Ottensen, St. Georg, Eimsbüttel … In immer mehr Quartieren verdrängen Gutverdiener die Alteingesessenen. Was bedeutet Gentrifizierung wirklich für Hamburg. Zwei Meinungen.
In immer mehr Quartieren werden Alteingesessene von Gutverdienern verdrängt. Das Magazin berichtet heute von der „“. Doch in diesem Konflikt gibt es, wie die Meinungsstücke unten zeigen, keine einfachen Wahrheiten.
Gentrifizierung heißt: Viele Viertel werden schöner und urbaner
Ein Gespenst geht um in Hamburg. Das Gespenst heißt Gentrifizierung und steht in Duden und Beliebtheit zwischen Gentechnik und Geräteturnen: Es beschreibt die Aufwertung einstmals heruntergekommener Stadtteile und wird wie "Yuppiesierung" oder "Schickimickisierung" vor allem als Schimpfwort benutzt. Jeder neue Laden, jede frisch geweißelte Fassade, jeder Neumieter in den umkämpften Vierteln steht schon unter "Gentrifzierungsverdacht". Drolligerweise ist die Wut dort am größten, wo der Wandel seit Langem währt wie in Ottensen, der Schanze oder Eimsbüttel - und bei den Leuten, die den Aufwertungsprozess erst in Gang gesetzt haben.
Doch Gentrifizierung ist nicht die Vorhölle der Stadtentwicklung, sondern sollte vielmehr ihr Ziel sein: Wer das alte Mottenburg - dessen Name übrigens von den zerfressenen Lungenflügeln seiner Bewohner abgeleitet wurde - mit dem heutigen Ottensen vergleicht, sieht eine Verschönerung, Verbesserung, Urbanisierung. Möglich gemacht hat diese Aufwertung die vermeintlich böse Gentrifizierung. Künstler und Studenten hatten Ottensen in den 70er-Jahren entdeckt, Läden und Cafés folgten, der Stadtteil wurde schicker und bürgerlicher. Erst dies hat Investitionen angezogen, eine attraktive Infrastruktur geschaffen, erst dies hat die Sanierung der Gründerzeitbauten ermöglicht. Nicht die Gentrifizierung ist der Fehler, sondern die über Jahre mangelnden Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Sie haben die Stadtteile stärker aus der Balance gekippt als private Bauherren oder Neubürger.
Überall wird in Hamburg derzeit das Gespenst einer Wohnungsnot beschworen, das in Wahrheit ein Wohnungsmangel in Eppendorf, Winterhude oder St. Georg ist. Viele andere Stadtteile wie Wilhelmsburg, die Veddel, Billstedt, Dulsberg, Hamm und Horn warten mit günstigen Mieten auf einen Wandel. Wer Gentrifizierung bekämpft, beraubt die Stadtteile der Chance aufzusteigen. Er fesselt die Stadt in strukturkonservative Starre, er will Langeweile subventionieren.
Dabei benötigt Hamburg das Gegenteil, einen Aufbruch in den Osten, den Sprung über die Elbe. So menschlich der Hang zur Scholle ist, er darf nicht zum Maßstab von Politik werden.
Der Autor ist Stellvertretender Chefredakteur des Abendblatts
Gentrifizierung heißt: Viele können sich Hamburg nicht mehr leisten
Es herrscht Goldgräberstimmung in Hamburg. Der längst überhitzte Immobilienmarkt lockt immer mehr Investoren an, und es werden Preise und Mieten erzielt, die jeder Makler noch vor fünf Jahren für absurd gehalten hätte. Das hat nicht nur Folgen für alle Käufer und Neumieter, sondern für alle Hamburger. Weil die Riesennachfrage, etwa in Eimsbüttel, auch in Stellingen und Lokstedt für alljährlich zweistellige Mietsteigerungsraten sorgt. Weil die in Hamm für elf Euro Kaltmiete angebotenen Neubauwohnungen per Mietenspiegel auch alle anderen Wohnungen in dem Stadtteil teurer machen. Es stellt sich die Frage: Welcher Hamburger kann sich Hamburg noch leisten?
Genauso überhitzt wie der Markt ist die Debatte über Gentrifizierung. Da wird dann schon mal der Vermieter als Luxussanierer abgestempelt, nur weil er einen Maler bestellt hat. Und wer zu schicke Schuhe verkauft, dem werden die Scheiben eingeworfen. Aber jenseits dieser Verwirrten haben Initiativen wie "Recht auf Stadt" eine dringend notwendige Debatte angestoßen. Denn wenn man dem Markt freien Lauf lässt, bekommen wir Londoner Verhältnisse - in denen Polizisten oder Lehrer weit vor die Stadt ziehen müssen, weil auch mittelmäßige Wohnungen in mittelmäßigen Stadtteilen unbezahlbar sind.
Nun ist es kein Menschenrecht, in St. Georg oder Ottensen leben zu dürfen. Es ist aber auch kein Menschenrecht, einen Wohnblock zu vergolden, indem die Altmieter vergrault und mit zahlungskräftiger Klientel ersetzt werden. Das Problem ist ja nicht der Neubau edler Lofts an der Sophienterrasse oder in der HafenCity, sondern die Umwandlung in Eigentumswohnungen und die Mietsteigerungen nach Sanierungen, die mit dem Zwangsauszug der alteingesessenen Klientel enden.
Was ist zu tun? Am Neubau möglichst vieler Wohnungen führt kein Weg vorbei. Doch das Programm des Senats läuft teilweise ins Leere, wenn vielerorts einfach alte mit neuen (teuren) Wohnungen ersetzt werden. Die Stadt darf es Eigentümern nicht durchgehen lassen, Häuser verrotten zu lassen, Mieter zu vertreiben, um dann Kasse zu machen. Stadtteile, in denen die jeweiligen sozialen Schichten unter sich bleiben, sind kein erstrebenswertes Ziel - und langweilig sind sie übrigens auch.
Der Autor ist stellvertretender Lokalchef des Abendblatts