Esther Bejarano bekam ein Buch ihrer Kindheit zurück und hält das Gedenken an die Bücherverbrennungen wach

Hamburg. Auch dieses Buch haben die Nationalsozialisten aus den Regalen der Bibliotheken und Buchhandlungen geräumt, haben es beschlagnahmt, aus Privathaushalten geraubt und ins Ausland verkauft oder auf die Scheiterhaufen geworfen, die vor 80 Jahren überall in Deutschland loderten.

Jetzt hält Esther Bejarano ein Exemplar des schmalen Bandes mit dem Titel „Rabbinischer Humor“ in den Händen, das in zweiter Auflage 1930 in Frankfurt am Main erschienen war. Noch immer kann sie kaum fassen, welches Schicksal sich mit diesem Buch verbindet.

Die heute 88-Jährige gehört zu den letzten Holocaust-Überlebenden, und ungeachtet ihres hohen Alters ist sie als Zeitzeugin niemals verstummt. Selbstverständlich wird sie auch die 13. Hamburger Marathonlesung aus den verbrannten Büchern am 15. Mai am Kaiser-Friedrich-Ufer, dem historischen Schauplatz einer dieser NS-Aktionen, wieder eröffnen. Und wenn bereits am kommenden Freitag Prominente auf dem Rathausmarkt, dem Gänsemarkt, am Arno-Schmidt-Platz und auf vielen anderen öffentlichen Plätzen Hamburgs aus Büchern lesen, die 1933 verbrannt wurden, ist sie nur deshalb nicht dabei, weil sie zur gleichen Zeit einen Fernsehtermin beim WDR in Köln zu absolvieren hat.

Nun sitzt sie in ihrer gemütlichen Hamburger Wohnung und erzählt von dem Buch mit dem charakteristischen Bauhaus-Einband, das ihr gehört und mit dem sich erst vor kurzer Zeit ein Kreis ihres Lebens auf fast unvorstellbare Weise wieder geschlossen hat.

„Es ist so lange her, daher kann ich mich nicht mehr an dieses spezielle Buch erinnern. Schon als Kind habe ich gern gelesen und hatte viele Bücher. Manche hat mir unser Rabbiner in Saarbrücken geschenkt. Wahrscheinlich ist dieses Buch aber ein Geschenk meines Vaters. In jedes neue Buch habe ich immer sofort meinen Namen geschrieben, denn ich hatte zwei Schwestern und wollte verhindern, dass sie es sich aneigneten“, sagte sie schmunzelnd und betrachtet mit nachdenklichem Blick den handschriftlichen Eintrag. Esther Loewy steht dort deutlich zu lesen. Loewy ist ihr Mädchenname.

Eigentlich sollte das junge Mädchen nach Palästina emigrieren. Sie bereitete sich auch in einem zionistischen Lager auf die Auswanderung und das neue Leben vor, aber die Pläne scheiterten an den Realitäten des NS-Staates. Statt auszureisen, musste sie in einer Gärtnerei Zwangsarbeit leisten. 1943 holte man sie ab und brachte sie ins Sammellager auf der Großen Hamburger Straße in Berlin. Von dort aus wurde sie ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dessen mörderischem Getriebe entkam das junge Mädchen nur, weil sie als Akkordeonspielerin im Mädchenorchester gebraucht wurde. „Wir mussten morgens am Tor stehen, wenn die Arbeitskolonnen losmarschierten, und abends, wenn sie zurückkehrten“, erinnert sie sich. Nichts als das nackte Leben hatte Esther 1945 gerettet. Wer würde da an Bücher denken?

Nach dem Krieg ging Esther Bejarano zunächst nach Israel, kehrte aber später nach Deutschland zurück. Sie lebt schon seit Langem in Hamburg, hat sich als Sängerin einen Namen gemacht und ist Vorsitzende des Auschwitz-Komitees. So ist sie seit Jahren an der Organisation der Gedenkveranstaltungen an die Bücherverbrennung beteiligt. „Nicht ein- oder zweimal, sondern gleich fünfmal fanden auf dem heute zu Hamburg gehörenden Gebiet öffentliche Verbrennungen von Büchern statt, deren Autoren die Nationalsozialisten zu Feinden erklärt hatten“, sagt Esther Bejarano.

Vor etwa einem Jahr erhielt die alte Dame einen Anruf von einem Berliner Historiker, der in einem Antiquariat den von Pinchas Jakob Kohn herausgegebenen Band „Rabbinischer Humor“ gekauft und die handschriftliche Eintragung entdeckt hatte. Als er ihr ein Foto zuschickte, erkannte Esther Bejarano ihre Mädchenhandschrift wieder.

„Wenig später hielt ich das Buch in den Händen und wusste, dass es sich mit Ausnahme weniger Fotos um den einzigen Gegenstand handelt, der mir aus meinem Elternhaus geblieben ist.“

Esther Bejarano hat sich in ihren bequemen Sessel gesetzt, nach mehr als 70 Jahren wieder in dem Buch gelesen und über den Witz und den hintergründigen jüdischen Humor geschmunzelt, der aus den dort gesammelten Anekdoten spricht. „Oft geht es um das Verhältnis von Rabbi und Kantor. Mein Vater war Kantor und hat mir das Buch vielleicht gerade deshalb geschenkt“, sagt Esther Bejarano, deren Eltern 1942 deportiert und ermordet wurden.

Auf einer der letzten Seiten trägt das Buch den Aufkleber „Librairie Maison Strasbourg“. Möglicherweise war es mit anderem beschlagnahmten Besitz nach 1941 in Frankreich verkauft worden.

Die Wege dieses kleinen Bandes werden sich kaum mehr rekonstruieren lassen. Sicher ist nur, dass ein Buch über jüdischen Humor das Grauen des Holocaust überlebt hat und zu seiner ursprünglichen Besitzerin zurückgekehrt ist.