Schon mehr als vier Millionen Zuschauer sahen den Feel-Good-Film mit Elyas M’Barek als prolligen Pädagogen: Warum Bora Dagtekins Schulkomödie „Fack Ju Göhte“ das Kinopublikum begeistert.

Hamburg. Gut möglich, dass der 7.November 2013 als der Tag in die deutsche Geschichte eingeht, ab dem der Name des Dichters und Denkers Goethe anders geschrieben wird. Nämlich falsch. Denn an diesem Termin startete mit „Fack Ju Göhte“ jener Film, der mittlerweile die mit Abstand erfolgreichste deutsche Kinoproduktion des Jahres ist.

Weit mehr als vier Millionen Zuschauer sahen bisher die Feel-Good-Komödie um Kleinganove Zeki Müller (Elyas M’Barek), der als Aushilfslehrer an einem Gymnasium anfängt, weil unter der Turnhalle sein Diebesgut vergraben liegt. Nachdem Referendarin Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth) an der Rabaukenklasse 10b verzweifelt ist, fährt der charmante Vollproll mit Paintball-Pistole und Exkursionen zu Junkies härtere pädagogische Geschütze auf. Dass diese auf knapp zwei Stunden erzählte Leinwand-Story den 2013 schwächelnden deutschen Film zum Jahresende auf einen Marktanteil von mehr als 20 Prozent führt, hat eine Vielzahl von Ursachen, die glücklich zusammenkamen.

Einer der Hauptgründe sind gewiss die Dialoge. Mit der TV-Serie und dem Film „Türkisch für Anfänger“ hat Regisseur und Drehbuchautor Bora Dagtekin bereits einen ganz eigenen Tonfall entwickelt, den er in „Fack Ju Göhte“ zur politisch unkorrekten Perfektion führt. Wenn Sprüche wie „Heul leiser“ oder „Kanack’ mich nicht an“ zu geflügelten Worten werden, hat es ein Film geschafft. Die Menschen im Deutschland der Großen Koalition, der großen Kompromisse, des großen Ökogutmenschentums wollen nicht auch noch im Kino darauf achten, ja alles richtig zu machen. Sondern sie können einfach sehr viel lachen, wenn Bildungsbürgertum auf Hartz-IV-Realität trifft, Chantalisierung auf „Romeo und Julia“, Kulturnation auf Migrationshintergrund. Ein Patchwork-Land, in dem zusammen wächst, wer zusammen schwört.

Dieser besondere, befreiende Sound, den Dagtekin geschaffen hat, ist mit dem großen Überraschungserfolg des Filmjahres 2012 vergleichbar, der französischen Komödie „Ziemlich beste Freunde“. Auch Onno Meyer, Leiter der Hamburger Cinemaxx-Kinos, zieht diesen Vergleich schnell. „Gute Kinojahre zeichnen sich immer dadurch aus, dass wir zwei, drei gute deutsche oder zumindest europäische Produktionen haben.“ Angesichts eines eher „durchwachsenen Kinojahres“ ist er dankbar für das gute vierte Quartal, das „Fack Ju Göhte“ der Branche beschert.

Für ihn liegen die Rekordergebnisse, die „Fack Ju Göhte“ einfährt, vor allem im Charisma der Hauptdarsteller begründet. Kombiniert mit einer Marketing-Kampagne, die auf Menschen zum Anfassen statt auf großformatige Plakatierung setzte, wie sie etwa bei „Thor 2“ eine Woche vorher zu sehen war. Bereits fünf Tage vor dem offiziellen Start waren M’Barek und Dagtekin im Rahmen einer umfassenden Kinotour, die rund 50 Städte in einer Woche umfasste, im Cinemaxx Dammtor sowie beim Mitbewerber UCI in Hamburg zu Gast. „Ein Besuch mit Autogrammstunde und kreischenden Mädels“, erinnert sich Meyer und fügt schmunzelnd hinzu: „Da war ich endlich mal der Held bei meiner zwölfjährigen Tochter.“

Til Schweiger und Matthias Schweighöfer gingen immer, meint Meyer. „Jetzt kommt M’Barek noch zu den Sunnyboys der deutschen Filmindustrie dazu.“ Und tatsächlich ertönt vor allem von jungen weiblichen Fans ein Seufzen und Kichern, wenn der 31-Jährige auf der Leinwand erscheint und seinen durchtrainierten Körper präsentiert. Doch auch wenn Mädchen und Frauen von elf bis Mitte 20 die Hauptklientel ausmachen, sei das Publikum nicht nur weiblich, wie etwa bei der „Twilight“-Saga, erläutert Meyer. „Bemerkenswert ist, dass viele in Gruppen von sieben, acht Leuten kommen. Auch komplette Schulklassen haben wir schon gesehen“, sagt Meyer.

