Der Redakteur René Wappler, der von Neonazis bedroht wird, erhält heute den Henri-Nannen-Preis für Pressefreiheit. Für Wappler ist es völlig normal, dem Druck der Rechten standzuhalten.
Spremberg. Das Thema des Tages ist heute die gelbe Tonne. Sie wird im brandenburgischen Spremberg alle vier Wochen geleert. Und das ist, meinen manche Kommunalpolitiker, viel zu selten. Der Spremberger Lokalredakteur der „Lausitzer Rundschau“, René Wappler, kommt an dieser Geschichte nicht vorbei, genauso wenig wie am Tag zuvor an der Umrüstung des örtlichen Kinos auf digitale Technik. „Technik ist nicht alles“, hatte Wappler kommentiert. „Auf den Inhalt kommt es an.“
Das Leben in der 24.000-Einwohner-Stadt mit ihrem sorgfältig rekonstruierten mittelalterlichen Stadtkern könnte so beschaulich sein wie in jedem anderen Gemeinwesen dieser Größe. Und Wappler wäre mit der Berichterstattung über das örtliche Vereinsleben, Probleme der Abfallwirtschaft und Kinoumrüstungen auch gut ausgelastet.
Aber in einem Punkt unterscheidet sich Spremberg von vielen deutschen Kleinstädten. Es gibt hier eine sehr aktive Neonazi-Szene. Und Wappler berichtet ausführlich über die braunen Umtriebe. Das hat ihn und seine Zeitung zur Zielscheibe der Neonazis gemacht. In den vergangenen zwölf Monaten hat es massive Drohungen gegeben. Der Lokalredakteur aber, dem sein Chef bereits die Versetzung an einen anderen Standort angeboten hatte, hält stand. Und deshalb bekommt er heute auf Kampnagel den Henri-Nannen-Preis für Pressefreiheit verliehen.
Wappler, ein etwas fülliger 41-Jähriger mit freundlichem Gesicht, hoher Stirn, kurzen, dunkelblonden Haaren und einer Brille mit kleinen rechteckigen Gläsern sitzt nun im Restaurant Insel Perle am Spremberger Markt bei Kabeljau und Cola und erzählt von seinen Erfahrungen mit den Rechtsextremisten. Ihr massivster Einschüchterungsversuch gegen ihn und sein Blatt machte bundesweit Schlagzeilen.
Der Lokalredakteur hatte vor einem Jahr über ein Treffen von gut 30 vermummten Neonazis am Bismarckturm berichtet, einem Wahrzeichen Sprembergs. Daraufhin beschmierten die Rechten die Scheiben von Wapplers Lokalredaktion, die in einem verglasten Ladenlokal im Spremberger Zentrum untergebracht ist, mit der Parole „Lügenpresse halt die Fresse“. Nur 24 Stunden später hängten sie die Innereien eines Schweins an Schild und Briefkasten der Redaktion und verschütteten Tierblut. Später erhielt die Redaktion Mails, in denen stand: „Hofft bloß, dass nicht rauskommt wer das war. Denn wenn es rauskommt, seid ihr dran.“
Ende Juli 2012 explodierte unmittelbar neben Wappler mit lautem Knall ein Feuerwerkskörper, als er gerade vor seinem Redaktionsbüro eine Zigarette rauchte. Der Journalist sah noch, wie ein Vermummter wegrannte. Einen Monat später hörte er auf dem Weg in die Redaktion, wie hinter ihm jemand sagte: „Na, Wappler. Haste wieder ’ne tolle Geschichte im Block?“ Als er sich umsah, erblickte er einen Trupp Rechtsextremisten. „Ihr kennt mich?“, entgegnete er. „Dreh dich um und latsch weiter“, bekam er zu hören. Als er die Redaktion erreicht hatte, warteten die Neonazis vor der Tür. Da sie keine Anstalten machten zu gehen, musste der Lokalredakteur unter Polizeischutz nach Hause gebracht werden.
Die letzte Drohung liegt erst wenige Wochen zurück. In Spremberg waren Schmierereien wie „Fuck Nazis“ aufgetaucht, was erstaunlich ist, da es in der Stadt keine linksradikale Szene gibt. Kurz darauf erschienen zwei Rechtsextreme in Wapplers Redaktion und forderten ihn auf, „die Schmierereien genauso groß in die Zeitung“ zu bringen „wie unsere damals“. Wenn er das nicht tue, kämen sie wieder. „Und dann sieht unser Besuch ganz anders aus.“
Für Wappler ist es völlig normal, dem Druck der Rechten standzuhalten: „Wer vor so etwas wegrennen will, ist im falschen Beruf“, hat er mal einem Kollegen gesagt. Im Prinzip sieht er das immer noch so. Allerdings stelle sich die Situation anders dar, wenn man Familie habe, sagt er nun. Er selbst ist Single.
Wappler, der in Cottbus geboren wurde und dort nach der Wende volontierte, ist seit 1997 bei der „Lausitzer Rundschau“. Journalist werden wollte er schon als Jugendlicher. Noch zu DDR-Zeiten bewarb er sich um einen Studienplatz für Journalistik. Während der Aufnahmeprüfung musste er Meldungen der westlichen Deutschen Presse-Agentur so umformulieren, dass sie wie Meldungen der DDR-Agentur ADN klangen. Bestellte Wahrheiten waren aber seine Sache nicht. Obwohl er die Prüfung bestand, trat er das Studium nicht an.
Das ist lange her, doch Wappler hat diese Zeit nicht vergessen. „Ich weiß, wie einengend es für Geist und Seele ist, in einer diktatorischen Gesellschaft zu leben“, sagt er. Auch weil er nicht will, dass solche Zeiten wiederkehren, sind die Spremberger Neonazis für ihn immer wieder ein Thema. Mancher in der Stadtverordnetenversammlung fürchtet, der Ruf Sprembergs könnte durch Wapplers Berichte Schaden nehmen.
Aber nicht jeder denkt so. Als Wappler in sein Büro zurückkehrt, um letzte Hand an sein Stück über die gelbe Tonne zu legen, erwartet ihn ein großer Blumenstrauß und eine Glückwunschkarte, in der ihm der Bürgermeister zum Henri-Nannen-Preis gratuliert.