Oscars: Ang Lees tragische Cowboy-Saga “Brokeback Mountain“ setzt zum Endspurt auf die Oscars an. Sonntag kommt die Stunde der Wahrheit.

Hamburg. Die Lagerfeuer lodern nur am Anfang romantisch. Erhellen ein Wildwestidyll aus riesigen Panoramabergen und wuselnder Schafherde. Und hier hört der verquere Traum von kerniger Männerromantik auch schon auf. Es herrschen Einsamkeit, Überlebenskampf, Dosenbohnen. Schafe lassen sich hier gerade noch zusammenhalten. Aufkeimende Gefühle, größer als die mächtigen Gebirge, in einer kalten Zeltnacht nicht. Vor einem Jahr hätte niemand den Erfolg der anrührenden Geschichte eines an seiner Liebe zu einem schweigsamen Schafhüter grausam scheiternden Rodeoreiters vorausgesagt. Vor der ersten Vorführung in Venedig wurde Regisseur Ang Lee von den Kritikern noch milde belächelt.

Heute ist der Oscarritt der schwulen Cowboys aus "Brokeback Mountain" auf der Zielgeraden nicht mehr zu stoppen. An diesem Sonntag werden die Preise der amerikanischen Filmakademie verliehen und das Fieber um die Schafhirten steigt und steigt. Den Goldenen Löwen in Venedig, den Preis der amerikanischen Kritikerverbände, vier Golden Globes und vier britische Filmpreise haben sie bereits abgeräumt. In allen wichtigen Kategorien sind sie für den Oscar nominiert, insgesamt achtmal. Dabei verlief der Siegeszug dieses feinen, leisen Films äußerst schleichend. In den USA mit nur sechs Kopien gestartet und als "unmoralisch" angefeindet hat "Brokeback Mountain" bereits jetzt in rund 2000 Kinos - auch in Texas und Montana - mehr als 70 Millionen Dollar eingefahren.

Wie konnte das passieren? "Brokeback Mountain" ist weit mehr als ein Gay-Western, dazu verdammt, in dunkler Genrenische in Vergessenheit zu geraten. Er erzählt von universellen Gefühlen. Schon heute sind die liebenden Cowboys ein großes tragisches Liebespaar der Filmgeschichte wie vor ihnen Rick und Ilsa, Rhett und Scarlett. "Ich bin nicht schwul", sagt der schweigsame Ennis, "ich auch nicht", antwortet Jack. Magere Erklärungsversuche am Morgen danach.

Im engen Wyoming der 60er Jahre können diese Jungs nicht zu ihren Gefühlen stehen. Bleibt der mühsame Versuch einer bürgerlichen Scheinexistenz mit Frau und Kind. Das geballte unaufrichtige Unglück. Ein Doppelleben mit wenigen Glücksmomenten und flüchtigen Umarmungen, die sie für vorgeschobene Angelausflüge auf den Schicksalsberg zurücktreiben. Lee erzählt diese aufrechte Liebesgeschichte als großes Gefühlskino. Über zwei Jahrzehnte behauptet sie sich gegen alle Widrigkeiten - und läßt die Liebenden am Ende dramatisch im Leben scheitern.

Im Mutterland aller Cowboymythen geehrt zu werden hat für diesen Post- oder eher Antiwestern noch einmal eine andere Dimension. In "Brokeback Mountain" werden bis auf Amors Pfeile keine Schüsse abgegeben. Kein Outlaw reitet, nachdem er das Übel in der Prärie besiegt hat, am Ende versöhnt zu Frau und Kind in den Sonnenuntergang. Nur 14 Millionen Dollar hat der in den USA lebende Taiwanese Ang Lee gebraucht, um die schmale Kurzgeschichte von Annie Proulx aus dem Jahre 1997 in eine fesselndes Drei Stunden-Epos zu verwandeln. Keine Effekte. Nur ein paar schleppende Gitarren. Lange wurde das Drehbuch von Studio zu Studio gereicht. Allen war es zu heiß. Lee griff sofort zu. Mit seinen feinfühligen Arbeiten vom Schwertkämpferdrama "Tiger And Dragon" bis zur Familientragödie "Der Eissturm" empfahl er sich für den heiklen Stoff.

Ein Glücksfall für den Film war es auch, daß der 25jährige Jake Gyllenhaal sein Studium fernöstlicher Religionen an der Columbia University an den Nagel hängte. Maskulin und seelenvoll zugleich mimt Gyllenhaal, der zu Unrecht nur eine Nominierung als beste Nebenrolle ergatterte, den Rodeoreiter Jack. Im Gegensatz zum resignierten Ennis will er die Beziehung offen leben. Als sanft glühender Held hat er das Zeug zum neuen "Romantic Lead", zum verwundbaren Antihelden, zum neuen James Dean. Montgomery Clift liebte Männer und spielte harte Jungs. Umgekehrt hat Gary Cooper im Edelwestern "Zwölf Uhr mittags" Tränen vergossen. Gyllenhaals als beste Hauptrolle nominierter Kollege Heath Ledger könnte mit seinem genial verstockten, verbal verkümmerten Ennis das nächste Leinwandrauhbein werden, der nächste Harvey Keitel. Die tragische Liebesgeschichte von "Brokeback Mountain" ist größer als jede sexuelle Orientierung. Sie macht ihn zu einem unvergeßlichen Kinoerlebnis - und zu einem überaus würdigen Gewinner.

  • Brokeback Mountain läuft am kommenden Donnerstag in den deutschen Kinos an, Oscar-Nacht So 5.3., 23 bis ca. 2 h, Cinemaxx Dammtor (S Dammtor), Dammtordamm 1, Eintritt 10,-