Vor 25 Jahren startete RTL in Hamburg das erste private Regionalprogramm. Abendblatt-Autor Alexander Schuller war als Moderator dabei - neben Barbara Eligmann.
Hamburg. Eigentlich hätte ich mich schon im Jahre 1989 zur Ruhe setzen können. Privatisieren oder so. Immerhin hatte ich es mit meinen 28 Jahren bereits auf die Liste der „Hamburg Top Ten“, Kategorie „TV-Prominente“, geschafft, Platz sieben, nur einen Platz hinter Sabine Christiansen von den „Tagesthemen“: „Wenn Alexander Schuller um Schlag 18.00 Uhr das Hamburg-Fenster seines Senders öffnet, wird der Zuschauer neidisch“, schrieb Horst-Dieter Ebert (oder eine(r) der zehn MitautorInnen) dieses Sammelwerks.
Das klang schon mal prima. Aber dann: „Der Mann sieht so ausgeruht aus wie ein ungemachtes Bett, ist sicher erst vor einer halben Stunde aufgestanden. Noch schlaftrunken schlingert er durchs Programm (…) Und wenn RTL abendlich die Ladenhüter aus dem Tierheim zur Adoption freigibt, hat der Schuller Tränen in den Augen. Nicht vor Rührung, vom Gähnen.“
Für viele Kollegen war es wohl ein Schock gewesen, als ein gutes Jahr zuvor Barbara Eligmann und ich am 2. Mai 1988 die bis dahin überschaubare Welt der hamburgischen TV-Zuschauer mit einer aufgezeichneten Doppelmoderation erschüttert hatten.
RTL war ja damals auch noch Lichtjahre von der Marktführerschaft entfernt, die drei Buchstaben standen gerade mal für „Rammeln, Töten, Labern“, für „Tutti Frutti“ (mit Hugo Egon Balder), für die Formel1 (mit dem legendären Willy Knupp), den „Li-La-Launebär“ (mit dem noch legendäreren Metty Krings), die Handpuppe „Karlchen“ (Björn Schimpf) oder die einzige weiße Afro-Frisur im TV, Ulli Potofski. Mit Journalismus hatte das alles angeblich nichts zu tun.
Doch dieses neue, regionale „Fenster“ bot dem (inzwischen aus Luxemburg nach Köln umgezogenen) Sender die Möglichkeit, in Hamburg und der näheren Umgebung (rasch sollten weitere Bundesländer folgen) sein belächeltes Vollprogramm auch terrestrisch – über Antenne eben – zu verbreiten, um auf diese Weise mehr Zuschauer zu erreichen. Die Verkabelung der Republik war in jener Zeit noch nicht flächendeckend vorangekommen.
Diese Lizenz zum Senden war jedoch an eine Bedingung geknüpft: an einen „kulturpolitischen Sendeauftrag“, der von der Hamburgischen Anstalt für neue Medien (HAM) mehr oder weniger streng überwacht wurde. Helmut Haeckel, erster amtierender HAM-Direktor, urteilt heute darüber altersmilde: „Man muss sich schon entspannt zurücklehnen, wenn man sich daran erinnert, dass uns damals was versprochen wurde, was dann der gesendeten Realität nicht unbedingt entsprach.“
Die Anteilseigner der damaligen „Hamburgischen Rundfunk-Beteiligungsgesellschaft“, der neben RTL, der Ufa und Studio Hamburg auch Exoten wie zum Beispiel die drei staatlichen Bühnen der Stadt (Staatsoper, Deutsches Schauspielhaus, Thalia Theater) und das Abaton-Kino angehörten, dürften das ähnlich gesehen haben: Ihnen hatte man vollmundig Werbeeinkünfte versprochen, die jedoch „so“ nie sprudeln sollten.
Den Großen in dieser Runde war das jedoch egal, denn für RTL und die Ufa waren die Regionalfenster strategische Pfeiler für die Erhöhung der Reichweite des bundesweiten Programms. Studio Hamburg durfte wenigstens als technischer Dienstleister ziemlich ordentlich verdienen.
„Tierheim Süderstraße“, das wöchentliche Vermittlungsangebot für Hamster, Meerschweinchen & Co., wurde rasch zum Dauerbrenner und bescherte der „Schlag 6“-Redaktion die silberne Ehrennadel des Hamburger Tierschutzvereins.
