Karriereschub nach mehr als 300 Jahren: Cecilia Bartoli präsentierte in der Laeiszhalle Ausgrabungen vom frühbarocken Kleinmeister Steffani.
Hamburg. Der Italiener Agostino Steffani ist in seinem Job weit herumgekommen, im Frühbarock hat er eine Menge Unbekanntes für hier, da und dort komponiert, bevor er 1728 in Frankfurt starb. Doch eine frühe „Happy Birthday“-Version für Schweizer Originalklang-Ensemble, Hamburger Laiensänger-Chor und einen gerührten Koloraturmezzo aus Rom stammt eindeutig nicht aus seinem Werkkatalog. Dieser spontane Arien-Einschub war eine freundliche kleine Überraschung im zweiten Teil des Konzerts, das Cecilia Bartoli am Abend ihres 47. Geburtstags in der Laeiszhalle gab. Viele weitere Überraschungen standen auf dem umfangreichen Programm, denn Steffanis Musik, mit all ihren stilistischen Schwächen und den reizvollen Stärken, ist – so geht es vielen seiner Alters- und Gewichtsklasse – besser als ihr Ruf, nur deutlich seltener zu hören, als sie es verdient hätte.
Für den großen Karriereschub nach gut 300 Jahren sorgte Bartoli mit einem Album, und nun also auch noch mit der dazugehörigen Tournee. Andere als diese Vokalvirtuosin und ihr hinreißendes Begleitensemble I Barocchisti hätten womöglich Mühe damit gehabt, sich auf die Melange zwischen Nicht-mehr-ganz-Renaissance und Noch-nicht-ganz-Barock einzulassen. Doch zwischen Bartoli, das Tutti und den Dirigenten Diego Fasolis, der vom Cembalo aus alles griffig organisierte, passt auch live kein sprichwörtliches Notenblatt. Da rumpelte, wackelte oder langweilte überhaupt nichts.
Dieses Orchesterchen ist so gut, so stilsicher und dabei so entspannt, dass man sich sogar kleine Scherze und Sperenzchen vor staunendem Publikum erlauben konnte. In der Triumph-Arie „A facile vittoria“ gönnten sich Bartoli und der Solo-Trompeter Thibaud Robinne an der Rampe der Laeiszhallen-Bühne ein feines musikalisches Armdrücken, wie man es sonst nur bei den Battles und Trading-fours-Einlagen im Jazz erlebt, wenn ein Saxofonist den anderen mit seinem Ego von der Bühne blasen will. „Alles was du auf der fies unberechenbaren Barocktrompete ohne Ventile spielst, sing ich ohne Netz und doppelten Boden noch viel besser“, war hier die Ansage. Das Duell endete allerdings im versöhnlichen, harmonischen Unentschieden.
Verständlich, dass die Freude am Arien-Ausgraben und -Entstauben im Laufe der Vorarbeit mit Bartoli durchgegangen ist, doch nicht alles, was hier von Steffani zu hören war, ist tatsächlich oberligatauglich. Vieles ist mehr als Dutzendware und deswegen weniger als unverzichtbar. Was nicht heißen soll, dass interessante Instrumentaleffekte wirkungsarm verpufften, die wurden sehr clever dosiert.
Die ganze Palette der klassischen Affektdarstellung wurde aufgeboten, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Und da Steffani ein Faible für das Zurschaustellen von weit ausholenden, aber dennoch schlichten Melodielinien hat, die nur auf das Allernötigste an Continuo-Fundament platziert werden, waren diese Arien gern angenommene Steilvorlagen für Bartoli, um Silberfäden aus Tönen zu spinnen. Ganz frei, fast ganz allein. Sehr bezirzend. Anderswo heiligen Zwecke die jeweiligen Mittel, hier ist es das Charisma dieser Sängerin, das dem Sortiment einen Glanz verleiht, ohne den es im Mittelblass bliebe.
Gäbe es in der Opernwelt mehr Sängerinnen und Sänger wie die Bartoli, der Rezensentenberuf wäre durchaus etwas langweiliger, weil es weniger zu rezensieren gäbe. Denn durch das punktgenaue Wissen um die Grenzen ihrer Stimme bringt sie nur, was ihr wirklich liegt. Und das in einer Lautstärke, die ihrem Stimmcharakter liegt. Das geht dann eben auch in größeren Portionen, weil Verschleiß und Schwund klug umgangen werden. Und neben all diesen verdienstvollen Würdigungen machte Bartoli mit diesem Abend aber auch mal eben klar, dass Best-of-Sonstwas-Konzerte nicht aus ständigem Rein und Raus aus dem Rampenlicht und diversen unbestellten Orchester-Füllern bestehen müssen, damit der Höchstpreis-Star des Abends sein Goldkehlchen auch ja nicht überstrapaziere. Etliche ihrer Kolleginnen und Kollegen teilen sich, anders als sie, sehr großzügig die Bühnenverweildauer ein und machen sich rar im Rampenlicht. Bartoli ist in dieser Hinsicht, vielen Dank auch, anders gepolt. Nicht neu, diese Haltung, doch immer wieder schön zu erleben.
Vier Zugaben, von Vivaldi und vor allem Händel, rückten am Ende die Abstände zwischen verdienten A- aus dem Spätbarock und honorigen B-Komponisten aus dem Frühbarock dezent, aber deutlich wieder zurecht. Und wie Bartoli Händels Arie „Lascia la spina“, die als „Lascia ch‘io pianga“ in seinem „Rinaldo“ zum Opern-Hit wurde, in die Stille zauberte, war schlicht himmlisch. Herzen brechen, als wäre es das Leichteste von der Welt, das geht eben doch immer noch am besten mit Händel. Kein Wunder, dass Bartoli diesen Trumpf erst in der Bonusrunde ausspielte. Sonst wäre, bei aller Sympathie für Unterschätzte, zu deutlich geworden, dass man Steffani zwar sehr mögen kann, ihn aber nicht ständig hören möchten muss.