Die Pseudo-Dokumentation “Fraktus - das letzte Kapitel der Musikgeschichte“ ist eine gelungene Persiflage auf die Popbranche.
Wer hat den Techno erfunden? Wer hatte die Idee zum Smiley-Symbol? Von wem stammt das Telekom-Jingle? Die Antwort: Fraktus. So sieht es zumindest die Pseudo-Dokumentation aus Hamburg, die diese Woche im Kino anläuft. Wer sich in den vergangenen 30 Jahren auch nur ansatzweise mit deutscher Popkultur befasst hat, wird diesen Spielfilm lieben. Und das auf direkt mehreren Ebenen.
Allein der Auftakt ist ein Fest der Referenzen. Mit trockenem Reportertonfall erläutert eine Stimme aus dem Off die Geschichte des 80er-Jahre-Phänomens Fraktus: ein Trio, das es mit rohen Beats und spröder Lyrik vom Underground bis in die "Bravo" schaffte, sich allerdings auflöste, als während eines Auftritts in Hamburg die Konzerthalle komplett niederbrannte.
Und wenn reale Zeitzeugen der Musikszene wie Dieter Meine, Peter Illmann, H.P. Baxxter, Marusha, Stephan Remmler und Jan Delay sehr ernsthaft (und dementsprechend höchst amüsant) bekunden, wie groß der Einfluss der Gruppe auf ihr Schaffen war, hat "Fraktus: Das letzte Kapitel der Musikgeschichte" bereits in den ersten Minuten gewonnen. "Viele Leute kennen von mir ein sehr bekanntes Lied: 'Sonic Empire'. Und da ist ein großes Rave-Signal drin, das ist inspiriert von Fraktus, das kann ich ruhig zugeben. Ich bin Fan seit der ersten Stunde", bekennt etwa Techno-Urgestein Westbam.
Der (fiktive) Musikmanager Roger Dettner (kongenial auf der Grenze zwischen schmierig-ambitioniert und mitleiderregend menschlich: Devid Striesow) hat sich nun in den Kopf gesetzt, die Ikonen von damals erneut zusammenzubringen und mit ihnen ein lukratives Comeback zu feiern. Wie der Hamburger Regisseur Lars Jessen ("Dorfpunks") die gealterten Protagonisten einführt, ist der zweite Höhepunkt des Films. Gespielt werden die vergessenen Stars von der in der Hansestadt hinlänglich bekannten Humoristentruppe Studio Braun, die auch am Drehbuch mitschrieb und mit Carsten "Erobique" Meyer den Soundtrack produzierte. Und letztlich kann der Zuschauer sich über weite Strecken des Films einfach daran erfreuen, wie unsäglich die drei Anti-Helden aussehen.
Heinz Strunk gibt den DJ-Ötzi-Verschnitt Torsten Bage mit blondierten Strähnen unter der Prollmütze und Arschgeweih überm Schlangenledergürtel, der auf Ibiza Partyhits wie "Die Geilianer" fertigt. Jacques Palminger mimt den hochneurotischen Tüftler Bernd Wand. Er trägt eine Art avantgardistischen Hitler-Look und arbeitet als Optiker im Betrieb der Eltern, mit denen er unterm Dachboden weiterhin an elektronischen Sounds bastelt.
Am beeindruckendsten (weil am Weitesten von den Erwartungen entfernt) ist jedoch Rocko Schamoni als Sänger Dirk Eberhard "Dickie" Schubert. Zum Schreien komisch spielt er diesen tumben bis spinnerten, aber sympathischen Typen, der mittlerweile den Internetshop "Surf & Schlurf" betreibt. Da gibt es zum Beispiel diese Szene, in der "Dickie" den Wasserhahn rhythmisch auf- und zumacht, um dann felsenfest überzeugt festzustellen: "Das ist meine Art von Musik." Eine grandios-liebevolle Persiflage auf die Experimentalkunst. Doch das ist längst nicht die einzige Satire.
Der Film karikiert letztlich das gesamte Musikgeschäft vom Medienhype bis hin zur Marketingstrategie und erzählt damit mehr über die Branche, als so manche echte Doku. Wie etwa Produzent Alex Christensen, der der (realen) Welt instinktniedere Popkost wie "Du hast den schönsten Arsch der Welt" serviert, hübsch selbstironisch sein eigenes Klischee verkörpert, ist extrem lustig. Im Studio poliert er den Fraktus-Song "Affe sucht Liebe" zur Eurotrash-Nummer mit sexy Sängerin auf und sagt prototypische Sätze wie "Wir müssen näher an den Hit kommen".
In der zweiten Hälfte fällt die Dramaturgie des Films etwas ab. Der Schnitt hätte sicherlich zwei, drei längliche Sequenzen noch straffen können. Und der Betrachter beginnt sich zu fragen, ob die üppig portionierten Studio-Braun-Gags und der mitunter sehr kalauerige Humor von Lars Jessen (Stichworte: Amoklauf mit Dönerspieß beim Schlagermove) den Rest der Handlung tragen. Doch die Grundaussage der Geschichte, die die Gruppe weg vom Erfolgszwang zurück zu ihren alternativen Wurzeln führt, stimmt doch wieder äußerst versöhnlich.
Bewertung: empfehlenswert
"Fraktus: Das letzte Kapitel der Musikgeschichte" D 2012, 95 Min., ab 12 Jahren, R: Lars Jessen, D: Studio Braun, Devid Striesow, im Abaton, Studio-Kino, Zeise; www.facebook.com/fraktusmusik