Aber es war nicht das einzige Aushängeschild unseres Programms: „Aale-Dieter“ vom Fischmarkt gab ein relativ kurzes Gastspiel als Wetteronkel, die ehemalige Hamburger Kultursenatorin Helga Schuchardt traf Hamburger „persönlich“ – aber ebenfalls nicht besonders lange.
„Mr. Alstervergnügen & Aktuelle Schaubude“ Carlheinz Hollmann dagegen redete jahrelang ziemlich erfolgreich „Klartext“ im Regionalfenster. Und selbstverständlich berichtete „Schlag 6“ immer so aktuell wie möglich aus dem Rathaus und aus der damals quirligen Hafenstraßenszene; im Prinzip über alle Brennpunkte der Stadt und mitten aus dem Leben. Fünfmal pro Woche, gut 20 Minuten lang; anfangs mit gerade mal zehn Redaktionsmitgliedern, inklusive Produktion, Sekretariat und Geschäftsführung.
Ein „Schlag 6“-Team erkannte man daran, dass die Reporter/-innen Lichtkoffer oder Kamerastative schleppen mussten. „Guckt mal: Das Indianerfernsehen kommt“, sagten die verwöhnten Crews des NDR, die damals mit durchschnittlich sechs Leuten im 3,5-Tonner für ein Zwei-Minuten-Stück zur Landespressekonferenz anrückten, erst mal belegte Brötchen kauten, Kaffee tranken und sich immer Arbeitshandschuhe überstreiften, bevor sie ein Kabel anfassten.
Bereits in der dritten Sendewoche, es war ein Dienstag, wurden mehrere Beiträge nicht rechtzeitig fertig, sodass wir uns spontan dafür entscheiden mussten, live auf Sendung zu gehen, um so eine Stunde Zeit zu gewinnen. Die etwas überraschte Barbara Eligmann erledigte ihre Aufgabe souverän.
Nach dieser um drei Wochen vorgezogenen Live-Premiere fragte Ulrich Meyer (später sollte er für RTL den „Heißen Stuhl“, und für Sat.1 „Einspruch“ und „Akte“ übernehmen), den uns die RTL-Nachrichtenredaktion für die ersten Wochen als Entwicklungshelfer zur Seite gestellt hatte: „Klasse, Barbara. Aber warum schütteln Sie eigentlich die ganze Zeit Ihre Moderationsblätter?“ – „Wieso schütteln, Herr Meyer? Ich habe vor Aufregung gezittert!“
Nach dieser Feuertaufe zitterte niemand mehr, wenn das Rotlicht an der Studiokamera aufleuchtete. „Man hatte nur eine Chance: Man musste den Kollegen vertrauen, denn häufig musste man Beiträge ansagen und wusste gar nicht, ob die überhaupt vorlagen. Doch die vier Jahre Regionalfernsehen haben es mir ermöglicht, vor der Kamera Routine zu entwickeln“, sagt Barbara Eligmann, die nach ihrer Hamburger Zeit für viele weitere Jahre eine der erfolgreichsten RTL-Sendungen präsentieren sollte: „Explosiv“.
Und auch andere heutige TV-Größen wie Markus Lanz oder Carmen Miosga (um nur zwei zu nennen), gingen durch dieses Stahlbad aus Leidenschaft, Improvisationsvermögen und produktivem Dilettantismus; sie gingen häufig aber auch bis an ihre Grenzen und darüber hinaus, wie der damalige RTL-Korrespondent Klaus Ebert (der später Geschäftsführer von RTL Nord wurde), der bei Windstärke 4 in der Deutschen Bucht am Bug eines Seenotrettungskreuzers als Wellenbrecher die TV-Geschichte bereicherte.
Und selbstverständlich wurde auch der letzte Satz seiner Reportage über ein neues Schiff zur Bekämpfung einer Ölpest („Warum muss ich bloß immer solche Scheißtermine machen?“) gesendet.
