Wie viel Einfluss dürfen Künstler auf die Berichterstattung über sie nehmen? Ist es hinnehmbar, dass sie bestimmen, welches Foto von ihnen gedruckt wird? Das Abendblatt hat eine Debatte angestoßen.
Viel Beifall für einen weißen Fleck. Aus Protest gegen die unzumutbaren Bedingungen für Fotografen verzichtete das Hamburger Abendblatt am vergangenen Donnerstag auf ein Bild zu seinem Bericht über das umjubelte Konzert von Cecilia Bartoli. Die Zustimmung bei Lesern und auf Facebook ist enorm, der Journalistenverband DJV lobt einen „vorbildlichen Umgang“. Scharfe Kritik hingegen kommt vom Veranstalter, der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette. Deren Geschäftsführer Christian Kuhnt im Streitgespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider.
Legen wir los? Wollen Sie mit den Hintergründen für den Brief beginnen, den Sie geschrieben und den wir am Sonnabend veröffentlicht haben? Oder womit?
Christian Kuhnt: Mit dem Schock, der einen ereilt, wenn man in einem umjubelten Konzert saß, mit 1700 Zuschauern und einer umjubelten Sängerin, und erwartet, dass es kein Verriss wird im Hamburger Abendblatt ...
Und es wurde ja alles andere als ein Verriss. Der Text war sehr positiv.
Kuhnt: Nein, nein, der Aufmacher war ein Foto, und dieses Foto ist schlimmer als jeder Verriss, weil es bösartig suggeriert, eine Diva würde die Pressefreiheit angreifen. Es wird etwas skandalisiert, was in den Vorjahren problemlos war. Vor drei Jahren wurden in der Pause die Fotos vorgelegt, und Frau Bartoli hat sich eins ausgesucht.
Unsere Kulturredaktion kämpft seit Langem dagegen, aber es ist mir auch egal, wie das früher war. Wo kommen wir hin, wenn ein Künstler entscheidet, welches Bild von ihm in einer Zeitung abgedruckt wird? Sie sagen es selber: Das Bild ist genauso wichtig wie der Text.
Kuhnt: Ja.
Und wenn ein Künstler, ein Politiker, wer auch immer verlangen würde, einen Text vor dem Abdruck freizugeben, gäbe es bei Ihnen hoffentlich genau wie bei mir einen Aufschrei. Und das muss doch bei einem Foto auch gelten. Oder sollen wir uns demnächst vom Bürgermeister vorschreiben lassen, welches Foto wir von ihm veröffentlichen?
Kuhnt: Das ist eben das, was ich als maßlose Übertreibung sehe. Hier geht es um eine Künstlerin, die absolute Konzentration benötigt. Da stört alles. Applaus an den falschen Stellen, ein Fotograf. Sie selbst sagt: Am liebsten wäre mir, wenn gar keine Fotografen da wären. Aber sie geht trotzdem auf die Fotografen zu und sagt auch: Lasst uns einen Kompromiss finden. Was, glauben Sie, ist die Motivation dieser Künstlerin? Boshaftigkeit, die Beschneidung von Pressefreiheit? Nein, schlechte Erfahrungen. Dass sie eben in Situationen fotografiert wurde, in denen Sie und ich nicht fotografiert werden wollen. Wenn zum Beispiel jemand in den Mund hinein fotografiert, dann ist eine Grenze überschritten ...
Frau Bartoli unterstellt uns damit, dass wir bewusst ein schlechtes Foto aussuchen würden. Genau das Gegenteil ist unser Interesse, weil wir im Abendblatt natürlich möglichst gute Fotos veröffentlichen wollen. Kommt hinzu, dass wir uns gerade zum Schutz von Künstlern ja praktisch bei jedem Konzert darauf einlassen, entweder nur am Anfang oder am Ende oder beim Schlussapplaus zu fotografieren, so wäre es selbstverständlich auch bei Frau Bartoli gewesen.
