Die Premiere von Til Schweiger als Kommissar Nick Tschiller polarisiert. Und so gibt es über das Schweiger-Debüt in der Episode „Willkommen in Hamburg“ auch in der Abendblatt-Kulturredaktion mindestens zwei Meinungen.
Pro (Thomas Andre)
Der Schweiger-"Tatort" bläst mal ordentlich durch die Flure der ARD-Programmmacher. Nicht in Orkanstärke, aber doch mit frischem Wind. Man wähnt sich beim Gucken von "Willkommen in Hamburg" eher im Popcornkino als beim Sonntagabendritual mit kalter Platte und Regionalkrimi in der Glotze. Die "Tatorte" aus den verschiedenen Standorten haben ihre eigene Note, sind mal trutschig, mal skurril, mal kalt und düster. Öfter als man denkt sind sie auch ziemlich langweilig. Vom ersten Schweiger-Krimi kann man all das nicht behaupten, er ist ganz anders als all das, was man von Deutschlands Vorzeigefernsehunterhaltung kennt. Sicherlich muss man Schweiger und den Charme seines von keinerlei Selbstzweifel angekränkelten Bullen mögen, diese "Last Man Standing"-Attitüde, wonach der im Recht ist, der schneller zieht und fester haut - so wie im Hollywoodfilm halt.
Der erste Fall ist nicht unbedingt ein drehbuchtechnisches Glanzstück, und auch die Dialoge sind bisweilen herrlich plump; aber man muss schon sagen, dass die Kino-Ästhetik (diese sehr aparten Frauen!) und der unverwundbare Superkommissar, der gar nicht nachdenken muss, um den Fall zu lösen, eine ganz gute Abwechslung zu den biederen Provinzkrimis ist, die sonst so in Saarbrücken, Stuttgart, München und Hamburg spielen. Warum sollte ins Portfolio der föderalen "Tatort"-Reihe nicht auch ein Baller-"Tatort" passen? Einer, in dem man auf keinen Fall erwartet, dass bald wieder ein BVB-, Werder- oder FC-Wimpel vor der Kamera baumelt, nur um dem Zuschauer zu signalisieren: Kuckuck! Wir sind überall in Deutschland!
Es gibt die These, dass in der von Internet und Informationswahnsinn gefluteten globalisierten Welt ein Mittel zur Beruhigung der nervösen Massen die Regionalisierung ist. Das muss nicht falsch sein. Von Zeit zu Zeit verlangt es uns aber nach einem Gegengift, und das ist Schweiger als "Tatort"-Kommissar. Sein geschmeidig produzierter Debütantenfall geht schon ziemlich weit, um den mächtigen ARD-Tanker "Tatort" herauszufordern. Man würde ihm noch einen stärkeren Wellengang wünschen. Warum nicht mal formal mehr wagen? Die Personen vielschichtiger anlegen und sie über mehrere Folgen auserzählen? Gerade in der Hinsicht verspricht Nick Tschiller nicht allzu viel - zumindest, was diese erste Folge anbelangt. Und warum sich nicht vom Hyperrealismus amerikanischer Qualitätsserien wie "The Wire" und "The Corner" inspirieren lassen?
Am Ende schielen Schweiger und die ARD natürlich auch auf die Quote. "Willkommen in Hamburg" ist gleichbedeutend mit Action und Kurzweil, Instant-Unterhaltung ohne Widerhaken - so etwas muss es auch, so was darf es auch geben. Und, nicht vergessen, unsere Gegenwart braucht Helden wie wenige vorher. Schweiger traut sich den Job zu. Soll er halt machen, und vielleicht bekommt er es demnächst auch mal mit echten Gegnern zu tun und nicht nur drittklassigen Kiezpaten.
Kontra (Joachim Mischke)
Für einen Selbstdarsteller wie Til Schweiger ist selbst ein randvolles Glas nie voll genug. Weil es ja auch - extra für ihn und gegen alle Widerstände vom ignoranten Rest der Welt - hätte überlaufen können, verdammich noch maal. Deswegen ist sein "Tatort"-Debüt trotz der schön abgefilmten Hamburg-Bilder auch ein so ärgerliches Ärgernis.
Action-Til als öffentlich-rechtliche Sonntagabend-Mischung aus Bruce "Die Hard" Willis und den vielen Schweiger-Abziehbildern, die sich im Laufe der vergangenen Jahre durch seine Mainstream-Kino-Erfolge nuschelten? Das passt einfach nicht zusammen.
Schweigers Hau-drauf-is-Tatort-Kommisssar Nick Tschiller ist ein zu leicht berechenbarer Charakter, eine dekorativ verbeulte Laubsägearbeit ohne Geheimnisse und doppelte Böden, die sich nicht zwischen amtlichem Ballern auf blutrünstige Luden und niedlichem Blödeln mit dem pubertierenden Töchterchen entscheiden kann. Da kann sich der NDR bei den Rahmenbedingungen noch so viel Mühe beim edgy look und dem Zwangsprostitutionspauschalplot gegeben haben. Denn Schweiger bleibt auch nach diesen 90 ARD-Minuten das Fertiggericht unter Deutschlands Starschauspielern: Die Zubereitung kapiert jeder, es sättigt für den Moment, jeder kann das mögen, es versagt aber bei den Nährwerten.
Die besten (und damit nicht automatisch populärsten) Prime-Time-Ermittler der letzten Jahre waren und sind brillante Schauspieler, denen schwierige Drehbücher Profil und Tiefe gaben: Matthias Brandt im Münchner und Charly Hübner im Rostocker "Polizeiruf", die gefrustete "KDD"-Truppe vom ZDF, und, ja, auch Mehmet Kurtulus, der Hamburger Amtsvorgänger von Schweiger, der viel zu früh aufhörte. Solche Charaktere sind zu schade für das unwürdige Schielen auf Quoten und Schlagzeilen, mit dem sich der NDR seit den ersten Spekulationen seinen Schweiger-Coup schönredete, bevor demnächst jedem Kuhdorf sein eigener "Tatort" spendiert wird, um die zugepilcherten Gebührenzahler mit etwas Lokalkolorit zu besänftigen.
Wenn man wirklich radikal neue und eigene Wege mit einem Publikumsmagneten wie Schweiger gehen wollte - warum dann so viele plumpe Anspielungen auf Kino-Erfolge und sogar Vorabäußerungen des Stars, die in einem Drehbuch, das ernst genommen werden will, überhaupt nichts verloren haben? Warum, als hätte Schweiger das Sagen über alles und jeden über ihm, eine Nebenrolle für eine seiner Töchter, die nur der Familienname für das Scheitern in ihrer Sprechrolle qualifiziert?
Bei aller Liebe zum geheiligten "Tatort"-Format, dem letzten medialen Lagerfeuer, seit neuerdings Markus Lanz "Wetten, dass ..?" in die Belanglosigkeit wegmoderiert: Schweiger als Tschiller als Schimanski-Update, das ist wie halbschwanger. Interessante Idee. Geht aber trotzdem gar nicht.
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