In ihrem Familienstück „Sippschaft“ behandelt Nina Raine die Verständnisprobleme zwischen gehörlosen und hörenden Menschen.

Hamburg. Eine Akademikerfamilie sitzt beim Abendbrottisch. Die Gespräche verlaufen alles anderes als fein. Vater Christopher ärgert sich über seine drei Kinder, die er alle wieder am Hals hat. Der selbstgerechte Wortfanatiker um die Fünfzig (Carsten Klemm) kabbelt sich auch mit seiner Frau Beth (Isabella Vertés-Schütter), denn beide sind Schriftsteller. Trotz des rüden Umgangstons glaubt die zerstrittene „Familienbande“, dass sie füreinander nur das Beste will. Tochter Ruth (Theresa Rose) will Opernsängerin werden, ihr Bruder Dan (Sven Gey) bastelt an seiner Magisterarbeit und kifft. Die Geschwister halten sich für Versager, leiden unter den hohen Ansprüchen ihrer Eltern und rivalisieren doch um deren Liebe.

+++ Eyk Kauly: "Ich bin kein typischer Gehörloser" +++

In den Streitereien hockt still und stumm der gehörlose Jüngste Billy. Seine Eltern haben ihn als Hörenden behandelt, um ihn nicht auszugrenzen und in eine „Minderheitengruppe abzuschieben“, wie sich Christopher ausdrückt. Als Billy aber die gleichaltrige Sylvia (Katharina Pütter) kennenlernt, die ihr Gehör langsam verliert und die Gebärdensprache beherrscht, weil ihre Eltern taub sind, entdeckt Billy nicht nur die Liebe, sondern auch sein Selbstbewusstsein und bekommt einen Job. Er verlässt die Familie. In der großen in Gebärdensprache geführten und von Sylvia übersetzten Auseinandersetzung spielt sich Eyk Kauly durch seine natürliche und präsente Ausdruckskraft ins Zentrum der von Peter Hailer inszenierten Aufführung.

+++ Nina Raine: "Die Besetzung der Rollen ist auf den Punkt" +++

Nina Raine thematisiert in ihrer etwas konstruiert anmutenden Versuchsanordnung die Macht und Ohnmacht der Sprache. „Wir wissen nicht mal was Gefühle sind, bevor wir sie nicht ihn Worte fassen können“, meint der dominante Vater, ist aber trotz seiner verbalen Bosheit und Spitzfindigkeit dazu überhaupt nicht in der Lage und lässt sich von Vorteilen statt von Einfühlung in die ihm letztlich fremde Welt seines Sohnes leiten. Die Familienszenen wirken besonders im ersten Akt künstlich, die Verbundenheit und Vertrautheit dieser egozentrischen „Sippschaft“ will sich nicht überzeugend einstellen. Das liegt an der Personführung des Regisseurs in Etienne Pluss’ kühl gestylten Bühnenraum. Nach der Pause gewinnt die Aufführung durch Billys Rebellion an Fahrt und Leben und überrascht mit einem rührend versöhnlichen Schluss. Sie ist übertitelt und entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Deutsche Gebärdendensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg.

Weitere Vorstellungen bis 5.10., Ernst-Deutsch-Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten zu 18,- bis 34,- unter T.22701420; www.ernst-deutsch-theater.de