Ein Gespräch über Kunst und Panik, Ost und West, Älterwerden und Sterben - und warum Udo Lindenberg nicht in der Elbphilharmonie singen will.
Hut, dunkle Sonnenbrille, fette Zigarre - Udo Lindenberg erscheint zum Abendblatt-Interview im gewohnten Outfit. Wir treffen ihn in seinem Heim, dem Hotel Atlantic, wo er uns zu einem ungewöhnlichen, aber nicht ungemütlichen Raum führt: Wir nehmen in der Sitzgruppe vor der Herrentoilette Platz, denn hier darf Udo rauchen. Hier findet er Ruhe und nimmt sich die Muße für ein langes Gespräch, in dem er auf manchmal auch ungewohnte Fragen nachdenkliche Antworten gibt.
Hamburger Abendblatt:
Herr Lindenberg, was erwartet uns in der großen Ausstellung, die am Mittwoch im Museum für Kunst und Gewerbe eröffnet wird?
Udo Lindenberg:
Da gibt es viele Themen. Mein Leben, meine Bilder, aber auch Ost-West-Geschichten. Die Gastspiele in Moskau und in Leningrad, wie das damals noch hieß, ein großer Teil der Ausstellung besteht aus Filmen. Zum Beispiel auch das Konzert in Moskau, wo ich 1985 mit Alla Pugatschowa gegen die Raketen gesungen habe.
Ist Ihnen aufgefallen, dass sie den Text verändert hat? Auf Russisch hat sie nur gegen die westlichen Raketen gesungen.
Udo:
Hat sie das?
Anstatt "Ich fürchte mich in diesem Atomraketenwald" hat sie gesungen: "Ich fürchte mich in diesem Wald aus westlichen Raketen".
Udo - die Ausstellung
Udo:
Dann hat sie das einseitig dargestellt, denn die Ost-Raketen waren natürlich genauso Schrott. Es ging nicht um die "bösen Amis", sondern um den Rüstungsschrott insgesamt. So habe ich das immer gesagt, und das war dann auch ein Grund für die Absage meiner DDR-Tournee, für die ich eigentlich schon einen Vertrag in der Tasche hatte.
Viele Westdeutsche haben sich vor 1989 kaum für den Osten interessiert. Wieso war das bei Ihnen anders?
Udo:
Ich wusste, dass ich da viele, viele Freunde hatte. Deshalb habe ich ja Lieder wie "Mädchen aus Ost-Berlin" oder "Rock'n'Roll-Arena in Jena" gesungen. Das hat Brücken gebaut zwischen den Menschen dort und der Panik-Band und Udo. Daher war mein Wunsch naheliegend, dort auch mal aufzutreten. Aber die SED-Bonzen hatten Angst, dass das für sie gefährlich sein könnte und die Leute vielleicht auf die Straße gehen würden, um nach Pressefreiheit und Demokratie zu rufen. Das ist auch in der Ausstellung dokumentiert. Und mein Auftritt im Palast der Republik, wo FDJ-Leute drin saßen, aber Tausende meiner Freunde vor der Tür standen. Und alles war hermetisch abgeriegelt.
War die FDJ-Sekretärin Angela Merkel damals drin?
Udo:
Könnte gut sein, dass die Angie damals dabei war, bin bis jetzt nicht dazu gekommen, sie zu fragen. Wenn ich sie treffe, frage ich sie mal.
Viele Ostdeutsche haben sich zwar Demokratie und Reisefreiheit gewünscht, aber nicht an die Wiedervereinigung geglaubt. War Ihnen das klar?
Udo:
Ich hätte mir gewünscht, dass man das Beste aus dem Sozialismus mit der Schnelligkeit verbindet, die es hier so gibt. Nicht mit unseren Ellenbogen, aber mit unserem Speed. Also die Sensibilität von drüben, der Wunsch danach, fairer miteinander umzugehen, verbunden mit dem, was hier so gut funktioniert. Und die Uridee, dass nicht jeder gegen jeden kämpft wie im Dschungel, die ist ja nicht schlecht. Dafür ist damals zum Beispiel Bertolt Brecht in die DDR gegangen. Auch Heiner Müller, den ich gut kannte, stand für diesen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Wenn das gelungen wäre, das so zusammenzulegen, hätte ich das gut gefunden. Das wäre mein Vorschlag gewesen
Und jetzt sind Sie enttäuscht?
Udo:
Nein, wir sind auf einem guten Weg. Es gibt viel zu tun, klar, "Rock gegen Nazis" und solche Aktionen, die müsste man viel öfter machen.
