Eine Begegnung mit dem iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof, der heute mit “Auf Wiedersehen“ das Filmfest eröffnet
Hamburg. Wie spricht man mit einem Regisseur, dessen Muttersprache man nicht versteht und der jedes Wort sorgsam abwägen muss, weil es zu Hause gegen ihn verwendet werden kann? Wie spricht man mit dem Iraner Mohammad Rasoulof, dessen Film "Auf Wiedersehen" heute das Filmfest Hamburg eröffnet und der gestern mit einer Maschine aus Paris in Hamburg eingetroffen ist, weil er bei der Deutschland-Premiere seines Films dabei sein möchte?
In Farsi, der Landessprache Irans, heißt der Film "Bé omid e didar". Omid - das Wort kommt so oft vor in Rasoulofs Redefluss, den ein Filmfest-Gästebetreuer übersetzt, dass es hängen bleibt im Farsi-Analphabetenhirn des Redakteurs. Er fragt: "Heißt ,Bé omid e didar' wörtlich übersetzt ,Auf Wiedersehen'?" Nein, sagt Rasoulof, nicht ganz. "Es heißt, ich hoffe dich wiederzusehen." - "Ist Omid das Wort für Hoffnung?" - "Ja." Und Rasoulofs Augen leuchten einmal kurz auf.
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Dass diesem kleinen Herrn von 37 Jahren mit den ersten grauen Haaren an den Schläfen die Hoffnung nicht längst vergangen ist, grenzt an ein Wunder. In ein paar Tagen wird er in den Iran zurückreisen. Dort droht ihm die Vollstreckung eines Urteils vom Dezember 2010, demzufolge er für sechs Jahre ins Gefängnis muss. Vielleicht aber lassen ihn die Behörden auch in Ruhe, immerhin läuft ein Berufungsverfahren. Die Kontrolle über die Bevölkerung übt das Regime meist mit viel subtileren Mitteln aus als mit physischer Gewalt. So lässt es den Drangsalierten oft gerade genug Luft zum Atmen. Ein anderes Wort in Rasoulofs Redefluss klingt fremd vertraut: "Guillotine". Dazu benutzt er eine eindeutige Geste. Die Künstler, übersetzt der Betreuer, die sich missliebig gemacht haben beim Regime, die aus fadenscheinigen Gründen verurteilt wurden, lägen wie unter einem Fallbeil, von dem sie nicht wissen, ob und wann der Mechanismus ausgelöst wird.
Umso stärker lastet der Druck auf der Seele. Hoffnung und Kreativität sind Rasoulofs Schutzschild gegen diesen Druck, sie sind das Äquivalent des Panzers, den die kleine Schildkröte im Film "Auf Wiedersehen" auf dem Rücken trägt. Das anspruchslose Haustier lebt in einem Terrarium in der Wohnung der Anwältin Noura (Leyla Zareh), der alle Fälle entzogen werden, weil sie auch politische Mandanten vertritt. Nouras Mann, oppositioneller Journalist, ist untergetaucht. Ab und zu telefonieren sie miteinander. Als sie erfährt, dass sie schwanger ist, nimmt Noura den demütigenden Bakschisch-Weg durch das Behördenlabyrinth auf sich, um ihre Ausreise zu erreichen.
"Ich wollte am Beispiel einer bestimmten Schicht zeigen, wie das Leben im Alltag in Iran ist", sagt Rasoulof. Manche der Willkürmaßnahmen, die im Film gezeigt werden, etwa die jederzeitige Verletzlichkeit der Wohnung, haben er selbst oder Freunde so erfahren. Bald stellt Noura im Schildkrötenzuhause ein Leck fest. Sie setzt das Tier deshalb auf ein großes Tablett, das sie mit Zeitungspapier umgibt. Eines Tages ist die Schildkröte auf und davon. "Das Papier hält sie nicht ab", sagt Rasoulof. Menschen in Diktaturen entwickeln ihre eigene Art, sich in Allegorien auszudrücken, Ebenen zu erfinden, auf denen das Gemeinte verstanden wird, auch wenn sie es anders sagen.
Das Drehbuch zu "Auf Wiedersehen" entwickelte und schrieb Rasoulof, nachdem er im Mai 2010 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Im März desselben Jahres war er zusammen mit seinem Freund und Regisseurkollegen Jafar Panahi inhaftiert worden. Die Haft unterband die Weiterarbeit an einem Film, in dem die beiden die Ereignisse der Aufstände nach der Präsidentenwahl im Frühsommer 2009 behandeln wollten. Das Material wurde beschlagnahmt. Beide kamen erst gegen hohe Kautionszahlungen frei.
"Ich habe ein paar Monate gebraucht, um mich von dieser Situation zu erholen", sagt Rasoulof. "Ich verstehe bis heute nicht, weshalb wir verhaftet wurden." Aber dann begann er zu schreiben - für ihn die beste Medizin gegen erlittenes Unrecht. Kaum war das Drehbuch fertig, kam es zum Prozess. Im Wissen um eine drohende Verurteilung suchte Rasoulof um eine Drehgenehmigung nach. Die bekam er auch - Rätsel der iranischen Gerichtsbarkeit, die nach Gutdünken straft und auch mal Gnade walten lässt. "Ich tue nichts Falsches", beteuert Rasoulof. "Film ist für mich eine Kunstform, da ist nichts politisch dran. Ich berichte nur von gewissen Umständen im Iran. Das sieht in den Augen des Regimes vielleicht nach politisch unkorrektem Handeln aus."
Als ihm im Mai in Cannes für "Auf Wiedersehen" der Regiepreis zuerkannt wurde, blieb Rasoulof fern. Seine Frau verlas eine Erklärung, er wolle die Freiheit des Reisens nicht in Anspruch nehmen, solange sie Jafar Panahi, der als Jurymitglied eingeladen war, verwehrt bleibe. Nach Hamburg ist er nun gekommen, "weil ich diese Stadt liebe, weil zwei meiner früheren Filme hier beim Festival gezeigt wurden". Für "Iron Island" bekam er 2005 beim Filmfest den Kritikerpreis.
Auch wenn ihm zu Hause Gefängnis droht: Innerlich ist Mohammad Rasoulof wie jeder kreative Kopf längst mit etwas Neuem, Schönem, Lebenserhaltendem beschäftigt: seinem nächsten Film. Willkommen in Hamburg, und Bé omid e didar - als freier Mann.
Auf Wiedersehen Donnerstag, 19.30 Cinemaxx (ausverkauft), Mo, 3.10. 15.30, Passage
"Julia & Moe" von der Medienakademie Hamburg begleiten das Filmfest in ihrem Videoblog.
Hier gibt es Trailer zu einer Auswahl von Filmen, die während des Filmfests gezeigt werden.