Zwölf Jahre lang spielte Tessa Mittelstaedt im Kölner „Tatort“ die Assistentin Franziska Lüttgenjohann. In der letzten Folge steht sie im Mittelpunkt des beklemmenden Kammerspiels im Gefängnistrakt.

Es dauert mehr als 20 Minuten, ehe die Ermittler erstmals zu sehen sind – rekordverdächtig für einen „Tatort“. Der aus Köln ist diesmal ganz anders als die anderen Folgen. Er heißt so wie die Figur, die diesmal im Mittelpunkt steht: „Franziska“.

Franziska Lüttgenjohann ist die gute und fleißige Seele an der Seite der bärbeißigen und von den Drehbuchschreibern auf authentisch und ehrlich getrimmten Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär), die den beiden Chefs zuarbeitet, aber meistens im Büro bleiben muss. Ins Freigehege durften bislang nur die beiden Typen. In „Franziska“ ändert sich das schon in der ersten Szene. Dort ist Franziska, die seit mehr als zwölf Jahren von Tessa Mittelstaedt verkörpert wird, beim Gang durch einen Gefängnisflur zu sehen. Das wirkt gleich richtig beklemmend, weil böse Buben, die an Gittern rütteln, ein gefährliches Potenzial an Gewaltbereitschaft an den Tag legen. Die wollen alle raus hier, und Frauen bekommen sie nie zu Gesicht. Franziska ist in ihrer Eigenschaft als Bewährungshelferin im Gefängnis, doch der Tag wird ganz anders verlaufen als geplant. Eigentlich will sie den unmittelbar vor der Entlassung stehenden Mörder und Vergewaltiger Daniel Kehl besuchen, zu dem sie ein gutes Verhältnis aufgebaut hat. Aber Kehl tut etwas ganz und gar Unwahrscheinliches: Er nimmt, während das Alarmsignal über die Lautsprecherboxen jault, Franziska als Geisel, mit der er seine sofortige Entlassung erreichen will. Kurz vorher ist der Häftling Sergej Rowitsch erstochen worden, und Kehl behauptet, der Mord solle ihm in die Schuhe geschoben werden.

Der Böse wird immer böser

Während Ballauf und Schenk in den Zellen ermitteln, wer Rowitsch umgebracht hat, steckt ihre Kollegin in den Fängen eines Psychopathen. Die kammerspielartigen Szenen sind die stärksten Momente dieses von Dror Zahavi gedrehten „Tatorts“. In ihnen wird der Böse immer böser, während der Guten langsam zu dämmern beginnt, dass sie als intellektuell und psychologisch weit überlegene Akteurin in diesem kranken Zwei-Personen-Stück gar keinen Vorteil hat, sondern in Lebensgefahr ist. Die Schlinge droht sich zuzuziehen, weil Kehl ihr tatsächlich eine Schlaufe um den Hals gelegt hat, an der er sie durch den Besprechungsraum zerrt, während Ballauf, Schenk, Staatsanwalt und Gefängnisverwaltung zusehends panischer versuchen, die Kollegin zu befreien.

Die klaustrophobische Anmutung merzt die kleinen Schwächen des Drehbuchs aus, in dem manche Zuspitzungen im Sinne des Thriller-Effekts übertrieben erscheinen. Trotzdem verwundert die zeitliche Verschiebung dieser Folge auf 22 Uhr – aus Gründen des Jugendschutzes, wie es vonseiten der ARD heißt. Brutal ist der Kriminalfilm hier und da, ja, aber das hat man auch schon öfter gesehen. Es ist wohl eher so, dass die ARD manchen Zuschauern nicht zutraut, mit dem unbefriedigenden, schockierenden Ende klarzukommen. Dem muss man nicht folgen.

Es ist der letzte Auftritt Mittelstaedts als Franziska Lüttgenjohann. Dieser letzte Auftritt, in dem sie die Hauptperson und nicht lediglich Sidekick ist, zeigt eindrucksvoll, warum sie demnächst in anderen, größeren Rollen zu sehen sein sollte.

Und dennoch – oder gerade deswegen – ist dieser Tatort der trostloseste seit Langem, und das nicht, weil etwa die Zustände in diesem Land gezeigt werden. Diese Funktion der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung hat der Tatort ja dem eigenen Verständnis nach. Manchmal erzählt er aber auch einfach nur eine spannende und dramatische Geschichte, in der sich die zeitlosen Abgründe in den Menschen zeigen, die Grausamkeit derer, die noch nie etwas zu verlieren hatten. Hinnerk Schönemann spielt den überkaputten Frauenschänder Kehl, der Misshandlungen durch seine Mutter wie Ehrenmale zu Markte trägt. Seine Narben sind das sichtbare Zeichen, dass hier einer nie normal war. Und dass man vielleicht nicht unbedingt eine Frau zu seiner Bewährungshelferin hätte machen sollen. Befriedigender kann die Motivation des Bösen leider nicht dargestellt werden: Sie ist ein Erbe der eigenen Kindheit.

Hilfloser als hier hat man Schenk und Ballauf auch noch nie gesehen. Weshalb dieser Krimi auch die Schwächen der ermittelnden Helden eindrucksvoll ins Werk setzt: Tragisches Scheitern gehört nun mal auch ins Berufsprofil des Kriminalers.

„Tatort: Franziska“ Sonntag, 5.1., 22.00 Uhr, ARD