Die Antwort hieß: Weil alle alles machen mussten. So konnte der Reporter Axel Holst, eigentlich ein sensibler Geschichtenerzähler und bekennender Fußball-Laie, nur unter Androhung von Gewalt (beliebt war das Werfen von Papierkörben) zu einem Bericht über die holländische Fußball-Nationalmannschaft vom Hof gejagt werden, die Deutschland am 21. Juni 1988 im Hamburger EM-Halbfinale mit 2:1 geschlagen hatte.
Der eigentliche Skandal aber war, dass Ronald Koeman sich mit Olaf Thons Trikot nach dem Spiel symbolisch den Hintern abgeputzt hatte – und Axel Holst sollte den Verteidiger dazu befragen. Wir hätten ihm vielleicht sagen sollen, dass neben Ronald Koeman auch sein Zwillingsbruder Erwin im Oranje-Team spielte. Der Reporter kam stolz mit zwei Interviews zurück, doch er hatte Erwin dummerweise gleich zweimal befragt.
Doch die Zuschauer mochten so etwas. Die Professionalität und damit die Qualität der Beiträge wuchs rasant, das Zurückstutzen des „Ich bin im Fernsehen, und deshalb bin ich wichtig“-Gehabe auf ein menschliches Maß blieb für die Moderatoren immer das Credo: Anders kann ich es mir bis heute nicht erklären, dass ein Versicherungsvertreter für eine Lederjacke des Rock-’n’-Roll-Sängers Gary Glitter, die wir für einen guten Zweck versteigerten, im letzten Augenblick 3000 Mark springen ließ.
Er bekam dadurch seinen TV-Auftritt und ich wieder Luft: Denn um die müden Bieter anzuheizen, hatte ich als Moderator großmäulig 2500 Mark ausgelobt, und der damalige (erste) Geschäftsführer Dr. Stefan Jedele hatte bereits signalisiert, dass er mir diese Summe von meinem Monatsgehalt abziehen würde. Was ich den Zuschauern kurz vor Auktionsende auch mitteilte. Sie ließen mich nicht hängen…
Heute wären solche Aktionen Kasperkram. Heute produziert RTL Nord in der Woche um 18 Uhr in vier kleinen, voll digitalisierten Studios (sie werden intern als „Hühnerkäfige“ bezeichnet) parallel vier Sendungen für Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen, und der jetzige Geschäftsführer Michael Pohl (der einst 1989 als Praktikant zu „Schlag 6“ gestoßen war), ist für gut 100 Mitarbeiter verantwortlich.
Die Regionalprogramme gelten jedoch auch im 25. Jahr ihres Bestehens nach wie vor als die wenig geliebten Kinder des TV-Riesen RTL, obwohl sie als Korrespondenten fürs Kölner Mutterhaus längst unverzichtbar geworden sind.
Letztlich verdankten sie (und das tun sie immer noch) ihr Nischendasein ja bloß der komplizierten deutschen Medienpolitik.
„RTL Nord gelingt es, täglich ein Programm zu machen, das sich an der Lebenswirklichkeit der Zuschauer in der Region orientiert und dadurch Relevanz besitzt. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass Regionalberichterstattung als Vielfaltsinstrument funktionieren kann, wenn hierfür auch die Rahmenbedingungen stimmen. Damit dies auch in Zukunft gewährleistet werden kann, brauchen wir dringend eine Anpassung des Medienkonzentrationsrechts“, fordert Anke Schäferkordt, CEO der übergeordneten RTL Group in Luxemburg.
„Wenn man in Deutschland eine funktionierende Medienlandschaft haben will, muss man auch die kritische Größe eines Unternehmens zulassen, mit der sich Inhalte mit besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung wie beispielsweise Regionalberichterstattung oder Nachrichten überhaupt ökonomisch sinnvoll erzeugen lassen.“
Letztlich geht es jedoch immer nur um die Zuschauer. Von denen gibt es nie genug, schon damals nicht: „Einmal flog uns ein Wellensittich zu“, erinnert sich Barbara Eligmann. Er habe einen Ring gehabt. „Ich dachte ganz naiv, ich müsste bloß die Nummer des Rings vorlesen, und dann würde sich bestimmt jemand melden, der seinen Piepmatz vermisste. Aber dann mussten wir ihn doch ins Tierheim Süderstraße bringen.“
So schließt sich ein Kreis. Doch es war wirklich nicht alles schlecht. Beim Indianerfernsehen.