Der Regisseur Özgür Yildirim ist der kreative Kopf beim neuen “Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring. Licht und Schatten, Rauch und Geheimnis - das sind die Zutaten, mit denen er das öffentlich-rechtliche Krimigenre aufmischt.
Zum Film führen bekanntlich viele Wege. Das Irgendwas-mit-Medien-Studium und der Aushilfsjob als dritter Set-Praktikant. Özgür Yildirim hat sich die Kamera geschnappt und seinen ersten Film gedreht, da war er gerade einmal 14 Jahre alt. Mit elf hat er begonnen zu schreiben, Horrorgeschichten im nackenhaarsträubenden Stil eines Stephen King. Die Geschichten landeten nicht etwa auf Nimmerwiedersehen in der Schublade, sie erschienen unter dem Titel „Graue Nächte“ in einem kleinen Hamburger Verlag.
„Hartes Blut“, sein erster, mit ein paar Kumpels gedrehter Kurzfilm, war „teilweise grottenschlecht gemacht“, sagt Yildirim grinsend, Aufmerksamkeit gab es trotzdem nicht zu knapp. „Wir hatten regelrecht Fans, wurden auf der Straße angesprochen“, sagt er. Es ist ein weiter Weg von „Hartes Blut“ bis zum „Tatort“ im Ersten. Vom wenig glamourösen Bezirk Dulsberg, wo er aufgewachsen ist, zum Millionenpublikum.
Vielleicht ist Özgür Yildirim auch deshalb einer der spannendsten deutschen Nachwuchsregisseure, weil er im Herzen der Junge mit der Kamera geblieben ist. Suchend, staunend, improvisierend. Filmfreak zu sein, das behaupten ja viele Menschen von sich. Bei Yildirim stimmt es tatsächlich. Und dass der neue „Tatort“ aus Hamburg mit Wotan Wilke Möhring, der an diesem Wochenende läuft, mehr an den Film noir mit seinem düsteren Ambiente und das Werk des Regieberserkers John Cassavetes erinnert als an öffentlich-rechtliche Schnarchkrimis mit popeligen Autoverfolgungen, geht größtenteils auf das Konto des Regisseurs. Licht und Schatten, Rauch und Geheimnis — das sind die Zutaten, mit denen er das öffentlich-rechtliche Krimigenre aufmischt.
Ganz so, wie er mit seinem Kinodebüt „Chiko“ gezeigt hat, dass ein deutscher Gangsterfilm jenseits von aufgesetzter Gettosprache möglich ist. „Chiko“ mit Moritz Bleibtreu und Denis Moschitto ist längst Kult, nicht nur, aber vor allem in Hamburg. Seinem komödiantischen Rapper-Biopic „Blutzbrüdaz“ konnten auch solche Zuschauer folgen (am Ende waren es satte 600.000), die von Hip-Hop ähnlich viel verstehen wie von Hochfrequenzphysik. In seiner noch jungen Karriere ist Özgür Yildirim, der heute mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Ahrensburg lebt, durch die Genres gesprintet und sich dabei stets treu geblieben.
„Ich mag Herausforderungen ganz gerne“, sagt er an einem frühlingshaften Vormittag in einem Billstedter Schnellrestaurant. In Billstedt sind einige Szenen von „Feuerteufel“ entstanden, Yildirim selbst hat hier zwei Jahre gelebt. Er ist freundlich, abwartend. Jeans, Kapuzenpulli, Selbstbewusstsein. Die Fanta ist noch unberührt, weil ein Gedanke den nächsten jagt. Macht ihm natürlich nur mäßig Spaß, den eigenen Film erklären zu müssen. Über Kunst redet es sich schließlich anders als übers Zäunereparieren. Doch im Laufe des Gesprächs sprudeln ein paar Sätze aus ihm heraus, die einiges verraten über das filmische Selbstverständnis von Özgür Yildirim. Und damit auch über den neuen Hamburg-„Tatort“. Wie alle besseren Filme der Krimireihe hat auch dieser eine eigene Handschrift, einen eigenwilligen Look.
Ein Hamburg wollte er zeigen, das sich nicht über Optik vermittelt. „Kein Postkartenkitsch“, sagt er. „Das touristische Bild einer Stadt zu erzählen langweilt mich.“ Stattdessen hat er einen wummernden Großstadtfilm gedreht, der sich quer durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht, von der Blankeneser Vorortdekadenz bis zur Jugendgang. Sein Ziel sei gewesen, den Zuschauer „auf eine Reise mitzunehmen“, sagt Yildirim. Das ist nicht etwa philosophisch gemeint. Gleiches gilt für die „Vision“, von der er häufig spricht. Ohne Vision keine Kunst. Dabei ist sich Yildirim gleichfalls bewusst, dass Kunst ohne Handwerk nicht funktioniert. Das Handwerk übrigens hat er bei Hark Bohm an der Hamburg Media School gelernt. Er war der Jüngste in der Regieklasse und ist heute der wohl Erfolgreichste.
Klar kommt man nicht umhin, ihn nach dem Til-Schweiger-„Tatort“ zu fragen, der über die Zwölf-Millionen-Marke hopste und die Presse schon ein halbes Jahr im Vorfeld der Ausstrahlung zum Ausrasten brachte. Zwei neue Sonntagskrimis aus Hamburg innerhalb weniger Wochen – das könnte ja leicht für internen Ärger und Revierkämpfe sorgen. „Keinen Bock auf Schwanzvergleich“, sagt Yildirim und lehnt sich entspannt zurück. „Ich mochte den ‚Tatort‘ gern gucken, hat mir echt Spaß gemacht.“ Sich von der Konkurrenz aus dem eigenen Haus in die Ecke gedrängt zu fühlen, dafür gibt es auch keinerlei Gründe. „Willkommen in Hamburg“ und „Feuerteufel“ haben, vom Austragungsort einmal abgesehen, so viel miteinander zu tun wie Pommes rot-weiß und ein Drei-Gänge-Menü.
Wenn Yildirim ans Set kommt (für den „Tatort“ gab es 23 Drehtage), hat er jede Szene bis in den letzten Winkel vorbereitet. „Ich überlasse ungern Dinge dem Zufall“, sagt er. Den fertigen Film zeigt er zuallererst seiner Frau. Will kein „Filmgequatsche“ hören, sondern wissen, wie er auf den objektiven Zuschauer wirkt. Ist er spannend? Mitreißend? Verständlich? Irgendeine Geschichte erzählen kann schließlich jeder. Aber wirkliches Geschichtenerzählen ist die größte Herausforderung. „Jeder erzählt eine Geschichte. Aber eben nicht jeder erzählt eine Geschichte“, sagt Yildirim und schiebt vorsichtshalber noch ein „Verstehst du?“ hinterher.
Man könnte nicht besser zusammenfassen, was einen Regisseur eigentlich ausmacht.
„Tatort: Feuerteufel“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD