Bei der Nijinsky-Gala zum Abschluss der 39. Hamburger Ballett-Tage wurden John Neumeier, seine Tänzer und die Philharmoniker begeistert gefeiert. Nun steht die Vertragsverlängerung des Intendanten an.
Hamburg. Eigentlich war alles wie immer bei der sechsstündigen Nijinsky-Gala in der Staatsoper zum Abschluss der Jubiläumsspielzeit „40 Jahre John Neumeier in Hamburg“: ein restlos ausverkauftes Haus, Jubel, Blumenbouquets, gefeierte Gaststars und großer Konfettiregen für den Ballettintendanten. Und doch unterschied sie sich von ihren Vorläufern: In gelungener Auswahl bildeten ausschließlich Werke von Neumeier aus dessen Anfangsphase bis heute das Programm, das „Blick zurück nach vorn“ überschrieben war.
Ein Titel mit doppelter Bedeutung, der wörtlich genommen werden muss. Hamburgs Ballettchef blickte in den vergangenen ballettgespickten drei Wochen, für die der Begriff „Ballett-Tage“ der schiere Euphemismus ist, zurück auf sein Schaffen und tat es in der Nijinsky-Gala ganz konkret.
Am Ende des Tanzmarathons ging er nach hinten über die leere Bühne und schaute sich langsam um. Es war der bewegendste Augenblick des langen Abends. Denn gerade hatten ehemalige alte Solisten aus seinem Ensemble ihre Rollen in der Choreografie zu Gustav Mahlers 3. Sinfonie den jungen Kollegen übergeben. Ein Generationswechsel hat stattgefunden, doch das Werk bleibt lebendig.
Auch in anderer Hinsicht schaut John Neumeier nach vorn. Derzeit verhandelt er mit Kultursenatorin Barbara Kisseler über eine Vertragsverlängerung über das Jahr 2015 hinaus.
Selbst wenn es für die anwesende Senatorin noch eines Beweises bedurft hätte, dass Hamburg ohne John Neumeier eigentlich nicht mehr denkbar ist, hier hatte sie ihn. Das Publikum dankte ihm, wie allabendlich, mit Standing Ovations, die Treueschwüren gleichkamen. Doch zählen bei Vertragsverhandlungen keine Liebesbeteuerungen, es zählen Fakten. Und genau die listete Kulturstaatsminister Bernd Neumann – er war eigens zu der Gala aus Berlin angereist und brachte Grüße von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit – derart überzeugend auf, als gelte es, die Seligsprechung von John Neumeier vorzubereiten und nicht nur der Verlängerung seines Vertrages indirekt Schützenhilfe zu leisten.
Neumeier hat eine ganz fabelhafte Compagnie aufgebaut, die sich, das wurde auch an diesem Abend deutlich, mit der internationalen Konkurrenz bestens messen kann. Sein Ballettzentrum, das noch junge, aber sehr erfolgreiche Bundesjugendballett, seine Stiftung, das alles trägt zwar zum Ruhm seines Namens bei, doch entscheidend ist, dass John Neumeier aus einer ganz erstaunlichen stilistischen Vielfalt schöpft. Auch das bewies die Nijinsky-Gala. Von reiner Klassik über Folk bis zur gemäßigten Moderne hat Neumeier eine eigene, starke Handschrift entwickelt.
Mag man sie nicht in jedem Fall mögen, sie bisweilen für unleserlich halten, ist sie doch Ausdruck einer ungeheuren Schaffensenergie, mit der sich der dienstälteste Chefchoreograf Deutschlands sogar aus schwachen Phasen immer wieder aufschwingt. Eine „erfolgreiche und beständige Zukunft“, wünschte Bernd Neumann John Neumeier. Das scheint keine Utopie.
Das hartnäckige Gerücht, Sasha Waltz aus Berlin könne Neumeier beerben, bleibt hoffentlich nur eins. Sie wäre an Hamburgs Staatsoper fehl am Platze. Die Basis des Hamburg Balletts ist klassisch, während die Choreografin, gerade auf der Suche nach einer festen Bleibe, einen modernen Stil pflegt, der garantiert das Haus leer fegen würde. Der Bruch einer über Jahrhunderte gepflegten Tradition wäre zu groß.
Eine moderne Zweitcompagnie wäre toll für Hamburg, wenn sich die Stadt diesen Luxus leistete. Sie würde manchem Hamburger die Augen öffnen, der sich in Nibelungentreue Neumeier verschrieben hat. Doch das Hamburg Ballett muss als eine der wenigen großen Compagnien, die auch in der Lage sind, die Klassiker stilecht zu tanzen, bestehen bleiben. Das aufzugeben hieße auch die Staatsoper in ihrer Existenz zu treffen. Die beinahe ständig ausverkauften Ballettabende John Neumeiers sorgen für eine sehr gesunde Auslastung. Mehr Inszenierungen von renommierten Gastchoreografen würden allerdings nicht schaden.
Bleibt nur die Frage, wie es um die Nachfolge von John Neumeier steht, wenn er stirbt. Diese Frage ist kein Tabu. Schließlich ist er 74 Jahre alt. Lloyd Riggins, der erste Solist, war vage im Gespräch, mehr nicht. Viel konkreter wird Neumeier selbst mit seiner Stiftung: „Wenn ich morgen sterbe, sollen die Menschen wissen, was ich mit der Sammlung will“, hat er in dem wunderbaren Jubiläumsbuch geschrieben, das der Fotochronist Holger Badekow gezaubert hat. Die Sammlung solle im Ganzen erhalten bleiben. Aus einem zu gründenden Neumeier-Trust, der die Gelder aus den Tantiemen der aufgeführten Werke verwaltet, wird wohl die Stiftung gespeist werden. Das alles ist noch juristisch abzuklären.
Der Blick zurück nach vorn begann mit „Désir“, dem ersten Ballett, das Neumeier für Hamburg schuf. Er streifte die inzwischen legendären Ballette „Daphnis und Chloé“ und „Othello“ und brachte „Die Möwe“ in Erinnerung, hinreißend getanzt von Silvia Azzoni und Alexandre Riabko, sowie von fabelhaften Gästen aus Kopenhagen, vom Stuttgarter Ballett und vom National Ballet of Canada. Hier zeigte sich bereits die Meisterschaft Neumeiers in der Schaffung von Pas de deux. Es gab ein Wiedersehen mit Ivan Liska, dem ehemaligen ersten Solisten als Odysseus, die phänomenale Yuan Yuan Tan aus San Francisco brillierte einmal mehr. Und den feinen Stilisten Alina Cojocaru, Laeticia Pujol und Manuel Legris waren Hamburgs Solisten großartige Partner. Noch etwas war neu: Marianne Kruuse, langjährigste Wegbegleiterin John Neumeiers als Tänzerin und Stellvertretende Direktorin der Ballettschule, wurde zum Ehrenmitglied der Hamburgischen Staatsoper ernannt. Für sie, wie für Simon Hewett und die Philharmoniker gab es verdiente Ovationen.