Der Hamburger Autor Mirko Bonné ist ein Kämpfer für das Lyrische – und für die Auszeichnung nominiert, die heute Abend vergeben wird
Hamburg. Mirko Bonné ist ein feiner Mann, schlank, nicht groß von Wuchs. Vertraut mit Sätzen, zu Hause in der Sprache: ein Dichter. Ein Mann, der Abstand wahrt und gleich mal sagt: „Ich lese keine Zeitgenossen.“
Eine schöne Huldigung der klassischen Autoren! Und weit verbreitet unter den Wortkünstlern. Vielleicht möchten sie sich Freiraum in der Gegenwart ihres Schreibens schaffen, unkundig dessen, was andere übers Heute zu sagen haben, wenn sie lieber zu Goethe, Kafka oder Balzac greifen. Ignorant wirkt Bonné, 1965 in Tegernsee geboren, jedoch keineswegs, er lässt sich derzeit sogar ein bisschen auf Gegenwartsliteratur ein. Bonné ist für den Deutschen Buchpreis nominiert, dessen Gewinner am heutigen Montagabend in Frankfurt bekannt gegeben wird.
Der Buchpreis ist ein Wettbewerb mit großer Strahlkraft, der das schriftstellerische Schaffen aus dem Schatten ins (verhältnismäßig) grelle Scheinwerferlicht holt. „Was die Aufmerksamkeit angeht, die einem da zuteil wird, ist das toll“, sagt Bonné, bei dem man sich keine Gedanken machen muss, dass er sich vom Spotlight blenden lässt. Er steht ja trotzdem noch etwas abseits, weil er das als seine Aufgabe betrachtet – der Dichter als distanzierter Beobachter. Er verfolge mit Interesse, so erzählt es Bonné beim Interview im Café Leonar am Grindelhof, wie weit es ihn im Bohei um die mit 37.500 Euro dotierte Auszeichnung „in die Mitte verschlägt“.
Man kann nun nicht sagen, dass da jemand in Identitätsnöte gerät, nur weil er, „der doch eigentlich aus der Dichtung kommt und sich in der Prosa noch immer auf fremdem Terrain bewegt“, wie Bonné erklärt, nun nicht mehr ganz als weltvergessener Vers-Schmied auftritt. Im Gegenteil: Er schmuggele, sagt er, mit seinem Roman „Nie mehr Nacht“ – er hat seine poetischen Momente – die Lyrik in den Wettbewerb. Das ist dann mal das, was man einen literarischen Coup nennt.
In Frankfurt konkurriert Bonné, der vor dem neuen Buch bereits vier Romane und sechs Gedichtbände veröffentlichte, mit fünf Kollegen aus dem erzählerischen Fach: Clemens Meyer, Térezia Mora, Monika Zeiner, Reinhard Jirgl und Marion Poschmann. Mit Letzterer, auch sie trat vor allem als Lyrikerin in Erscheinung, teilt Bonné das Mittel der poetischen Verdichtung.
In „Nie mehr Nacht“ geht es um den Zeichner Markus Lee, der mit seinem Neffen Jesse in die Normandie reist, um dort eine Auftragsarbeit zu erledigen: Er soll für ein Magazin die Brücken zeichnen, die bei der Landung der Alliierten 1944 eine wichtige Rolle spielten. Was Markus vor allem will, ist: seine Trauer über den Freitod seiner Schwester bewältigen – was ihm nicht gelingt, vielmehr arbeitet er irgendwann nur noch an seinem eigenen Verschwinden. Im ersten Teil des anspielungsreich erzählten Romans bringt Mirko Bonné vor allem auch das Generationsgespräch in Gang, indem er Markus und Jesse ziemlich ungnädig in übellaunige Dialoge stolpern lässt.
Bonné hat, und das ist bei Schriftstellern keineswegs selbstverständlich, Lust, über sein Buch zu reden, über Motive, Figuren und Erzählstrategien. Er berichtet auch von den Inspirationsquellen, die seiner Geschichte zugrunde liegen. Im Falle des pubertierenden Neffen sei es, sagt Bonné, der heute 17-jährige Sohn gewesen, bei dem er sich die kulturellen und sprachlichen Codes abgeschaut habe, „er war mein Coach“. Die Teile, die sich um die Beziehung zu dem Nirvana hörenden (Bonné: „Musik ist das verbindende Thema zwischen den Generationen“) Jesse drehen, sind in dem tiefschichtigen, über weite Strecken auch in Hamburg spielenden Buch die eher heiteren. Trauer, sagt Bonné, „wird in unserer Gesellschaft an die Seite gedrängt, sie lässt sich auch nicht unterhaltsam gestalten“.
Dass sich Bonné um Leichtverdauliches nicht schert, dass er alles andere als berechnender Autor ist, zeigt sich ja auch in seiner eigentlichen Leidenschaft – dem richtigen Dichten, das eben etwas anderes als das Erzählen ist. Lyrik-Bände gelten gemeinhin als Kassengift, Dichter-Abende gibt es in den Literaturhäusern weniger, als es sie geben sollte. Was sich natürlich leicht sagt und als Forderung nach mehr solcher sprachästhetisch hochtourigen Veranstaltungen lediglich gut gemeint ist; selbst greift man ja auch eher zum Roman, zur Prosa. Heute seien Unterhaltsamkeit und Literatainment wichtig, sagt Bonné, „ich sehe die Marginalisierung der Lyrik mit Sorge, mit ihr verschwinden das Aufklärerische und das Innehalten“.
Vielleicht freut es ihn deshalb diebisch, dass er es ins Buchpreis-Finale geschafft hat: als trojanisches Pferd unter den geborenen Erzählern. Ein Erzähler ist Bonné, der mit seiner Familie in Wellingsbüttel lebt, erst auf dem zweiten Schriftstellerweg geworden. Bei ihm fing alles mit Gedichten an. Als Zehnjähriger zog Bonné nach Hamburg, und in den Teenagerjahren begann er auch mit dem Schreiben. Das tat damals jeder, aber anders als seine Freunde hielt Bonné durch. Nach dem Abitur wollte er Germanistik und Philosophie studieren, schrieb sich wegen des Numerus clausus aber in Ägyptologie ein, eine Disziplin, die man ja durchaus als Orchideenfach bezeichnen kann. Richtig studiert hat Bonné nie, er bekam zeitgleich einen Übersetzerpreis zuerkannt. Schicksal sozusagen, damit war die Entscheidung gefallen. Er übertrug das Gesamtwerk von John Keats ins Deutsche.
Dies dürfte ein einsames Vergnügen gewesen sein und nicht vergleichbar mit dem, was Bonné zurzeit erlebt: ein bislang unbekanntes Interesse an seinen Büchern und seiner Person. Wenn diese literarische Saison vorbei ist, wird Bonné 60 Lesungen absolviert haben. Er wird in diesen Lesungen Menschen zum Weinen gebracht haben mit den Figuren in seinem Buch, das vom Dunkel ins Helle führt, er wird ihre Fragen beantwortet haben. Bonné hat einst viele Jahre Texte für Fernsehzeitschriften geschrieben, eine eigentlich absurde Vorstellung. Als würde ein Hochseilartist plötzlich nur noch Purzelbäume auf Turnmatten schlagen.
Heute Abend gewinnt der Kämpfer fürs Lyrische vielleicht sogar den Deutschen Buchpreis, es wäre eine kleine Sensation.
Mirko Bonné: „Nie mehr Nacht“ Verlag Schöffling & Co, 360 Seiten, 19,95 Euro