Die Spatzen pfiffen schon seit Wochen von den Dächern der ARD-Anstalten, dass die Absetzung der Talkshow des 57-Jährigen so gut wie beschlossen sei.
Hamburg. Mitunter kann die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften recht verwirrend sein: Wer am Sonntag die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aufschlug, erfuhr auf Seite 41 in einem großen Interview mit dem Moderator Reinhold Beckmann, dass dieser in einem Akt von Großmut „ein ARD-internes Gerangel um zu viel Talk im Ersten“ lösen wolle. Und zwar durch Rückzug. Ende 2014 will er seine Talkshow „Beckmann“ aufgeben. Wer aber am Sonntag zum „Spiegel“ griff, konnte auf Seite 141 nachlesen, dass auf einer Sondersitzung der ARD-Intendanten am gestrigen Montag ohnehin „das Ende für ,Beckmann‘ beschlossen werden könnte“. Ja, was denn nun?
Die Vermutung liegt nahe, dass Beckmann mit seinem Rückzug der Absetzung seiner Talkshow zuvorkam. Halb zog es ihn, halb sank er hin. Zwar will der Moderator schon vor drei Wochen NDR-Intendant Lutz Marmor über seine Pläne informiert haben. Folglich ist es unwahrscheinlich, dass bei den ARD-Intendanten das Thema „Beckmann“ am Montag auf der Tagesordnung stand. Dennoch pfiffen die Spatzen schon seit Wochen von den Dächern der ARD-Anstalten, dass die Absetzung der Talkshow des 57-Jährigen so gut wie beschlossen sei. Nachdem bereits vor einem Jahr der WDR-Rundfunkrat forderte, die Zahl der Talkshows zu reduzieren und der NDR-Rundfunkrat eine bessere Gäste- und Themenauswahl anmahnte, plädierte im März der Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR) Ulrich Wilhelm dafür, die Zahl der Talks auf drei zu verringern. Vor einem Monat schloss sich sein Rundfunkrat der Forderung an.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass gehandelt werden musste. Und mit wem man in der ARD auch sprach – wenn es darum ging, welcher Talk dran glauben müsse, wurde als erstes „Beckmann“ genannt. Damit folgt der Senderverbund einer Quotenlogik für die vor allem ARD-Programmdirektor Volker Herres steht. „Beckmann“ hat von allen fünf Talkshows im Ersten den schwächsten Marktanteil. Folglich galt dieser Talk als entbehrlich.
Dabei spielt keine Rolle, dass Beckmann den schlechtesten Sendeplatz aller fünf ARD-Talks hat. Er ist donnerstags nahezu zeitgleich mit „Maybrit Illner“, dem Talk-Flaggschiff des ZDF, auf Sendung. Als „Beckmann“ noch am späten Montagabend zu sehen war, waren die Quoten viel besser. Doch mit der Verpflichtung von Günther Jauch begann für die ARD-Talks das Sendeplatzroulette. „Beckmann“ verlor und muss seit September 2011 auf dem ungeliebten Donnerstag auf Sendung gehen.
In die Quotendiskussion fließt auch nicht ein, dass das Format des Hamburger Moderators sich von den anderen ARD-Talks unterscheidet. „Beckmann“ ist gewissermaßen das Kammerspiel unter den deutschen Talkshows. Es gibt kein Publikum. Im Studio sind nur Beckmann und seine Gäste. Mitunter ist es auch nur ein Gast. Der heißt dann häufig Helmut Schmidt. Mag sein, dass manchem der sehr gefühlige Moderationsstil des Gastgebers nicht gefällt. Aber bei der Diskussion um die Sendung war auch dieses Argument von allenfalls untergeordneter Bedeutung.
Mit seinem Rückzug hat Beckmann, der sich nun nicht nachsagen lassen muss, seine Sendung sei abgesetzt worden, nicht nur sich selbst einen Gefallen getan. Die ARD erspart sich eine Diskussion darüber, wie sie mit verdienten Mitarbeitern umgeht. ARD-Programmdirektor Herres kann nun Beckmann als „ebenso kompetenten wie leidenschaftlichen und mutigen Fernsehschaffenden“ loben und erklären, dass er „persönlich“ dessen „Entscheidung ... sehr bedaure“. Das klingt zwar ein wenig nach Schmierentheater. Aber Beckmann wäre nicht der Erste, dessen wegen in der ARD Krokodilstränen vergossen werden.
Auch NDR-Intendant Lutz Marmor hat allen Grund, dem Moderator dankbar zu sein. Der NDR ist für dessen Talk im Ersten verantwortlich. Da Marmor derzeit aber auch ARD-Vorsitzender ist, kann er sich nicht so vor seinen Talker stellen, wie es vielleicht einem anderen Intendanten möglich wäre. Als ARD-Chef muss er auf Ausgleich bedacht sein. Dank Beckmanns Rückzug bleiben Marmor nun weitere Gewissenskonflikte erspart. Für den getreuen Talker ist im Übrigen gesorgt. Mal davon abgesehen, dass Beckmann als ARD-Sportmoderator gut ausgelastet ist und seine Firma Beckground für das Erste „Inas Nacht“ und Olli Dittrichs neue Comedy „Frühstücksfernsehen“ produziert, darf er sich auf weitere Aufträge des NDR freuen. Marmor hat ihm „neue Formate für das NDR Fernsehen“ versprochen, bei denen Beckmann „auch selbst mitwirken wird“. Zudem soll er „seine Stärken im Ersten in ein neues Format einbringen“.
Ist die Sache damit erledigt? Wohl nicht so ganz. Denn nach dem Rückzug Beckmanns wird es im Ersten nicht die von den Rundfunkräten und BR-Intendant Wilhelm gewünschten drei, sondern immer noch vier Talkshows geben. Womöglich muss nun noch ein Talk dran glauben. Kandidaten wären „Menschen bei Maischberger“ und „Hart aber fair“, für die der WDR verantwortlich ist. Das NDR-Format „Anne Will“ dürfte nach dem angekündigten Ende des NDR-Formats „Beckmann“ nicht zur Disposition stehen. Und „Günther Jauch“ ist unantastbar. Dennoch: Die Talkschiene im Ersten, einst Stolz der ARD-Granden, ist schwer beschädigt.