Die Dokumentation „16 x Deutschland“ verbindet im Ersten ungewöhnliche Porträts sämtlicher Bundesländer. Als Regisseure sind u. a. Charly Hübner, Lars Jessen und Rocko Schamoni dabei

Hamburg Als sie eine Zusage für das Dockville-Festival bekommen, wird es ernst. Die Hamburger Musiker vom kollektiv22 wollen unbedingt vorher noch einen neuen Song für dieses Ereignis auf die Beine stellen, aber das ist mit großem Zeitdruck natürlich nicht so einfach. Am Ende schaffen sie es und können den Song „Blattlaus“ – die Band lebt am Schulterblatt – auf der Bühne präsentieren. Der Dokumentarfilm über die Band von Özgür Yildirim ist Hamburgs Beitrag zu einem ungewöhnlichen Projekt. In „16 x Deutschland“, den das Erste am 5. und 6. Oktober jeweils von 16 Uhr an sendet, kann die Bundesrepublik aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Jedem Bundesland ist ein eigener Dokumentarfilm gewidmet.

Die Filme bilden eine Bestandsaufnahme, eine föderale Inventur und sind ein neuer Versuch in Sachen Heimatfilm. Das kann ein schwieriges Terrain sein, wie viele entsetzlich seichte Filme der 50er- und 60er-Jahre zeigten. Vor vier Jahren kam der Kompilationsfilm „Deutschland 09“ ins Kino, bei dem die Regisseure völlig freie Hand hatten, aber keine bleibenden Eindrücke hinterließen.

Der TV-Zweiteiler setzt sich aus jeweils sechs 15 Minuten langen Dokus zusammen. Die Galerie der Mitstreiter ist so beachtlich wie die Vielfalt der Ansätze. Andres Veiel hat in Baden-Württemberg den ältesten Fahrlehrer Deutschlands besucht. Er zeigt einen liebenswerten, wenn auch manchmal halsstarrigen Senior, der die Fahrschule mit dem erwachsenen Sohn betreibt. Nebenbei wird klar: Der Überlebenskampf im Ort ist hart. Früher gab es dort vier Fahrschulen, jetzt sind es schon 14. Heimliche Heldin in Veiels Film ist die Mutter, die den Laden im Land des heilig’s Blechle zusammenhält, und für Ehemann und Sohn jeden Mittag Nudeln und Kartoffeln kocht, weil der eine das jeweils andere nicht mag.

Lustig, ironisch und gelegentlich etwas bitter ist Sung-Hyung Chos Sicht auf Hessen. Der Regisseurin des Wacken-Films „Full Metal Village“, die seit 24 Jahren in Hessen lebt, hat sehr autobiografisch gearbeitet. Sie berichtet, dass ihr deutscher Ehemann sie Susi nennt, weil ihm der koreanische Vorname zu schwerfällt. „Ich bin fast das einzige Schlitzauge hier“, seufzt sie selbstironisch und berichtet von ihrem Einbürgerungstest. Der zieht sich über insgesamt neun Monate hin. Sie muss darin auch solche Fragen beantworten: Was ist in Deutschland ein Grundrecht? Das Faustrecht, die Selbstjustiz oder die Meinungsfreiheit? „Was man wirklich lernen muss, um heimisch zu werden“, sagt die Regisseurin, „steht nicht im Fragebogen.“ Die hessische Spezialität grüne Soße hält sie für ein Symbol für ein gelungenes Nebeneinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Andreas Dresen hat über Brandenburg nachgedacht, Sandra Maischberger über Berlin, Dominique Horwitz über Thüringen, der als Münchner „Tatort“-Kommissar bekannte Udo Wachtveitl über seine bayerische Heimat. Der NDR ist als Vierländeranstalt in einer besonderen Situation und schickt vier Beiträge ins Rennen. Rosa Hannah Ziegler hat eine 19-Jährige in Walsrode begleitet, die nach einer Jugend in Heimen ihre erste eigene Wohnung bekommt. Lars Jessen kümmert sich um aussterbende Landgasthöfe in Dithmarschen. Früher, so der Filmemacher, der seine Jugend in dieser Gegend zubrachte, hätten die Generationen zusammengesessen. „Heute wird immer getrennter gefeiert, die Generationen bleiben unter sich. Immer mehr der alten Gasthöfe werden auf dem Land abgerissen. Mein Film ist auch ein Fanal dafür, sich für diese spezielle Art der Gastlichkeit einzusetzen, so lange sie noch existiert“, sagt Jessen, der als Co-Regisseur Rocko Schamoni an seiner Seite hatte.

Schauspieler Charly Hübner ist bei seinem Regiedebüt den Erfolgen der NPD in Mecklenburg-Vorpommern auf der Spur. Er beobachtete Landstriche, in denen sich NPD-Politiker geschickt als Helfer in der Not anbieten. „Es sind dort nicht nur die Glatzen, die Bomberjacken. Die Typen sehen heute total kultiviert aus.“

Die verantwortlichen Redakteure Johannes Unger und Rolf Bergmann vom rbb schreiben über „16 x Deutschland“: „Das Dokumentarische, die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, hat es im Fernsehen nicht leicht. Der differenzierte Blick und die leisen Töne werden immer mehr von Trash und ,scripted reality‘ grell überstrahlt und dumpf überdröhnt.“ Gegen das Dumpfe und Grelle geht „16 x Deutschland“ mit viel Fantasie und genauen Beobachtungen an.

„In dem Land, in dem Elbe und Astra fließt, wenn du am Ende des Monats deinen Zaster kriegst“, heißt es im Beitrag über Hamburg im Song in „Blattlaus“. „Für Özgür und mich ist Hamburg die Musikhauptstadt Deutschlands“, sagt Produzent Raoul Reinert, der die Band aus seinem Bürofenster bei einem Straßenkonzert entdeckte und sie seinem Regisseur Yildirim, der schon „Blutzbrüdaz“ und einen „Tatort“ inszenierte, als Thema für dessen ersten Dokumentarfilm vorschlug. Reinert hält kollektiv22 für typisch Hamburg und typisch Schulterblatt. „Zudem entwickelt sich Hamburg zu einer Stadt der Kreativen, zu einem deutschen San Francisco. Das hat mich interessiert.“

„16 x Deutschland“ Sa/So jeweils 16.00, ARD