34 Jahre lang war Uschi Ziegler die Organisatorische Leiterin an John Neumeiers Ausbildungsstätte. An diesem Wochenende geht sie in den Ruhestand.

Hamburg. „Nicht im Ballettsaal! Das ist nicht meine Welt!“ Die Mahnung an den Fotografen, kein Foto von ihr in einem der Ballettsäle des Ballettzentrums zu machen, sondern in ihrem Büro, muss befolgt werden. Ursula Ziegler, von allen Uschi genannt, ist eine Frau, die nicht lange herumredet, sondern in liebevoller Strenge auf den Punkt kommt. Ihr Reich ist ihr Büro im ersten Stock des Ballettzentrums, ihre Welt ist buchstäblich tapeziert mit Hunderten von Fotos ehemaliger und noch heute aktiver Tänzer. Ihre „Kinder“, wie sie sagt, die Kontakt zu ihr halten, selbst wenn sie in den hintersten Ecken der Erde leben. Das wird auch so bleiben wenn Uschi Ziegler nach 34 Jahren in der Ballettschule von John Neumeier am 30. dieses Monats in den Ruhestand geht.

Ab dann wird möglicherweise ihre Bürotür, die bis auf wenige Ausnahmen immer offen gestanden hat, nicht mehr so einladend zum Betreten des Raumes auffordern. Jetzt, während des Gesprächs, ist die Tür zwar geschlossen, aber immer wieder kommen Ballettkinder herein, um von den Fruchtgummiwürmern zu naschen, die Uschi Ziegler gerade aus Kanada mitgebracht hat. „Nimm dir“, sagt sie freundlich, ohne den Gesprächsfaden zu verlieren. Sie kennt sie alle, die 170 Jungen und Mädchen, die derzeit im Ballettzentrum ausgebildet werden. Sie ist ihre Ersatzmutter.

Offiziell ist Uschi Ziegler die organisatorische Leiterin von John Neumeiers Ballettschule des Hamburg Ballett in der Caspar-Vogt-Straße. Doch in Wahrheit ist sie die Seele dieses Kosmos, der wie kein anderer Berufs- und Menschwerdung in sich vereint. Sind Neumeier und die Ballettpädagogen in erster Linie für die tänzerische Ausbildung des Nachwuchses verantwortlich, kümmert sich Uschi Ziegler neben den üblichen bürokratischen Pflichten wie dem Erstellen der Stundenpläne um die, wie sie es nennt, „Erziehung zum Menschen“. Dazu gehört Offenheit. Sie schafft Vertrauen und die Sicherheit, jederzeit zu ihr kommen zu können.

Was nicht heißt, dass ihre Erziehung zum Menschen einem Kuschelkurs gleicht, auf dem sich die jungen Menschen ihrem Traumziel Tänzer nähern. Sozusagen als Ausgleich zur harten Ausbildung, die bereits in früher Jugend enorme Selbstdisziplin und Ausdauer verlangt, neben großer Begabung. Uschi Ziegler, diplomierte Sportpädagogin, die eine unheimlich positive Ausstrahlung hat und in den langen Jahren kaum gealtert scheint, verbindet so selbstverständlich Herzlichkeit mit Strenge, dass sie geliebt wird, bei allem Respekt.

Ja, gesteht sie, es tue ihr manchmal leid, wenn ausgerechnet die jungen Menschen das Ziel nicht schafften, die es aber hätten schaffen können. „Sie haben sich selbst im Weg gestanden“, erinnert sie sich ihrer „Sorgenkinder“, denen sie so schonend wie ehrlich sagen müsse, dass ihre Zukunft nicht im Tanz liege. Wenn dennoch aus ihnen etwas geworden sei, dann habe sie das mit großer Befriedigung erfüllt. Sie habe immer gekämpft um diese Kinder und John Neumeier, der ein Gespür für deren menschliche Qualitäten habe, habe sie unterstützt, deutet sie auf ein paar Fotos mit ehemaligen Sorgenkindern, die auch ohne Tanz jetzt glücklich seien.

Die Ausbildung sei dennoch nicht umsonst gewesen, verteidigt sie vehement die Schulung zum Tänzer im Ballettzentrum: „Die Kinder haben etwas für das Leben gelernt. Disziplin, Ausdauer, Fleiß, Flexibilität. Das ist doch unheimlich positiv.“ Für sie selbst war das Ballettzentrum ihr Leben, aber eben doch nicht alles. „Ich war 150 Prozent da und habe mich trotzdem nicht aufgeopfert. Ich hatte immer private Interessen, ich brauche auch normale Freunde, ich muss aufs Land gehen und malen“, ist sie sich schon jetzt sicher, dass sie nicht in ein tiefes Loch fallen wird, wenn sie nach Stuttgart umzieht.

Ja, sagt sie. Das sei der richtige, konsequente Abschluss. „Es gibt nichts Halbes. Wenn schon, denn schon. Ich bin 70 Jahre alt, ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, aber ich möchte noch etwas Neues anfangen.“ Nichts Konkretes habe sie geplant, sagt sie, aber vielleicht könne sie ja in der Ballettwelt noch einen kleinen Platz finden. John Neumeier hatte sie ja aus Stuttgart von der John Cranko Schule zum Aufbau seiner Ballettschule geholt. Zehn Jahre lang hatte sie dann im Bierpalast Kärrnerarbeit geleistet, bevor das Ballettzentrum in der Caspar-Voght- Straße bezogen wurde. Diese letzten 24 Jahre seien dagegen das reine Vergnügen gewesen, meint sie.

Eine Galerie würde sie ebenfalls reizen, schließlich malt sie selbst, und fußballbegeistert ist sie auch. Der Möglichkeiten gibt es also viele. Zudem leben Freunde und ihre Familie in Heidelberg und Stuttgart. Dass Uschi Ziegler aus Stuttgart kommt, hört man immer noch. Warum sollte sie ihre Herkunft verleugnen?

Eigentlich, blickt sie zurück, habe sie ein wunderbares Leben gehabt und beinahe alle Wünsche seien in Erfüllung gegangen. Nur der nicht. An deutschem Tänzernachwuchs mangele es immer noch. Wird sie denn so gar nichts vermissen, wenn sie Hamburg verlassen hat? Uschi Ziegler lacht. „Doch, Franzbrötchen. Die gibt es in Stuttgart nicht. Am Anfang habe ich mir Brezel aus Stuttgart schicken lassen, vielleicht klappt das ja auch umgekehrt mit Franzbrötchen.“