Wäre Ihre Karriere auch ohne deutsch-deutsche Teilung denkbar gewesen?
Udo:
Ja klar. Dann hätte ich eben woanders Panik verbreitet.
Woher kommt eigentlich Ihre Liebe zum Wort Panik?
Udo:
Panik ist gut, Panik bedeutet Unruhe, Spontansein. Als ich anfing mit der Musik, wollte ich vor allem das Establishment irritieren, die deutsche Schlager-Lobby war schon damals unheimlich stark, da musste man gegen an. Da wollte ich Panik verbreiten.
Und jetzt ist der Panik-Rocker Udo Lindenberg zum Museumsstück geworden. Wie fühlt sich das an?
Udo:
In der Ausstellung geht es ja vor allem um meine Kunst, um die Musik, die vielen Begegnungen. Aber wenn ich das alles so sehe, denke ich: Bin ja ein ganz schön produktives Kerlchen. Für 65 und die Tatsache, dass ich immer schön "Hoch die Tassen" gelebt hab.
Ist das für Sie eine Art Lebensbilanz?
Udo:
Nö.
Sagen wir - Zwischenbilanz?
Udo:
Ja. Das geht ja jetzt erst richtig los. Dabei bin ich schon fast 40 Jahre in der Branche. Nächstes Jahr vor 40 Jahren hatte ich den ersten Hit mit "Hoch im Norden", das ist kaum zu glauben. Ein Jahr später kam dann "Andrea Doria". Und jetzt kommen sie wieder, die Nummer-eins-Geschichten: DVD des Jahres, Platz eins der Download-Charts bei iTunes und so weiter und so fort, ein Riesen-Erfolg. Die Konzerte sind bis auf den letzten Platz ausverkauft. Ich wache im Moment jeden Morgen mit einem Lächeln im Gesicht auf und freue mich wie ein kleines Kind, dass ich auch von einem neuen und jungen Publikum so angenommen werde.
Sind Sie ein Kind geblieben?
Udo:
Ja, und darauf habe ich immer großen Wert gelegt. Da drinnen bin ich immer noch der kleine Udo. Der gern spielen geht, jeden Tag, der durch die Stadt läuft, herumstreunt, sich verkleidet ...
Sie können in Hamburg unerkannt durch die Straßen laufen?
Udo:
Ja, das geht. Da erkennt mich keiner. Da geh ich an den Hauptbahnhof, geh an die Knappus-Bude und bestell mir was. Obwohl, dafür hab ich dann einen Freund dabei, denn selber bestellen kann ich nicht, meine Stimme würde mich verraten. Und ich muss natürlich anders gehen, nicht so erotisch wie sonst, ne. Deshalb habe ich dann immer einen weiten Mantel an. Und dann bin ich auch endlich mal jemand, der beobachtet und nicht nur beobachtet wird.
Was beobachten Sie denn am liebsten?
Udo:
Menschen aller Couleur, die bunte Republik eben. Manchmal komme ich mit den Leuten ins Gespräch, dann gebe ich mich entweder zu erkennen - oder ich sage, dass ich ein Double von Udo bin, dass ich die Mimik und die Gestik gelernt habe, die Sprache, dass ich deshalb viel für Betriebsfeiern gebucht werde, 18 Jahre Double-Schule und so. Harter Job. Die Leute glauben das. Gute Geschichten glauben die Leute so gern.
Als junger Mann haben Sie schon von einer Rentnerband gesungen, die bei Onkel Pö spielt. Jetzt sind Sie selber Rentner.
Udo:
Nee, also Rocker werden keine Rentner. Die sind auch nicht in so einem System drin. Ich hab schon als Fünfjähriger Musik gemacht und ich werde es bis zu meinem letzten Atemzug tun. Das ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Da geht man nicht in Rente.
Aber trotzdem wird man ja älter. Ist das für Sie manchmal schwierig?
Udo:
Ich hab da mal Probleme mit gehabt. Da habe mich gefragt: Wie gehst du mit 60 oder 70 auf die Bühne - und bestehst? Dann habe ich nach Frankreich geguckt und den Aznavour gesehen. Der ist 87 und singt immer noch. Auch Mick Jagger ist gut dabei, Steven Tyler. Es gibt also ein paar, aber viele sind es nicht. Ich sage mir immer: Alter steht für Radikalität und Meisterschaft, und nicht für Durchhängen. Ich werde nicht den grauen Sterbeflanell anziehen, ich will die Kinder nicht erschrecken. Ich will, dass die Kinder sagen: Das ist ja geil, hoffentlich komme ich auch noch in die Jahre und kann dann so radikale Sachen machen, an denen ich im Moment noch gehindert werde.
