Die beiden Hamburger Giganten erstmals gemeinsam in einem Film. Der Psychothriller „Stereo“ spielt mit Täuschungen und doppelbödigen Wahrheiten. Bei der Berlinale feierte er seine Weltpremiere.

Berlin. Dieser Film war überfällig. Anders gesagt: Es ist schwer zu glauben, dass die Schauspieler Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu – beide Superstars in ihrem Gewerbe, berühmt für Rollen nahe der Schmerzgrenze, beide in Hamburg aufgewachsen, aber mit einem Filmhorizont, der himmelweit ist – noch nie gemeinsam vor der Kamera standen. Jedenfalls nicht zum Kräftemessen ihres Talents. Auge in Auge. Mann gegen Mann. „Sich gegenseitig die Bälle zuwerfen, sich als Schauspieler kennenlernen“, nennt es Bleibtreu.

Nun ist dieser Film in der Welt, er heißt „Stereo“ und ist so ungeschönt und verstörend wie ein Psychothriller hierzulande eigentlich nicht sein darf. Inklusive Akkupunkturnadeln, Blutpfützen und stiernackigen Gangstern. Kein Wunder, dass Vogel und Bleibtreu ihn lieben. Was sich auch daran zeigt, dass sie zur Weltpremiere auf der Berlinale Interviews geben, obwohl sie, einer wie der andere, dafür bekannt sind, derlei Deutungsgequatsche und „Was hat Sie an der Rolle gereizt?“-Fragen so sehr zu schätzen wissen wie eine Darmspiegelung.

Doch nun sitzen sie im Frühstücksraum eines Tagungshotels. Warmes, breites Grinsen, Cappuccino als Gegengift zu Partynächten. So prächtig ihr Zusammenspiel auf der Leinwand funktioniert, so vertraut sind sie auch im Gesprächs-Duett. Zwei Kumpels, die sich seit Sandkastenzeiten zu kennen scheinen. Ähnlicher Humor, ähnlicher Filmgeschmack, derselbe Antrieb, dem Kino etwas abzutrotzen, das nicht nach wenigen Minuten wieder vergessen ist.

„Es gab schon lange den Wunsch, zusammen zu drehen. Dass es jetzt geklappt hat, ist umso schöner. Und dann auch noch mit so einem geilem Projekt“, sagt Jürgen Vogel. Geil ist sein Lieblingswort. Man darf sagen, dass Vogel in seiner Karriere, die so anders gestrickt ist als die glatt gebügelten Lebensläufe vieler Schauspielschulabsolventen, an so manch geilem Projekt beteiligt war. Mit 15 Jahren entfloh er dem zerrütteten Elternhaus in Hamburg-Schnelsen, drehte später mit Oskar Roehler, Dominik Graf, Leander Haußmann und Til Schweiger. Mehr Rollen als er hat kaum ein Schauspieler seines Alters gespielt, mehr Preise gewonnen wohl auch nicht. Jürgen Vogel kennen auch die Menschen, die eigentlich nicht ins Kino gehen. Vor allem aber ist Jürgen Vogel ein Grund für Menschen, eine Kinokarte zu kaufen. Das gilt auch für Moritz Bleibtreu, weshalb „Stereo“ von Jungregisseur Maximilian Erlenwein eigentlich ein Erfolg werden müsste, wenn er am 1. Mai in den Kinos startet.

„Stereo“ erzählt von einem Traumatisierten (Vogel), den seine Vergangenheit einholt. Bleibtreus Rolle ist lange unklar; er ist ein Schatten, ein unsichtbarer Schlägertyp im Kapuzenpulli. Der Film legt erst gegen Ende alle Karten auf den Tisch, spielt mit Täuschungen und doppelbödigen Wahrheiten. Definitiv keine leichte Kost.

„Jürgen war immer mein Vorbild. Als ich mit 16 Jahren Schauspieler werden wollte, existierte der deutsche Film abgesehen von drei Fernsehspielen eigentlich nicht. Aber als ich schließlich aus New York und Paris wieder nach Deutschland zurückging, 1992, kam gerade ,Kleine Haie‘ in die Kinos. Das hat alles verändert. Ich habe gedacht: Guck mal, so kann man also auch Filme machen. Mit so einem Humor. Und solchen Typen“, erzählt Bleibtreu und haut seinem Tischnachbarn in die Seite. Der grinst das berühmte Jürgen-Vogel-Grinsen, bei dem die säbelartigen Eckzähne sichtbar werden. „Kleine Haie“ war Vogels Durchbruch. Und der Beweis, dass das deutsche Kino mehr sein kann als eine pseudolustige Konsensveranstaltung.

„Wenn ‚Stereo‘ gut läuft, ist das vielleicht für die Leute, die Filme finanzieren, auch ein Anreiz zu sagen: Vielleicht kann man hierzulande doch Wege gehen, die kompromissloser und ambivalenter sind. Stoffe mit Ecken und Kanten haben es in Deutschland jedenfalls nach wie vor schwer“, sagt Bleibtreu.

Über Kino und Regisseure könnte man mit ihm wahrscheinlich tagelang debattieren. Bleibtreu, Sohn der Hamburger Bühnenschauspielerin Monica Bleibtreu, im Theater groß geworden, international als Darsteller gefragt, ist kein Branchensoldat. Er schaut über den Tellerrand hinaus, verschenkt sich nicht leichtfertig an hoch dotierte Fließbandproduktionen. „Das Gerücht, ich würde kein Fernsehen machen, hält sich hartnäckig. Dabei stimmt es in dieser Konsequenz gar nicht. Ich habe nie einen Rundbrief geschickt, in dem stand: ‚Ich mache kein Fernsehen mehr!‘ Ich wäre der Letzte, der eine gute Fernsehserie nicht machen würde, wenn ich das Angebot auf dem Tisch hätte“, sagt er.

Es ist auch diese Mischung aus heiligem Ernst, wenn es um die Kinokunst geht und Lässigkeit angesichts des Promirummels, die Vogel und Bleibtreu auszeichnet. Trotz aller Bekanntheit sind sie auf ihre Weise Außenseiter geblieben. Underdogs der Branche. Star und Anti-Star gleichermaßen. Sie sind nicht Schweighöfer-nett, nicht Christoph-Waltz-tiefgründig. Sie erledigen gewissenhaft ihren Job – und reden nicht gern drüber. Und wenn doch, dann nur frei Schnauze: „Ein Buch wie ‚Stereo‘ zu verfilmen, dazu musst du auch erst mal die Eier haben“, sagt Vogel. Es klingt sehr zufrieden.

Man kann also als Zuschauer gar nicht anders, als über „Stereo“ hocherfreut zu sein. Allein weil dieser Film es schafft, was das deutsche Kino all die Jahre nicht auf die Reihe bekommen hat: Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu mit gleichberechtigten Rollen aufeinander loszulassen.

Ein Duell der Giganten. Schwer zu sagen, wer am Ende gewonnen hat. Vermutlich beide.