Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner ermitteln dieses Mal in einem Fall krankhafter Liebesverwirrung. Regisseur Thomas Stiller hat einen beklemmend guten Thriller gedreht, zu sehen an diesem Sonntagabend.
Stoff für Albträume habe er jetzt genügend, erklärt Kommissar Sascha Bukow, als er in den frühen Morgenstunden die Leiche betrachtet. Eine mit der Gartenschere herausgetrennte Zunge, Blut überall auf der Rückbank, ein Taxifahrer mit Schnappatmung. Sehr unappetitlich das Ganze. Was Bukow zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt: Es wird noch schlimmer kommen in diesem Fall. Die Albträume haben Laufen gelernt. Bukow aber verkriecht sich erstmal wieder ins warme Bett. Kollegin Katrin König dagegen zieht ab in die nächste Bar. Manchmal ist Alkohol eben doch das beste Rezept gegen eine Überdosis Grausamkeit.
„Liebeswahn“ heißt der neue „Polizeiruf 110“ des NDR aus Rostock, und der Titel erzählt ziemlich genau, worum es in diesem Film geht: um extreme Formen von Liebe (oder dem, was sich so nennt), Psychosen unter dem Deckmantel der Normalität, Rachefantasien mit tödlichem Ausgang. Regisseur (und in diesem Fall Drehbuchautor) Thomas Stiller hat daraus einen Thriller gestrickt, der an Spannung so ziemlich alles übertrifft, was auf dem Krimistammplatz am Sonntagabend zuletzt gezeigt wurde. Dabei sind die Bilder zwar halbwegs brutal, aber nicht übermäßig schockierend; die schlimmsten Befürchtungen spielen sich im Kopf ab, in dem der Protagonisten und des Zuschauers. Die Hölle der Gedanken.
Es ist normalerweise kein gutes Zeichen, wenn das Privatleben der Kommissare übertrieben im Mittelpunkt steht. Wenn man sieht, wie sie in ihren chronisch leeren Kühlschrank gähnen und abends die Katze füttern. Das geschieht meist nur, wenn die Krimihandlung optimistisch gerechnet für sechseinhalb Minuten taugt. Hier entwickelt sich der eigentliche Fall jedoch erst auf der privaten Ebene der Ermittler. Und es ist nicht übertrieben zu behaupten: Bukow und König haben schon bessere Tage gesehen. Er kriecht in diesem Film mehr als dass er aufrecht geht. Ihr helfen selbst die frisch gepressten Gemüsesäfte nicht, die sie morgens auf Ex kippt, um auf den Beinen zu bleiben, sich ein bisschen neuen Lebensgeist einzuverleiben.
Schauspielhaus-Neuzugang Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau sind auch in diesem „Polizeiruf“ wieder so stark, dass man ihren Erfindern zu diesem Doppel gar nicht genug gratulieren kann. König sieht neuerdings aus, als sei sie aus einem französischen Film Noir geradewegs ins öffentlich-rechtlich Fernsehen spaziert. Hübner und seine Film-Ehefrau Fanny Staffa brauchen nur wenige Einstellungen um zu erzählen, dass diese Ehe am Ende ist. Oder zumindest in einer sehr dunklen Beziehungsecke feststeckt. Wenn die Kinder im Bett sind, werfen sie sich Satzhäppchen zu, die nie ein Gespräch ergeben. Sie blättert so geräuschvoll in ihrer Zeitschrift, dass der Subtext schwer zu überhören ist: Du störst! Als später am Abend Kollegin König anruft, wird Bukows Stimme dagegen ganz warm. Was er selbst natürlich als Allerletzter zugeben würde. Als er schließlich auflegt, hat seine Frau den Raum verlassen.
Dass sie eine Affäre mit Bukows Kollegen hat, wundert so recht niemanden mehr. Die Parallelmontage ihres Fremdgehens mit einem schweren Asthmaanfall ihres jüngeren Sohnes ist die einzige Szene, die in diesem Film etwas zu platt und bedeutungsschwer gerät. Auch wenn Regisseur Stiller damit wahrscheinlich nur das Überthema von „Liebeswahn“ aufgreift, nach dem Böses mit Bösem vergolten wird, niemand ohne Schuld ist und letztendlich dafür bestraft wird. Vielleicht dann, wenn er überhaupt nicht damit rechnet.
Es ist lange nicht klar, in welche Richtung die Ermittlungen laufen. Steckt die Russenmafia hinter dem brutalen Mord oder doch eher ein Durchgeknallter aus der SM-Szene? Die Ex-Frau des Ermordeten (herrlich neurotisch: Sandra Borgmann) spielt mit ihren exzentrischen Sexvorlieben jedenfalls in einer ganz eigenen Liga. „Was ist nur aus dem guten alten Kuschelsex geworden?“, fragt Katrin König, die darauf natürlich keine Antwort bekommt. Zumindest keine, für die es Worte braucht.
„Liebeswahn“ ist ein Film über unsere dunkelsten Ängste. Und darüber, wie oft man mit ihnen allein ist.
„Polizeiruf 110: Liebeswahn“, Sonntag, 12. Januar, 20.15 Uhr, ARD