Schauspieler Burghart Klaußner liest an diesem Dienstag im Polittbüro in der „Vers- und Kaderschmiede“ aus Peter Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“. Der österreichische Autor verarbeitete so den Suizid seiner Mutter.

Hamburg. Seit vier Jahren hat Thomas Ebermann „Wunschloses Unglück“ auf dem Zettel. Der Initiator der Reihe „Vers- und Kaderschmiede“ hat eine Liste mit Texten, die ihn faszinieren, und die er in seinem monatlichen Programm auf die Bühne bringen möchte. Manchmal dauert es Jahre, bis sich solch ein Vorhaben realisieren lässt und bis der richtige Sprecher für den jeweiligen Text gefunden ist. Ebermann ist sich sicher, jetzt die beste Besetzung für die Lesung der Erzählung von Peter Handke gefunden zu haben: Burghart Klaußner liest den 1972 erschienenen Text an diesem Dienstag im Polittbüro.

Handkes Erzählung beginnt mit dem Satz: „Unter der Rubrik VERMISCHTES stand in der Sonntagsausgabe der Kärtner ,Volkszeitung’ Folgendes: ,In der Nacht zum Samstag verübte eine 51-jährige Hausfrau aus A. (Gemeinde G.) Selbstmord durch Einnehmen einer Überdosis von Schlaftabletten.’“ Die Frau ist die Mutter von Peter Handke. Sieben Wochen nach ihrem Tod beginnt der Schriftsteller über seine Mutter Maria zu schreiben, aus dem Bedürfnis heraus, gegen die Sprachlosigkeit anzugehen, den der Suizid in ihm ausgelöst hat. Handke zeichnet das Leben einer Frau nach, die 1920 in ärmlichen Verhältnissen im österreichisch-slowenischen Grenzgebiet geboren wurde und die mehr vom Leben wollte, als „die Stationen eines Kinderspiels, das in der Gegend von den Mädchen viel gespielt wurde: Müde/Matt/Krank/Schwerkrank/Tot.“ Maria wollte etwas lernen, um sich aus der dörflichen Enge zu befreien. Der Vater verbietet es, sie verlässt mit 15 Jahren das Haus und wird Hauptköchin in einem Hotel.

Maria ist stolz, doch sie macht es sich nicht leicht. Sie lässt sich von einem verheirateten NSDAP-Mitglied schwängern, heiratet einen Unteroffizier und zieht mit Sohn Peter nach Kriegsende zu ihm nach Berlin. Dort erlebt sie ihre beste Zeit. Sie ist hübsch, sie geht viel aus und amüsiert sich. Doch der Mann ist alkoholkrank und schlägt sie. 1948 geht sie mit Mann und zwei Kindern zurück in ihr Geburtsdorf, zurück in Armut und Enge. „Handke reichen manchmal zehn Zeilen, um ein ganzes Universum zu öffnen“, sagt Ebermann über die Erzählung. Die Armut beschreibt Handke mit wenigen Sätzen am Beispiel Weihnachten: „Weihnachten: das, was ohnedies nötig war, wurde als Geschenk verpackt. Man überraschte einander mit dem Notwendigen, mit Unterwäsche, Strümpfen, Taschentüchern, und sagte, dass man sich gerade das auch GEWÜNSCHT hätte! Auf diese Weise spiele man bei fast allem, außer beim Essen, den Beschenkten.“ Am Ende ihres Lebens verfällt Handkes Mutter in Depressionen und ist von Kopfschmerzen geplagt. Sie betäubt sich mit Medikamenten, denkt an Selbstmord. Der Sohn versucht sie von den Suizid-Gedanken abzubringen, doch er kann die selbstbestimmte Entscheidung nicht verhindern. Handke schreibt: „Und während des ganzen Fluges war ich außer mir vor Stolz, dass sie Selbstmord begangen hatte.“

Bei der Vorstellung des Programms der für diese Spielzeit hat Klaußner bereits einen kurzen Ausschnitt aus „Wunschloses Unglück“ gelesen. Sein Beitrag zählte zu den Höhepunkten des Abends. In Ebermanns Reihe liest Klaußner zum dritten Mal. Zuvor hatte er von Thomas Bernhard „Meine Preise“ vorgetragen und war in der szenischen Lesung von Fernando Pessoa „Ein anarchistischer Bankier“ dabei. „Wunschloses Unglück“ gehört zu den Texten, die Ebermann unter dem Stichwort „gescheiterte Sehnsüchte und gescheiterte Ausbruchsversuche“ zusammenfasst. In den kommenden zwei Jahren will er immer wieder Texte vortragen lassen oder inszenieren, die der Frage nachgehen: Was bedeutet es, in Verhältnissen gefangen zu sein, ohne sich aus ihnen befreien zu können?

Burghart Klaußner liest Peter Handkes „Wunschloses Unglück“ Di 5.11., 20.00, Polittbüro (U/S Hbf.), Steindamm 45, Karten 15,-; Internet: www.polittbuero.de