Kuhnt: Um es klar zu sagen: Weder die Künstlerin noch ihr Management haben ein Interesse daran, die Pressefreiheit zu beschneiden. Aber Sie haben ein großes Recht, einen Rahmen für die Berichterstattung bei einer großen Veranstaltung zu setzen. Was wir unter anderem kritisieren: dass die Entscheidung über die Berichterstattung von Leuten getroffen wird, die niemals in ein Klassikkonzert gehen ...
Das ist wieder Ihre Unterstellung aus dem Leserbrief, den wir am Sonnabend abgedruckt haben. Dort schreiben Sie unter anderem, dass die Chefredaktion des Hamburger Abendblatts niemals Klassikkonzerte besucht. Das wäre so, als würde ich Ihnen vorwerfen, Sie hätten noch nie eine Zeitung gelesen.
Kuhnt: Es ist Fakt, dass Sie nicht bei diesem Konzert anwesend waren und trotzdem entschieden haben, aus dem Bericht einen Skandal zu machen, der sich überhaupt nicht auf das Ereignis bezieht. Und Sie wissen auch, dass unser Leserbrief aus einer Haltung entstanden ist, die lautet: So kann man in Hamburg nicht mit Künstlern umgehen.
Und ich sage: So kann man in Hamburg nicht mit Medien umgehen.
Kuhnt: Aber es ist doch Willkür, wenn so etwas vorher noch nicht thematisiert wurde. Das hätten wir uns doch gewünscht, auch im Vorfeld mit Frau Bartoli. Wir konnten doch nichts unternehmen.
Aber Sie konnten doch erahnen, dass Journalisten möglichst frei berichten wollen. Zumal wir die Bedingungen, die in der Konzertbranche zum Teil herrschen, natürlich schon öfter thematisiert haben.
Kuhnt: Also erst mal haben wir eine geübte Praxis. Warum fragen Fotografen denn, ob sie bei einem Konzert fotografieren können? Offensichtlich, weil es normal ist, dass sie auch einmal ein Nein hören. Aber so zu tun, als ob Sie überall das Recht hätten, alles fotografieren zu können, ist doch vermessen. Wenn in einem Adelshaus geheiratet wird, dann dürfen Sie nicht fotografieren. Und das ist der größte Skandal. Bei Frau Bartoli ist aus einer Mücke ein Elefant gemacht worden. Rolando Vilazon hat übrigens genau dasselbe gemacht.
Er hat sich ein Foto ausgesucht?
Kuhnt: Nein, es wurde einfach ein Agenturfoto genommen. Frau Bartoli fühlt sich jetzt willkürlich benutzt.
Das hat überhaupt nichts mit Frau Bartoli zu tun. Bei jedem anderen Künstler, von dem ich erfahren hätte, dass er das Foto von einem Konzert selbst aussuchen will, hätte ich gesagt: So, bis hierhin und nicht weiter.
Kuhnt: Der große Unterschied ist: Es ist nicht „Wetten, dass ..?“, es ist eine besondere Konzertform, bei der wir die Künstler schützen müssen. Und es wurde nicht versucht, einen anderen Weg zu finden. Das halten wir für unfair. Und dann heißt es plötzlich: Wir sind hochgradig interessiert, die Pressefreiheit hochzuhalten.
Genau das sind wir.
Kuhnt: Wir doch auch. Aber wir reden doch nicht über Syrien, wir reden über ein Foto, dessen dokumentarischer Wert in der Farbe des Kleides von Frau Bartoli gelegen hätte. Stellen Sie sich doch einmal eine Künstlerin vor, der ausgerechnet in einer Stadt ein Vorwurf gemacht wird, die glaubt, durch die Elbphilharmonie Musikmetropole werden zu können. Glauben Sie, Frau Bartoli hat ein großes Interesse, in eine Stadt zurückzukehren, in der sie so behandelt wird?
Das kann jetzt aber nicht Richtschnur für journalistische Arbeit sein.
Kuhnt: Doch, weil Sie nicht fair waren und einfach gehandelt haben. Und weil es vorher in diesem Bereich keine Probleme gab.
Ich glaube, es gab genug Probleme; die Frage ist, ob diese immer bekannt wurden. Selbstverständlich kann es nicht sein, dass Dinge, über die berichtet wird, vorher von den Betroffenen freigegeben werden. Es gibt ja einige, die fragen, ob sie Texte vorher lesen könnten oder Fotos ansehen.