Am Startwochenende musste er wegen des Besucheransturms weitere Vorstellungen hinzunehmen. Der große Saal mit 1000 Plätzen war mehrfach ausverkauft. Normalerweise bedarf es internationaler Blockbuster, um solche Massen anzulocken. „James Bond“ und der „Hobbit“ Ende 2012 etwa. Oder die „Panem“-Fortsetzung „Catching Fire“, die zwei Wochen nach „Fack Ju Göhte“ startete. Zum Teil lief Dagtekins Film fünfmal am Tag – mit der ersten Vorführung um 13.40 Uhr, damit die Schüler direkt von der realen in die fiktionale Penne überwechseln konnten.

Mit insgesamt „weit über fünf Millionen Kinozuschauern“ rechnet Filmproduzent Martin Moszkowicz, Vorstand des Bereiches Film & Fernsehen der Constantin Film AG. Wie sehr sich die Komödie, die seine Firma in Koproduktion mit der Rat Pack Filmproduktion erstellt hat, als Durchstarter und Dauerbrenner entpuppt, verblüfft selbst den erfahrenen Kinofachmann. „Das lässt sich nicht planen“, sagt Moszkowicz, der die Entstehungskosten von „Fack Ju Göhte“ zwar nicht genau benennen mag, aber erklärt: „Das war eine ganz normale deutsche Produktion, die Kosten lagen zwischen vier und sechs Millionen Euro.“

In der Hochphase waren mehr als 700 Kopien im Einsatz, gestartet wurde mit rund 500. Die Zugkraft rührt für Moszkowicz daher, dass sich der Film von einem anfänglichen Teenie-Ereignis zum gesellschaftlichen Phänomen für alle Generationen ausgeweitet habe. „Kinder, die die Dialoge schon mitsprechen können, nehmen ihre Eltern mit ins Kino.“

Ebenfalls erfolgsfördernd dürfte sein, dass Schule ein Konsensthema ist. Die Jungen schmeißen sich weg, weil sie ihren Alltag persifliert sehen. Und sie feiern ihre neuen Stars, allen voran Jella Haase als derbe Tussi Chantal. Die Älteren staunen, was sich da alles verändert hat seit ihrer eigenen Jugend. Und sie amüsieren sich über Schauspieler, die ihnen vertraut sind. Über Katja Riemann als Prittstift schnüffelnde Direktorin und Uschi Glas, die ihre Überforderung als Lehrerin wegzutöpfern versucht.

Für Kinobetreiber Meyer ist der Film Beweis dafür, was das Kino im Internet-Zeitalter zu vermitteln vermag: Gemeinschaftsgefühl. „‚Fack Ju Göhte‘ hat mit Wucht gezeigt, dass Kino viele Menschen bewegen kann, wenn man die richtige Geschichte hat“, sagt Meyer. Und ein guter Look schadet ebenfalls nicht. Während die Filme von und mit Til Schweiger stets aussehen wie eine Margarine-Werbung, wirkt „Fack Ju Göhte“ wie Graffiti. Cool, bunt, krass.

Neben der klassischen Medienpräsenz in TV und Print ist es vor allem das Internet, dieser größte aller Schulhöfe, der die Mund-zu-Mund-Propaganda nachhaltig befeuert. Kaum ein deutscher Film hat bisher so viel Energie darauf verwendet, online und auf den mobilen Endgeräten präsent zu sein. Eine eigens entwickelte App versorgt Schüler mit einem „Ausredenhelfer“ und macht die Filmsprüche akustisch abrufbar. Chantals „Ey, das ist Pimkie!“ etwa. Futter für den Hype. Twitter-Nachrichten und Statusmeldungen werden weitergereicht wie einst Zettelchen unter der Schulbank. Rund 800.000 Usern gefällt mittlerweile der Facebook-Auftritt zu „Fack Ju Göhte“, mehr als 1,3 Million folgen Elyas M’Barek.

Kult entsteht durch Interaktion. Ob es nun eine Statistenrolle zu gewinnen gibt oder das witzigste Lehrerfoto prämiert wird. Am meisten Spaß macht die Seite, wenn die Nutzer in dem eingedeutschten Englisch angeschrieben werden, das sich als Sprachstil rund um den Film etabliert hat. Das liest sich dann so: „Hu wos schon in se muvie?“ („Wer war schon in dem Film?“). Wenn schon Untergang des Abendlandes, dann bitte lustig.

„Wir haben unsere Promotion massiv auf die sozialen Netzwerke zugeschnitten“, sagt Martin Moszkowicz. „Und uns beim Dreh extra zwei Tage Zeit genommen, um mehr als 60 sogenannte Virals, also Aufsager und Videos für das Online-Marketing, zu produzieren.“ Und der Siegeszug von „Fack Ju Göhte“, er ist noch lange nicht zu Ende.

„Gerade sind wir dabei, eine englisch untertitelte Fassung zu erstellen“, erzählt Moszkowicz. Zudem hätten diverse Weltvertriebe angeklopft. Im März folgt die Vermarktung der DVD. ProSiebenSat.1 hat sich zudem die Fernsehrechte gesichert. Eine Fortsetzung soll im Herbst gedreht werden. Mit dem gleichen Team. Dann gilt erneut, was Moszkowicz auch über Teil eins sagt: „Eine Komödie zu drehen ist nicht einfach. Jeder einzelne Gag ist hart erkämpft.“