Der Porno-Roman “Shades of Grey“ verkaufte sich in den USA 15 Millionen Mal. Jetzt erscheint er auf Deutsch. Der Hype um ein unfreiwillig komisches Buch.
Hamburg. Es muss etwas passiert sein, wenn besonders die weiblichen Kollegen ständig giggelnd auf ihren Bildschirm starren. Wahrscheinlich schauen sie YouTube-Clips. Die Ad-hoc-Recherche ergibt: Ja, so ist es. Im Internet sind gerade einige Videos virulent, in denen Frauen mit Handschellen, Fesseln und Sexspielzeugen hantieren und dabei unter Lachanfällen aus einem Buch zitieren. Aus dem Buch.
Der Riesen-Mega-Super-Erfolg "Shades of Grey" (15 Millionen verkaufte Exemplare in den USA) erscheint nun auch auf Deutsch. Und deshalb ist die Aufregung um ein schlichtes, schlechtes und unfreiwillig komisches Buch mittlerweile auch hier angekommen. Das Bohei, das um den Bestseller veranstaltet wird, zeigt: Ein Hype ist ein Hype, weil am Ende immer alle mitreden. Und das kann man auch schon, ohne eine einzige Zeile gelesen zu haben.
Im Falle von "Shades of Grey" sind die durch E-Mail-Postfächer wandernden Albernheiten äußerst schlüpfrig: Sie karikieren einen Schundroman mit viel Sadomaso-Sex, der eigentlich unlesbar ist. Bei Amazon war der Titel, der stilistisch unbedingt ins leichte Fach fällt, lange vor der Veröffentlichung auf Platz eins. "Shades of Grey" wird die Bestsellerliste für längere Zeit anführen, so viel ist sicher. Trotzdem könnte ihm, weil man für solchen Kram eben nicht gerne Geld ausgibt, auch das Schicksal von "Feuchtgebiete" beschieden sein: Charlotte Roches Ekelbuch wurde sehr gerne auch mal geklaut.
Erika Leonard, die Autorin von "Shades of Grey", dürfte das verschmerzen können. Die Britin veröffentlichte ihr Werk zunächst im Netz unter dem Titel "Master of the Universe". Leonards Pseudonym damals: "Snowqueen's Icedragon" - der Eisdrache der Schneekönigin. Das Pseudonym für die Buchausgabe ist weniger fantasievoll, es lautet: E. L. James. Im Weiteren geht es bei dem Phänomen "50 Shades of Grey" (deutscher Untertitel: "Geheimes Verlangen") besonders um Fantasien sexueller Natur.
Anruf bei der Thalia-Buchhandlung an den Großen Bleichen: "Ein Trendthema, diese Sex-Nummer. Alle Jahre wieder"
Anruf in einer kleinen Buchhandlung in Duvenstedt: "Die Leser in Duvenstedt werden mir nicht die Bude einrennen"
Erzählt wird die Liebesgeschichte von einem reichen Unternehmer und einer jungen Frau, die noch nie Sex hatte. Was sich aus dieser romantischen Konstellation ergibt, ist allerdings nicht die Ballade von Christian und Anastasia. Sondern die erotische Eskapade in der Folterkammer. Der gute Christian ist leider ein Freund von Dominanz und Unterwerfung. Der Schurke und die Jungfrau, das wird bei E. L. James zum gemischten Doppel mit Schlägen aufs Gesäß und lustvoll seufzender Büßerhaltung. Am Anfang will die unerträglich tussihaft und Teenager-unschuldig auftretende Protagonistin nicht so recht, für ihr ständiges "Gott, ist der Mann schön" gehört sie allerdings bestraft. Dann macht's aber plötzlich Spaß, Sexsklavin zu sein: Hui! Das zieht so schön!
"Shades of Grey" vereint alle Bestandteile des minderwertigen Unterhaltungsromans: Er ist auf Effekte aus, türmt Klischee auf Klischee, ist schnell, handlungsreich und plump. Eigentlich besteht er nur aus Dialogen und sehr viel Sex, ist also sehr ermüdend.
+++ Kommentar: Die richtigen Knöpfe gedrückt +++
Die Frage ist: Wer liest das eigentlich? Warum? Warum so viele? Und was sagt Alice Schwarzer dazu? Sex sells, sagt man ja, und das ist wahrscheinlich die einzige wirkliche Erklärung für den beinahe lächerlichen Erfolg dieses im Grunde sehr biederen Buches, von dem behauptet wird, dass es eine vornehmlich weibliche Leserschaft findet. Unzufriedene Ehefrauen also? Oder Pubertierende? Technik-Analphabeten, die nicht wissen, wie man YouPorn aufruft?
Nur die Emanzipierten dürften mit dem Kopf schütteln: Was ist das denn für ein Rollenbild, bitte? Frau mit guter Ausbildung und gesellschaftlichem Selbstvertrauen lässt sich heimlich auspeitschen und sexuell demütigen. Was ist das: Postfeminismus?
Und wenn es wenigstens gut geschrieben wäre. In den USA nennt man den schlüpfrigen Literatur-Trash à la "Shades of Grey" auch "Clit Lit" oder "Mummy Porn", aber selten geht es dabei um Bondage-Rollenspiele. Bret Easton Ellis, der mit seinem Frauenschänderroman "American Psycho" einst wirklich schockierte (dagegen ist "Shades of Grey" sehr, sehr niedlich), erzählt derzeit, er würde die SM-Romanze gerne verfilmen. In den Hauptrollen: Ryan Gosling und Scarlett Johansson.
Eigentlich ist "Shades of Grey" natürlich auch ein großer Spaß. Er ist formal anspruchslos und sprachverbraucht, und es hat genau deswegen seine komischen Momente. Es folgt ein Potpourri der besten Sentenzen und Satzkatastrophen: "Ich habe einen Helikopter" (die Flirt-Phase). "Stütz dich an der Wand ab, Anastasia, ich werde dich noch einmal nehmen" (die, in diesem Buch übrigens grundsätzliche, Ankündigung sexueller Handlungen). "Ich kann mich keine Sekunde länger beherrschen und komme, stöhnend und laut schreiend, ehe meine Knie nachgeben und ich in meinen Fesseln zusammensacke" (der Höhepunkt, der übrigens immer erreicht wird).
Es gibt zehn oder elf explizite Sexszenen in "Shades of Grey", so genau weiß man das nach der Lektüre nicht mehr. Die erste steht übrigens erst auf Seite 129. Da hat man dann schon so schöne Sätze wie folgenden gelesen: "Sein Blick ist sehr intensiv." Wer nach 608 Seiten echt krasser Lovestory traurig ist, dass es das schon war, der sei getröstet: Der zweite und der dritte Teil erscheinen im September und Oktober.
E. L. James: "Shades of Grey: Geheimes Verlangen", Goldmann, 608 S., 12,99 Euro