Britney Spears will mit ihrem überfrachteten neuen Album „Britney Jean“ die zumindest medial enteilte Konkurrenz der Pop-Diven wieder einholen. Auf eine gewisse Art gelingt ihr das sogar.
„Du willst einen Lamborghini? Martinis schlürfen? Heiß im Bikini aussehen? Dann an die Arbeit, Schlampe.“ Offensichtlich musste sich Britney Jean Spears, 32, für ihr neues Album „Britney Jean“ gehörig selbst motivieren. Ihre erste Single „Work Bitch“ brüllt uns mit Faust-ins-Gesicht-Beat und David-Guetta-Keyboard (das mit den drei Tasten) an wie ein Ausbilder der Marines seine Rekruten. An die Arbeit! Schaff ran! Die Konkurrenz schläft nicht!
Im Gegenteil, die Konkurrenz ist hellwach. Britneys „Konzept“ von verlorener Unschuld und permanenter, mal freiwilliger und mal unfreiwilliger Selbstentblößung und -Entblödung hat die aktuelle Oberliga der Pop-Chanteusen um Rihanna, Lady Gaga und Miley Cyrus medial perfektioniert. Keine Sekunde, in der nicht in den sozialen Netzwerken und klassischen Medien neueste Nichtnachrichten, Gerüchte und Skandale verkündet werden, die so austauschbar sind wie die Songs, Videos und Konzertshows. Und die nächste Generation um Sky Ferreira hat die Startblöcke schon verlassen. Der Pop, diese Kombination aus Glücksrad und Knochenmühle, dreht sich schnell.
Im Jahr 1999, als Britney Spears mit dem Album „... Baby One More Time“ aus dem Nichts zum Superstar wurde, stand sie trotz Omma Madonna und Erzrivalin Christina Aguilera allein an der Spitze. „Es gab eine Zeit, da war ich einzigartig“, singt Britney jetzt in „Alien“, während sie und ihre Klone sich um die letzten Krümelchen des Tonträgergeschäfts balgen wie Fische in einem zu kleinen Aquarium. „... Baby One More Time“ wanderte einst allein in den USA in zwölf Millionen Regale, ihr letztes Album „Femme Fatale“ (2011) brachte es hingegen in ihrer Heimat noch auf 770.000 Einheiten.
Vermeintlich magere Zahlen, die aber von Lady Gaga oder Miley Cyrus auch nicht übertroffen werden. Das Album ist tot, es lebe die Rundumvermarktung durch Streaming, Tourneen, Werbeverträge, Fanartikel, Modelinien und exzessive Internet-PR. Sich auffällig aus diesem Datenstrudel zu erheben ist schwer, wenn jeder seine 15 Klicks Ruhm haben darf. Auf Maloche, Bitch!
Britney hat sich entsprechend einen Marketingcoup zurechtgelegt: Es soll ihr bisher „persönlichstes“ Album sein. Und so wird aus dem Coup ein Gag. Denn was ist persönlich an einem Werk, für das fast 50 (!) verschiedene Produzenten und Texter auf Montage waren, von Chico Bennett (Madonna, Lady Gaga) und will.i.am (Black Eyed Peas) über David Guetta bis Katy Perry? Und wer einen Blick in das Seelenleben erwartet, stößt auf Banalitäten wie „Ich will tanzen, bis mein Körper schmerzt“ („Body Ache“) oder „Du bist mein Licht, wenn es dunkel wird“ („My Brightest Morning Star“). Und wer hört, wie sie hofft, das die neue Liebe ihres Ex noch Britneys „Perfume“ riecht, der kauft sich vielleicht auch einen Duft aus ihrer großen Kosmetik-Angebotspalette. Pop ist Produkthinweis. Ihren Vater wird es freuen, er verwaltet die Finanzen seiner 2008 entmündigten Tochter.
Was gehört der Spears also noch? Die Stimme? Die wird auf „Britney Jean“ beherrscht von dem Instrument, das neben Photoshop das wichtigste Utensil einer Pop-Diva des 21. Jahrhunderts ist: Auto-Tune, der „Cher-Effekt“, der auch eine mittelmäßige Sängerin in der Spur hält. Aber das fällt nicht näher auf im Wirbel der aufgetürmten Electro-Arrangements, die zwischen 90er-Jahre-Eurodance, Kirmestechno, R’n’B und Dubstep taumeln wie ihre anvisierten Zielgruppen-Twens, die sich auf Ibiza und in Florida zum Guetta-Geballer gegenseitig die Mischgetränk-verklebten Zungen in die Rachen schrauben. Selbst eine Lady Gaga erscheint dagegen plötzlich so natürlich wie eine schwedische Folksängerin.
„Britney Jean“ ist schlicht in seinen Texten und in der Vielfalt seiner Knalleffekte doch so leer wie eine aufgeblasene Papiertüte. Es fügt sich so perfekt ein in das Angebot ihrer Konkurrentinnen. Auch deren Twitter-Nachrichten, Bikini-Selfies und „Was hat sie wieder angestellt“-Flüstereien sind längst interessanter geworden als die Musik, und auch noch kostenlos zu bekommen. Millionen Facebook-Anhänger, und kaum einer kauft ein Album, einen Song. Eine interessante wie schwache Bilanz der Pop-Superstars. Nebenbei bemerkt: Das Covermotiv von „Britney Jean“ mit seiner Neonreklame-Schrift erinnert doch sehr an „Bangerz“ von Miley Cyrus.
Nun war sicher keine Britney auf den Spuren von Adele oder Alicia Keys zu erwarten, Künstlerinnen, die mehr Inhalt als Verpackung bieten können. Und tatsächlich gibt es mit „Til It’s Gone“ und „Work Bitch“ immerhin zwei Songs, zu denen man wirklich sehr gut steilgehen kann. Aber um es mit Michael Jacksons „Billie Jean“ zu sagen: „Who will dance on the floor in the round“ – wer wird dazu tanzen?
Britney Spears: „Britney Jean“ (Sony Music); www.britneyspears.com