Guy Bourdin ist in den Deichtorhallen mit einer umfangreichen Werkschau seiner Modefotografie zu sehen. Das Haus der Photographie zeigt seine bisher umfangreichste Retrospektive.

Hamburg. Bereits in seiner ersten Modestrecke vereinte der französische Fotograf Guy Bourdin (1928-1991) die widerstrebenden Welten der Schönheit und des Makabren. Und sorgte damit 1955 für einen massiven Skandal. Betitelt war sie nicht ohne Grund „Chapeau Choc“ (frei übersetzt: Hut mit Schockeffekt): Als Hauptmotiv zeigte sie in der französischen „Vogue“ eine verschleierte junge Frau im Audrey-Hepburn-Look samt hellem flachem Tellerhut unter starren Kalbsköpfen mit heraushängenden Zungen, aufgenommen am Stand eines Schlachters auf dem Pariser Großmarkt Les Halles.

Bourdin hat die Verknüpfung von Eros und Thanatos, Sexualität und Tod, die vom 19. Jahrhundert an in der abgründigen Malerei des Symbolismus und des Fin de Siècle und später in der rätselhaften Kunst des Surrealismus dunkle Blüten trieb, zu seinem ästhetischen Markenzeichen gemacht. In zunehmend intensiver Farbigkeit schuf er einen grellen Glamour der Vergänglichkeit, und setzte elegante Accessoires an Verbrechensschauplätzen in Szene.

Das Haus der Photographie in den Deichtorhallen präsentiert jetzt die bisher umfangreichste Retrospektive seines Schaffens. Zu sehen sind frühe schwarz-weiße ländliche und städtische Alltagsszenen, Polaroids, Filmfragmente, Schriften, Skizzen und die zu Ikonen avancierten Mode-Kompositionen für „Vogue“ und den Designer Charles Jourdan. Die von Kurator Ingo Taubhorn realisierte Schau überrascht aber auch mit Zeichnungen und Gemälden des Künstlers, der sich parallel zur Fotografie zeitlebens seiner eigentlichen Leidenschaft, der Malerei, widmete.

Bourdin wuchs bei seinen Großeltern auf

Flankiert werden Bourdins bizarre bunte Bildwelten von Exponaten bekannter Zeitgenossen sowie von durch ihn beeinflussten Modefotografen aus der Sammlung Gundlach (Auswahl: Sabine Schnakenberg). Darunter sind Chris von Wangenheim, William Klein, David LaChapelle, Tim Walker und Kristian Schuller. Der mannigfaltig innovative Protagonist aus dem Surrealisten-Kreis, Man Ray, in dessen Pariser Atelier Guy Bourdin Anregung fand, ist hier ebenfalls vertreten. Ebenso wie Helmut Newton, Meister einer ultra-kühlen Hochglanz-Erotik, die selbst Schule gemacht hat.

Bourdin, geboren in Paris, wurde früh von seiner Mutter verlassen und wuchs bei seinen Großeltern zwischen der französischen Hauptstadt und der Normandie auf. Erstes fotografisches Know-how erwarb er 1948/49 während seiner Wehrdienstzeit bei den französischen Luftstreitkräften in Dakar. Anschließend konnte er Man Ray als Mentor gewinnen.

Bourdins frühe Fotos, zunächst noch unter dem Pseudonym Edwin Hallan veröffentlicht, sind von beiläufiger Poesie: die Strukturen von Hauswänden und Fassaden, Getreidereihen auf dem Feld, ein Mann, der mit der Hand in der Jackentasche neben einer Tür mit abgesplitterter Farbe steht, ein Stuhl, der Schatten wirft, Passanten in Paris, spielende Kinder, ein Liebespaar von hinten mit ineinander verschränkten Armen.

Blick für strukturelle Details fällt in 50er-Jahren auf

In diesen frühen, in der ersten Hälfte der 50er-Jahre entstandenen Schwarz-Weiß-Bildern fällt Bourdins Sinn für die kleinen Momente des Lebens auf, die von den späteren aufwendigen Inszenierungen überlagert werden. Auch der Blick für Materialität, Muster und strukturelle Details ist hier schon sichtbar, der in all seinen Arbeiten zum Tragen kommt. Die durchgängige Faszination des Fotografen für die Darstellung scheinbarer Tatorte inklusive unbelebter Frauenkörper findet sich hier bereits vorgeprägt.

Zu den legendären Mode-Szenarien, die Bourdin Kultstatus verliehen haben, gehören ein nächtlicher Verbrechensschauplatz mit Kreidesilhouette auf dem Asphalt, die bruchstückhafte Darstellung von körperlosen Frauenbeinen in unterschiedlichsten Positionen und in potenziell gefährlichen Situationen und die in stilisierter Leblosigkeit vielfach ins Bild gesetzten beziehungsweise gelegten weiblichen Körper, mal auf zerwühlten Laken, mal auf Bahnschienen, dann wieder im Gelände oder am Strand.

Die Figur werde in Bourdins Arbeiten ständig „hinein- und hinausgetragen“, bestätigt Kurator Ingo Taubhorn. „In welchem Zustand sich diese befindet, ist dabei nicht ganz klar.“ Die Tatsache, dass der Fotograf wiederholt die zentralen Frauen in seinem Leben verloren hat, mag sich in der massiven Verwendung dieser Thematik niedergeschlagen haben.

Bourdin: Mode ist Verkörperung des Ephemeren

Grundsätzlich greifen die Medien und Motive in den 50 Jahren seiner Karriere ständig ineinander: Inhalte der Modeinszenierungen kehren in seiner Malerei zurück, und umgekehrt. Die gemalten Räume bergen Aspekte der Fotos, bis hin zur Blumen- oder Camouflagetapete, als würde Bourdin Traumbilder nachstellen. Einzelheiten der frühen Schwarz-Weiß-Fotos, der Schatten eines Stuhls oder die Linienführung einer hölzernen Bretterwand, beispielsweise, tauchen in den späteren knallfarbenen Modeaufnahmen ebenfalls wieder auf. Die 70er- bis in die 80er-Jahre hinein markieren die Hochzeit seines Ruhms.

Taubhorn sieht die Pionierleistung des Künstlers in der Kompromisslosigkeit, mit der dieser in seinen Arbeiten „Elemente von Gewalt und Sex, morbide Momente, schrille Farbigkeit und einen obsessiven formalistischen Aufbau“ zusammengeführt hat, „zu einer Zeit, in der diese Art, Mode zu fotografieren, einzigartig“ war.

Nicht zuletzt bezieht Bourdins Werk auch daraus besondere Spannung, dass die Vanitas-Vorstellung von der Vergänglichkeit des irdischen Daseins und der Schönheit als bildliche Vehikel eingesetzt werden, um Begehren zu wecken. In seinen offenen, in der Fantasie zu ergänzenden Geschichten hat Bourdin ebenfalls anschaulich gemacht, dass die Mode selbst eine Verkörperung des Ephemeren ist.

Guy-Bourdin-Ausstellung vom 1. November bis 26. Januar, Eröffnung: Do., 31. Oktober, Haus der Photographie, 19 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Magazin