Kuhnt: Was suggeriert wird, ist: Da ist eine zickige Diva mit einem bösartigen Management ...
Steht nirgendwo. Es wird ganz sachlich beschrieben, wie es war. Das waren die Bedingungen, und die haben wir nicht akzeptiert.
Kuhnt: Aber Sie akzeptieren sie doch täglich.
Nein. Wir haben diesmal und werden auch künftig nichts veröffentlichen, was der Betroffene ausgesucht hat.
Kuhnt: Und das ist der Fehler, den Frau Bartoli gemacht hat. Sie hätte kompromisslos Nein sagen müssen. Wir werden jetzt allen empfehlen: Wenn das Hamburger Abendblatt einen Fotografen schicken möchte, sagt einfach Nein. Oder wir sagen Nein, wir haben ja das Recht dazu. Das ist die Konsequenz. Die Künstler leisten nämlich etwas, was wirklich herausragend ist.
Unsere Fotografen übrigens auch.
Kuhnt: Wissen Sie, wenn Sie das im Popbereich gemacht hätten, dort gibt es Auswüchse, bei denen auch ich sagen würde: Das wird aber arg inszeniert.
Was wir auch schon thematisiert haben, wie in vielen anderen Bereichen. Es ist doch ganz einfach: Die Künstler entscheiden, was sie machen, wir Journalisten entscheiden, was wir machen. Und das ist auch gut so.
Kuhnt: Ja, ich stelle mich ja auch nur vor meine Künstlerin, die einen Abend gegeben hat, der Hamburg auf dem Weg zur Musikstadt wieder einen Schritt vorangebracht hat.
So stand es auch im Abendblatt.
Kuhnt: Ich möchte nicht den Stil des Redakteurs bewerten. Es geht uns nur um den leeren Fotorahmen. Zumal Frau Bartoli ja niemand ist, der sich nicht fotografieren lässt.
Wissen Sie, was mich verblüfft bei dem Thema? Wir hatten schon damit gerechnet, dass es in der Nachfolge der Berichterstattung eine Diskussion geben wird. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass es außer Ihnen nur eine Handvoll Zuschriften gibt, die fragen: Was habt ihr da gemacht? Und wir reden über Hunderte Statements.
Kuhnt: Aber Sie wissen, wie gefährlich Ihre Aussage ist. Ich kann Ihnen ein paar Dinge nennen, zu denen würden Sie ganz viel Zustimmung bekommen, aber Sie wollen diese Zustimmung nicht.
Ich will schon Zustimmung zur Pressefreiheit.
Kuhnt: Aber es geht doch nicht um Pressefreiheit.
Doch, darum geht es. Wir merken, dass in immer mehr Bereichen Bedingungen für die Berichterstattung gestellt werden. Und wenn man sich einmal auf die eine eingelassen hat, kommt schnell die nächste.
Kuhnt: Bei uns sind die Bedingungen anders, und das hätten die Entscheider auch gemerkt, wenn sie da gewesen wären, um das Gesamtgebilde zu beurteilen.
Nach Ihrer Argumentation müsste ich bei allem, was in Hamburg und der Welt passiert, dabei gewesen sein. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich auf die Expertise meiner Reporter verlassen muss und verlasse.
Kuhnt: Aber er hat ja nicht entschieden, dass kein Foto gedruckt wird.
Sie tun so, als wären wir die Ersten, die das so entschieden haben. Es gibt ganz viele Agenturen, die gehen zu bestimmten Anlässen erst gar nicht mehr, weil ihnen die Bedingungen nicht zumutbar erscheinen.
Kuhnt: Vielleicht ist für die Pressefreiheit auch entscheidend, dass unterschiedliche Auffassungen gehört werden, bevor man etwas skandalisiert. Das ist ein Vorwurf, den Sie nicht aus der Welt schaffen können.
Sie sehen, dass wir nicht nur kein Problem damit haben, Ihre Argumente anzuhören, wir veröffentlichen sie sogar. Ich danke Ihnen für das Gespräch.