Alter macht radikal?
Udo:
Man hat weniger zu verlieren.
Haben Sie Angst vor dem Sterben?
Udo:
Wenn der Tod plötzlich kommt wie ein Blitzschlag, dann ist das gnädig von den Göttern. Schlimm ist ein Siechtum, das sich über Jahre hinzieht. Es ist für mich eine schlimme Vorstellung, nicht mehr auftreten zu können. Ich hoffe, dass mir das erspart bleibt. Deshalb lebe ich auch ziemlich gesund, inzwischen mache ich regelmäßig Sport.
Welchen Sport denn?
Udo:
Schwimmen, jeden Tag. Eisenhart.
Wie lang?
Udo:
So 20 bis 30 Minuten.
Brust oder Kraul?
Udo:
(macht mit den Händen kleine Schwimmbewegungen) So Brüstchen, immer schön Brüstchen, ne ...
Geht es nach dem Tod irgendwie weiter?
Udo:
Das weiß ja niemand, aber ich bin in dieser Hinsicht pragmatisch. Es gibt zwei Möglichkeiten, und ich freunde mich lieber mit der angenehmeren an - also, dass es weitergeht. In welcher Form auch immer.
Gibt es im Himmel Musik?
Udo:
Keine Ahnung. Vielleicht auch nur Sphärenklänge oder so. Müssen wir mal gucken. Ich bin jedenfalls neugierig.
Ihre Ausstellung öffnet kurz vor Heiligabend. Wie feiern Sie Weihnachten?
Udo:
Vor ein paar Jahren hab ich mir Heiligabend eine Flasche Whisky aufgemacht, hab mir ein Taxi gerufen und bin zu einer Kirche, einer Synagoge und einer Moschee gefahren. Die reden hier alle vom Frieden, habe ich mir gedacht, dann wollen wir doch mal sehen. Also bin ich rein und habe mit denen geredet. Ich habe gesagt: Wir und viele Menschen überall auf der Welt haben den Wunsch, in Frieden miteinander zu leben, obwohl wir einen anderen Glauben haben. Gut, in der Synagoge war um diese Zeit niemand, aber in der Moschee, in der Kirche und im Hindu-Tempel hat das geklappt. War schön.
Wie finden Sie die Art, wie hierzulande Weihnachten gefeiert wird?
Udo:
Ich finde, dass inzwischen zu viel geschenkt wird. Natürlich sollen Kinder zu Weihnachten Geschenke bekommen. Aber Eltern sollten auch an die Kinder denken, die anderswo in der Welt durchhängen, in Somalia und so weiter. Denen sollte auch ein Teil des Geldes zugutekommen. Und ich bin davon überzeugt, das viele Kinder ihren Eltern dann sagen würden: Ihr Alten, das habt ihr geil gemacht. Deshalb haben wir euch noch 'ne Ecke mehr lieb als vorher. Das glaub ich wirklich.
Also, wie feiern Sie dieses Jahr?
Udo:
Das weiß ich noch nicht. Hotel, Berlin, das mach ich spontimäßig.
Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, spontan mal in der Elbphilharmonie aufzutreten, wenn sie fertig ist?
Udo:
Nö. Wenn da sonst keine ordentliche Rock- und Pop- und Rap-Szene an den Start kommt, werde ich nicht das Alibi-Kerlchen geben. In Berlin wäre das anders, und let's face it , so viele gute Musiker haben uns schon dorthin verlassen. Eine Plattenfirma gibt es hier noch und ein paar Sänger, unseren heiß geliebten Jan Delay ... aber die anderen Bands, wenn du mal guckst, die sind alle in Berlin. Die sind alle in Berlin, ne.
Bleiben Sie denn in Hamburg?
Udo:
Hamburg ist mein Zuhause, hier bin ich aufgewachsen. Aber diese Stadt, ich seh das seit Jahren, fördert nur die E-Kunst, nicht die U-Kunst. Die interessiert sie nicht. Und das stört mich. In Berlin ist das anders. Diese Ausstellung ist deshalb auch ein Zeichen an meine Freunde hier und meine Fans, das ist mein Geschenk für sie zu Weihnachten.
Wenn Sie zu Weihnachten etwas ändern könnten in Deutschland, was wäre das?
Udo:
Unter dem Eindruck von Jena und der "Zwickauer Zelle" würde ich sagen: Die NPD knicken und die Blutspur, die sich durch Deutschland zieht, ein für alle Mal beenden. Aber eigentlich geht es nur darum, das Grundgesetz, das aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges entstanden ist, endlich radikal in Kraft zu setzen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, steht da nämlich.