Ein Gespräch mit dem Regisseur Luk Perceval, der mit „Der nackte Wahnsinn“ am Thalia eine Komödie inszeniert. Premiere des Stücks ist am 5. Oktober.

Hamburg Eine englische Zeitschrift hat Michael Frayns vor 30 Jahren geschriebene Komödie „Der nackte Wahnsinn“ zum „lustigsten Stück aller Zeiten“ gewählt. Seither ist es Hunderte Male als todsicherer Kracher auf die Bühnen gekommen. Gerade hat der neue Kölner Intendant Stefan Bachmann damit seine Saison eröffnet. In Hamburg war das Stück an verschiedenen großen Bühnen schon zu sehen, an diesem Sonnabend findet die Premiere in der Inszenierung von Luk Perceval am Thalia Theater statt.

Die absolut närrische Farce erzählt ein Stück im Stück und ist eigentlich eine Liebeserklärung an das Theater mit seinen Unberechenbarkeiten: Ein Regisseur und seine Truppe proben eine blödsinnige Boulevard-Sex-Komödie, in der Verliebte herumtollen, Türen zuschlagen, Kleidungsstücke verloren gehen und schreckliche Ausweichmanöver folgen. Nichts von dem klappt im ersten Akt, man ist einen Tag vor der Premiere. Im zweiten Akt befinden wir uns hinter der Bühne während einer Matinee, der dritte Akt zeigt das Stück, nachdem es monatelang auf Tournee war und entsprechend ruiniert ist. Wir sprachen mit Regisseur Perceval, der zuletzt „Die Brüder Karamasow“ am Thalia inszeniert hat, über die Herausforderungen, Komik zu inszenieren.

Hamburger Abendblatt: Sie inszenieren Shakespeare, Dostojewski, Fallada, warum jetzt eine Komödie?

Luk Perceval: Es ist ein schönes Ensemblestück. Ich will seit Jahren mit diesen tollen Schauspielern etwas Witziges inszenieren. Wir können ja nicht ständig über die Welt heulen. Ich habe lange eine richtig gute Komödie gesucht. Und jetzt auch gefunden. Mich erinnert ‚Der nackte Wahnsinn‘ sehr stark an Beckett.

Wieso? Dessen Stücke haben meist keine Handlung, hier allerdings überschlagen sich die Aktionen.

Perceval: Aber bei Frayn geht es auch um Wiederholung. Die Menschen wiederholen ständig das, was sie schon kennen. Es funktioniert nach dem System des Scheiterns. Frayn schreibt in drei Akten dreimal das gleiche Stück, das ist ein Problem, denn Komik muss auch überraschen. Als Regisseur muss ich da eine Steigerung, eine neue Dimension hineinbringen. Das Stück lacht über die Unfähigkeit des Menschen, seinen eigenen Egoismus zu vergessen. Regisseur und Schauspieler kämpfen verzweifelt gegen das Chaos des Lebens und kennen als einzige Antwort nur das Weitermachen. Das ist absurd. Fast wie Becketts ‚Warten auf Godot‘. Es geht um Behauptungen. Was man behauptet, ist wahr. Darin steckt auch viel Poesie.

Das Stück ist sehr genau getimed, man muss sekundengenau Requisiten bewegen oder hinter einer Tür verschwinden. Ist das schwer zu inszenieren?

Perceval: Frayn hat das Stück anhand von Proben, die er gesehen hat, entwickelt. Das Chaos, das entsteht, ist ja unüberschaubar, da muss man ganz genau wissen, wann was passieren muss. Der Witz entsteht eigentlich erst, wenn jemand verzweifelt versucht, etwas zu schaffen, das er nicht hinbekommt. Es geht ja im Stück um nichts, aber die Existenz aller hängt daran, deshalb kämpfen sie wie ums Überleben. Einer meiner Lieblingskomiker ist Buster Keaton. Der hat nie versucht, lustig zu tun. Der war ein scheiternder Mensch, der nie aufgegeben hat.

Wie inszeniert man Irrsinn, Blödsinn?

Perceval: Chaplin hat manche Einstellung 120-mal gedreht, bis der Witz funktioniert hat. Komik ist sehr schwer. Es ist Knochenarbeit, Komposition, man muss üben, üben, üben. Wir haben uns während der Proben auch Geschichten über Schauspieler erzählt, die wir kennen und die genau so sind wie die Figuren im Stück. Wir haben viel gelacht. Das Stück hat zu jeder Figur zwei Persönlichkeiten, den Schauspieler privat und die Figur, die er spielt. Keine der Rollen darf künstlich wirken, es muss glaubwürdig sein, authentisch. Wenn einer auf der Banane ausrutscht, muss die Banane echt sein.

Buster Keaton, Verzweiflung, Beckett… Das sind nicht unbedingt Assoziationen, die man bei einem Bühnenkracher hat.

Perceval: Humor ohne Tragik ist nicht lustig. Diese Menschen sind einsam. Wir haben uns auch gefragt, was deren Schattenseiten sind. Wenn die nur polternd aufeinander losstürzen, ist das ja nicht besonders komisch.
Was haben Sie bei den Proben gelernt?



Perceval: Man muss hier mehr auf Wirkung gehen als auf Inhalte. Ich und auch die Schauspieler waren selten am Abend so kaputt. Man muss so konzentriert und wach sein, dass man aufs Stichwort am richtigen Platz ist, die richtigen Requisiten greift, verschwindet oder auftaucht, das ist extrem anstrengend, erfordert sehr viel Kraft. Das kann man kaum drei Stunden durchhalten. Man kann nichts dem Zufall überlassen, alles muss choreografiert sein. Wir haben immer noch nicht alles auf den Punkt bekommen.

Wie das? Am Sonnabend ist Premiere, das ist ja genau wie im Stück.

Perceval: Ja, das ist wirklich irre.