Berberfahne, dann ganz viel Tuareg-Schmuck, den sie selbst herstellt und verkauft, und schließlich ein großer Bildband. Natürlich mit Fotos der Sahara. „Wenn die Kinder groß sind, werde ich wieder bei Tinariwen singen“, sagt sie mit einem Lächeln und schlüpft zum Abschluss für den Fotografen in traditionelle Tuareg-Kleidung. Ein Hauch von Wüste, mitten in Niedersachsen.
Tinariwen Do 27.2., 20.00, Fabrik (S Altona), Barnerstraße 36, Karten zu 22,70 im Vorverkauf;
Internet: www.tinariwen.com