Eine Retrospektive würdigt den Modefotografen Guy Bourdin in den Deichtorhallen, der in vielen seiner Bilder Sex und Gewalt als Grundprinzipien der Gesellschaft entlarvte.
Hamburg Heute würden die Fotografien von Guy Bourdin vielleicht nicht ohne Weiteres auf Hochglanzseiten finden. Viel nackte Haut zeigen seine langbeinigen, gerne hochhackig daherkommenden Models natürlich, häufig allerdings in demütiger, fast ohnmächtiger Stellung mit aufreizend gespreizten Beinen. Oder er setzte elegante Schuhe am Tatort eines Verbrechens in Szene, an der die Forensik schon tätig war. Die Fotos irritieren, transportieren einen Subtext von schiefen Machtverhältnissen, von Unterwerfung.
Die schöne junge Frau wird zur Projektionsfläche für Lust und Gefahr, wie sie im 19. Jahrhundert die Malerei des Symbolismus prägte und später im Surrealismus in die Finsternis vordrang. Vulgär sind Bourdins Arbeiten nicht. Wenn er ein Model einen phallisch schlanken Fisch zum Munde führen lässt, spricht daraus vor allem ein schwarzer Humor und ein Wille zum Bruch mit dem Eindeutigen. Allerdings fordern seine Arbeiten, dass man sie heute in einen breiteren Kontext stellt.
Das versucht Kurator Ingo Taubhorn mit der bislang umfangreichsten Retrospektive, die den Maler und Fotokünstler bis zum 26. Januar im Haus der Photographie in den Deichtorhallen würdigt. Guy Bourdin (1928–1991) gilt heute als vielfach kopierter Pionier der Mode- und Werbefotografie. Gegenwartskünstler wie David LaChapelle oder Terry Richardson greifen seine Ideen auf. Dabei interessierte den Franzosen die Mode im eigentlichen Sinne nicht, sondern das Leben und die Gesellschaft, als deren Grundprinzipien er Sex und Gewalt entlarvte.
Auf diese Formel bringt es Francine Crescent, langjährige Chefin der Paris Vogue, die mit Bourdin von 1957 an eine 30 Jahre währende Zusammenarbeit begann und ihm das Magazin zur großen doppelseitigen Präsentationsfläche darbot. Bei der Paris Vogue landete er 1955 auch einen frühen Skandal. Eine junge Frau im Audrey-Hepburn-Look unterm Schleierhut, Inbegriff der Eleganz, steht vor Kalbsköpfen mit heraushängenden Zungen, aufgenommen auf dem Pariser Großmarkt. „Chapeau Choc“. Ein Moment der Irritation blieb all seinen Arbeiten eingeschrieben, auch wenn er später für Marken wie Chanel, Ungaro und vor allem Charles Jourdan arbeitete, dessen elegante Schuhe er einfallsreich in Szene setzte.
Die Schau umfasst auch unveröffentlichtes Material, darunter frühe Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Street Photography, malerische Arbeiten und filmische Notizen. Bourdin selbst hat seine Arbeiten nie erklärt, sich Interviews ein Leben lang verweigert. Er war der Überzeugung, dass man Konsumbegehrlichkeiten nicht mit der simplen Darstellung von Produkten weckt, sondern indem man die Dinge verführerisch inszeniert. Er setzte das Vanitas-Motiv bewusst ein, zeigte Schönheit in ihrer Vergänglichkeit und gewann daraus Glamour.
Um seine Fotoshootings ranken sich zahlreiche Legenden von drangsalierten, gefesselten oder bissigen Hunden ausgesetzten Models. Bourdin galt als mitleidloser Exzentriker. Manche lesen eine Rache an den Frauen aus seinen Bildern heraus, Bourdin war von seiner Mutter früh verlassen und von seiner Großmutter adoptiert worden.
Flankiert wird die Schau durch eine Kabinettsausstellung mit 54 Fotografien aus der Sammlung F. C. Gundlach, die Einflüsse und von Bourdin inspirierte Fotokünstler der 1920er-Jahre bis in die Gegenwart präsentieren. In dem mehrfach belichteten weiblichen Akt „Demain“ (1932) des von Bourdin verehrten Man Ray zeigt sich bereits das Moment der Irritation. Weitere Arbeiten stammen von William Klein, Chris von Wangenheim, Tim Walker und Kristian Schuller.
Bis zum 8. November ist zudem in einer Outdoor-Galerie am Jungfernstieg ein begehbares Magazin errichtet. In unmittelbarer Nähe zu den Palästen des Modekonsums wirkt die Ästhetik Guy Bourdins noch einmal besonders.
Guy Bourdin. Retrospektive bis 26.1.2014, Di bis So 11.00–18.00, jeden 1. Do im Monat 11.00–21.00, Haus der Photographie, Deichtorstraße 1-2, www.deichtorhallen.de; Guy Bourdin – Das begehbare Magazin bis 8.11., Jungfernstieg, Eintritt frei