Auf Kampnagel wurde der Henri Nannen Preis verliehen. Die Vergabe des Sonderpreises an die Financial Times Deutschland sorgte bei den Gastgebern für Irritation.
Hamburg. „Es stürmt auf allen Etagen“, sagt Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, in ihrer Begrüßungsrede. Die Worte treffen gleich in dreifacher Hinsicht ins Schwarze. Im G+J-Verlag weht seit dem Komplett-Umbau des Vorstandes in der Tat mehr als nur ein „frischer Wind“ (Jäkel). Die deutsche Medienbranche insgesamt wurde in den vergangenen Wochen von personellen Bäumchen-wechsel-dich-Spielchen in Atem gehalten, an prominentester Stelle stand hierbei das Nachrichtenmagazin „Spiegel“, das seine beiden Chefredakteure recht spontan entließ. Und zu guter Letzt zeigt sich das Hamburger Wetter von seiner wenig frühlingshaften Seite. Wobei das wüste Grau des Hamburger Himmels gut harmoniert mit dem Fabrikcharme des Kampnagel-Geländes. Dorthin waren die Gastgeber aufgrund von Renovierungsarbeiten im Schauspielhaus ausgewichen.
Jäkel also zeigt den rund 1200 geladenen Gästen gleich zu Beginn der Preisverleihung, wer hier die Hosen anhat. In schwarzer Hose und ebensolchem schulterfreien Top entert sie die Bühne, spricht größtenteils frei, ohne aufs Blatt zu sehen. Zuvor hatte sie am roten Teppich – Seite an Seite mit den „Stern“-Chefredakteuren Andreas Petzold, Thomas Osterkorn und Dominik Wichmann – im Akkord Hände geschüttelt. Regierungssprecher Steffen Seibert, Kultursenatorin Barbara Kisseler, die Moderatoren Claus Kleber, Johannes B. Kerner und Thomas Gottschalk sowie Bertelsmann-Chefin Liz Mohn und Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner flanieren an diesem Abend über den Teppich. Bürgermeister Olaf Scholz trifft erst ein, als die Veranstaltung schon begonnen hat. Durch die Gala führen dieses Mal „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis (in „Tagesschau“-Blau) und Moderator Jörg Thadeusz.
Der Preis für die beste Dokumentation geht an Fabian Gartmann und Sönke Iwersen vom „Handelsblatt“ für ihr Stück „Ladenschluss“. In ihm wird der Aufstieg und Fall der Unternehmerfamilie Schlecker nachgezeichnet, der einst die gleichnamige Drogeriekette gehörte.
Weil „Stern“-Gründer Henri Nannen in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, führt Thadeusz die Gäste ausführlich durch sein Leben. Mit Augenzwinkern, nicht kritiklos verklärend. Er spricht über Nannens Begeisterung für die Nazis, verschweigt nicht, dass Nannen „mit SS-Männern gekungelt“ habe. Nach dem Krieg war Nannen ein unbequemer Journalist. Politisch korrekt war er nie. Thadeusz ist sich sicher, dass er heute weder Yoga machen noch sich vegan ernähren würde. Und schon gar nicht würde er twittern.
Der Preis für den besten Essay geht an „Zeit“-Redakteur Bernd Ulrich für sein Nachdenkstück „Wer sind wir heute?“ über das Bild der Deutschen im Ausland. „Der Autor ist ein Freund klarer Worte“, lobt die Jury. Die Fotografin Sandra Hoyn wird für ihre Fotostrecke „Die Kampfkinder“ ausgezeichnet. Sie hat thailändische Kinder fotografiert, die sich für einen Hungerlohn als Thai-Boxer verdingen müssen. Manche von ihnen sind gerade einmal sechs Jahre alt. Der Gewinner in der Kategorie Investigation heißt Wolfgang Kaes, Polizeireporter beim „Bonner Generalanzeiger“ und im Hauptberuf Autor von Kriminalromanen. Er erhält die Auszeichnung für seine Geschichte „Vermisst. Verschollen. Und beinah vergessen“, in der er das Schicksal einer vor 16 Jahren verschwundenen Arzthelferin aufdeckt.
Für Überraschung (und viel Applaus) sorgt der Sonderpreis. Er geht an die „Financial Times Deutschland“, die Wirtschaftszeitung aus dem Haus G+J, die am 7. Dezember 2012 ihre letzte Ausgabe druckte. Zehn Tage arbeiteten die Redakteure daran. „Die FTD war sich selten so nah wie in ihrer letzten Ausgabe“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Irgendwie seltsam ist es schon, dass die „FTD“ ausgerechnet von dem Verlag geehrt wird, der sie eingestellt hat. Aber die Auszeichnung scheint nicht abgesprochen zu sein. Als der ehemalige Chefredakteur Steffen Klusmann zusammen mit zwei Kollegen auf die Bühne gebeten wird, um die bronzefarbene Henri-Statue in Empfang zu nehmen, schauen G+J-Chefin Jäkel und Bertelsmann-Matriarchin Liz Mohn sich irritiert um. Womöglich sind sie von der Verleihung dieses Preises ebenfalls überrascht.
In der Königsdisziplin Reportage erhält Heike Faller vom „Zeit-Magazin“ den Preis. Für ihr Stück „Der Getriebene“ begleitete sie einen Pädophilen bei seiner Therapie. Die Jury lobt die „kühle Sachlichkeit“ und die „Langzeitwirkung“ beim Leser ihres Textes. Den Preis für Verdienste um die Pressefreiheit gewinnt René Wappler, der als Lokalredakteur im brandenburgischen Spremberg über die dortige Neonazi-Szene berichtet, obwohl er von den Rechten massiv bedroht wird. Die Münchner Verlegerin Anneliese Friedmann („Abendzeitung“) wird für ihr Lebenswerk geehrt; die Laudatio hält Thomas Gottschalk.
Und sonst? Die gigantischen Rechercheteams des „Spiegels“ bekommen ausnahmsweise keinen Preis. Es siegen die journalistischen Einzelkämpfer. Auch ein Eklat bleibt aus – anders als in den vorangegangenen Jahren als Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ ihren Preis nicht annehmen wollten, ein „Spiegel“-Redakteur seine Auszeichnung zurückgeben musste.
Schwer sei der Henri, stöhnt der „Zeit“-Redakteur und Gewinner in der Essay-Kategorie, Bernd Ulrich. „Aber kein Henri ist noch schwerer.“